Brasilien hat gewählt. Der ultrarechte Ex-Militär Jair Bolsonaro besetzt ab 2019 das höchste Amt des Landes. Brasilien war schon immer ein gefährliches Pflaster für Minderheiten. Unter Bolsonaro könnte es noch schlimmer werden. Der 63-jährige Bolsonaro sagte in der Vergangenheit Dinge wie «Wenn ich zwei Männer auf der Strasse sehe, die sich küssen, schlage ich zu» oder «Die Schwulen sind ein Produkt des Drogenkonsums». watson hat mit der freien Journalistin Caren Miesenberger über die aktuelle Situation in Brasilien gesprochen und wollte von ihr wissen, was die Wahl Bolsonaros für die LGBT-Communitys bedeutet.
Frau Miesenberger, Sie berichten seit vier Jahren aus und über Brasilien. Empfanden Sie die Wahl Bolsonaros als Überraschung?
Caren Miesenberger: Der Rechtsruck hat sich schon lange abgezeichnet. Überrascht war ich nicht, aber bestürzt.
Was bedeutet seine Wahl für die Minderheiten im Land?
Schon vor Bolsonaros Wahl war Brasilien das Land mit der höchsten Transmenschen-Mordrate weltweit. Nun besetzt eine Person die höchste politische Ebene, die öffentlich homophobe Äusserungen macht, Frauen diffamiert und sich den Faschismus zurückwünscht. Das wird fatale Konsequenzen für alle Minderheiten in ganz Brasilien haben – insbesondere für Schwarze, Transmenschen und Personen aus peripheren Gebieten.
Sie haben enge Kontakte zu der LGBT-Community in Brasilien. Wie ist dort die Stimmung?
Einer meiner besten Freunde ist queer und überlegt sich gerade, wie er am schnellsten aus Brasilien rauskommt. Die Angst dominiert. Viele wollen das Land verlassen, weil sie um ihr Leben fürchten. Eine Freundin, ebenfalls aus der LGBT-Community, meinte, dass die Übergriffe, die schon vorher an der Tagesordnung waren, in Zukunft noch schlimmer werden. Es sind keine guten Zeiten für die viertgrösste Demokratie der Welt.
In seiner Siegesrede äusserte sich Bolsonaro versöhnlich gegenüber der Demokratie. Er werde «Verfassung, Demokratie und Freiheit» verteidigen, sagte er. Glauben Sie ihm?
Sämtliche Aussagen Bolsonaros sprechen gegen das Gesagte in der Siegesrede. Ich glaube, das ist reine Wahltaktik, um seine Gegner für einen kurzen Moment zu beschwichtigen. Bolsonaro hat seine ganze Karriere lang den Faschismus propagiert. Er benutzt den Begriff Demokratie, um sich nicht angreifbar zu machen. An der Aushebelung der Verfassung arbeitet er bereits, beispielsweise wenn es um die Abtreibungen geht. Diese will er noch stärker einschränken. Ich glaube nicht, dass er von seinem ursprünglichen Programm abweicht – vor allem jetzt nicht, wo er in das höchste politische Amt des Landes gewählt wurde.
Regt sich Widerstand in der LGBTI-Community gegen Bolsonaro?
Nicht nur in der LGBT-Community. Heute gehen im ganzen Land Leute auf die Strasse, in vielen Städten werden Proteste erwartet. Der ganze Wahlkampf war von Widerstand begleitet. Aber auch das ist nicht ungefährlich. Bereits vor Bolsonaros Wahl kam es zu Angriffen auf Demonstranten und Ausschreitungen.
Bolsonaro äusserte sich in der Vergangenheit auch kritisch gegenüber Journalisten. Sie sind aktuell in Deutschland, werden Sie nach Brasilien zurückkehren?
Ich hoffe, dass ich bald wieder nach Brasilien gehen kann. Natürlich habe ich mir überlegt, ob ich überhaupt zurückkehren will. Doch ich sehe es als meine Pflicht, weiterhin Menschen zuzuhören, für die der Rechtsruck lebensbedrohliche Konsequenzen hat. Ich will ihnen international Gehör verschaffen. Ich mache das seit vier Jahren und werde meine Solidarität in diesen Zeiten nicht einfach hinschmeissen. Zudem bin ich in einer viel privilegierteren Situation.
Inwiefern?
Als Ausländerin muss ich nicht mit den gleichen Konsequenzen rechnen wie Einheimische. Ich kann das Land jederzeit verlassen, wenn es zu gefährlich wird. Viele meiner brasilianischen Kollegen können das nicht tun. Und falls mir etwas passiert, gäbe es internationales Interesse – wie beim Fall Deniz Yücel.
Was erwarten Sie von der internationalen Gemeinschaft?
Wir dürfen nicht wegschauen. Wir müssen den Finger auf die Wunde legen und darauf aufmerksam machen, was aktuell in Brasilien passiert. Der Rechtsruck hat auch Konsequenzen für Europa. Ein AfD-Politiker gratulierte Bolsonaro zum Wahlsieg. Er dürfte sich bestärkt fühlen. Das macht das Hinschauen und die unabhängige Berichterstattung aus Brasilien noch viel wichtiger. Neben der Solidarität mit den Betroffenen, die unter Rassismus, Sexismus, Homo- und Transphobie leiden, müssen wir uns auch mit Brasilien befassen, um den hiesigen, europäischen Rechtsruck einzudämmen.