Im Frühjahr 2017 wurde die «Lex CEU» verabschiedet. Sie sind immer noch hier. Wie ist der
aktuelle Status?
Zsolt
Enyedi: Die
Regierung hat die Deadline für die Schliessung bis zum 1. Januar
2019 verlängert. Bis dann müssen die ausländischen Universitäten
in Ungarn beweisen, dass sie alle Vorgaben des Gesetzes erfüllen.
Das ist teilweise sehr schwierig. In unserem Fall betrifft es einen
Vertrag zwischen der ungarischen Regierung und dem US-Bundesstaat New
York. Der Text wurde vor einem Jahr ausgehandelt und von beiden
Seiten abgesegnet. Die Amerikaner möchten ihn seither unterzeichnen,
doch die ungarische Regierung weigert sich ohne Begründung.
Stattdessen hat sie die «Gnadenfrist» verlängert und hält die
Universität in einem rechtlichen Schwebezustand.
Was
bezweckt sie damit?
Das
wissen wir nicht. Die Regierung hat letztes Jahr mehrfach erklärt, sie würde den Vertrag gerne unterzeichnen, wenn die Universität
das Gesetz vollständig einhält. Das betrifft besonders die
Einführung eines Studienprogramms in den USA, was wir auch getan
haben. Jetzt sieht es so aus, als ob sie ihr Wort nicht halten will
oder zumindest versucht, die Angelegenheit zu verschleppen.
Möglicherweise hofft sie darauf, dass die CEU von sich aus die Segel
streicht.
Sie
will die Universität quasi aus dem Land vergraulen?
Die
Lage ist verwirrend. Die Regierung sendet unterschiedliche Signale
aus. Ministerpräsident Viktor Orban hat einen neuen «Kulturkampf» angekündigt gegen sämtliche Überbleibsel der liberalen Demokratie.
Die CEU ist so etwas wie deren Verkörperung. Das Klima in Ungarn ist
für uns nicht verheissungsvoll. Gleichzeitig hoffen wir auf die
Einsicht der Regierung, dass eine derart offene Diskriminierung einer
seit 26 Jahren anerkannten Institution kontraproduktiv ist.
Orban
will die CEU loswerden, weil sie eine Insel des liberalen Denkens in
Ungarn ist?
Wir
haben konservative und linke Dozenten. Indoktrination interessiert
uns nicht. Wir unterrichten gemäss hohen akademischen Standards und
unterscheiden uns kaum von den grossen Hochschulen in der Schweiz. Es
trifft aber zu; wir haben eine positive Einstellung gegenüber
liberaler Demokratie, offener Gesellschaft und Rechtsstaatlichkeit.
Das ist im ungarischen Klima zunehmend ein Problem. Es ist
nachvollziehbar, dass die Regierung uns nicht besonders mag. Aber wir
sind eine kleine Universität für Nachdiplomstudien. Ich denke
nicht, dass wir eine Bedrohung für das Regime darstellen. Die
Angriffe auf die CEU enthalten ein irrationales Element.
Klein
ist ein relativer Begriff. In den internationalen Rankings erhält
die CEU Bestnoten.
In
mancher Hinsicht sind wir die beste Universität nicht nur in Ungarn,
sondern in Osteuropa. Soll man uns herauswerfen, nur weil der
Ministerpräsident in gewissen Dingen nicht mit ihrem Gründer
übereinstimmt? Orbans Bürochef Janos Lazar hat letztes Jahr an
einer Medienkonferenz gesagt, die Regierung habe keine Probleme mit
der CEU gehabt, bis George Soros seine Ansichten zum Thema Migration
geäussert habe. Das ist dermassen bizarr, dass wir immer noch
hoffen, dass so etwas in einem europäischen Land nicht möglich ist.
Glauben
Sie, dass die Regierung den Vertrag mit New York doch noch
unterzeichnet?
Das
ist möglich. Eine Weigerung könnte als antiamerikanisch
interpretiert werden, und Viktor Orban will gute Beziehungen mit
Donald Trump. Auf der anderen Seite interessiert Orban nur die Macht
in Ungarn. Mit der Schliessung der CEU könnte er signalisieren, dass
keine autonome Institution im Land existieren kann, die seine
Ideologie und Weltsicht nicht akzeptiert.
Seine
Botschaft an das Ausland lautet: Mischt euch nicht in unsere
Angelegenheiten ein!
Sie
richtet sich auch an die ungarische Gesellschaft: Widersprecht uns
nicht, selbst wenn ihr eine private Universität seid, keinen Forint
vom Staat bezieht und euch an das Gesetz haltet.
Sie
sind Prorektor für ungarische Angelegenheiten und verhandeln mit der
Regierung. Welche Erfahrungen machen Sie dabei?
Auf
ministerialer Ebene geht seit mehr als einem Jahr überhaupt nichts.
Sie wollen nicht mit uns reden. Auf der administrativen Ebene
hingegen verlaufen die Kontakte sehr gut. Die Beamten sind sehr
rational und aufgeschlossen, aber sie sagen uns auch, dass sie nichts
tun können, weil ihre Vorgesetzten es nicht zulassen. Sie
attestieren uns, dass bei der CEU eigentlich alles einwandfrei ist,
aber öffentlich dürfen sie das nicht sagen, weil es zu gefährlich
ist.
Das
tönt absurd.
Am
Ende hängt alles von einer Person ab: dem Ministerpräsidenten. Das
gilt in unserem Fall erst recht. Selbst Orbans engste Vertraute
wissen nicht, was er mit der CEU vorhat. Vielleicht benutzt er uns
als Verhandlungspfand gegenüber der EU, den USA, Deutschland oder
wem auch immer. Oder wir sind Teil seines Kulturkampfs. Er will
zeigen, dass in Ungarn ein neuer Wind weht.
Gehört
dazu auch Orbans Kampagne gegen George Soros, der quasi zum
Volksfeind Nummer eins erklärt wurde?
Im
letzten September hat die Regierungspartei Fidesz entschieden, ihren
Wahlkampf auf das Thema Migration und die Verschwörungstheorie über
George Soros zu konzentrieren. Nach den Wahlen aber wurde diese
Rhetorik nicht etwa eingestellt, sondern noch verschärft. Das
betrifft auch uns. Wir wurden Teil dieser Verschwörungstheorie,
wonach Soros weltweit Einrichtungen unterhält, die Europa mit
muslimischen Einwanderern überfluten und das christliche Erbe
zerstören wollen. Selbst Anhänger von Fidesz hielten diese Kampagne
für zu extrem, aber Orban hat die Wahl mit grosser Mehrheit gewonnen
und kam offenbar zum Schluss, dass es funktioniert.
Tut
Europa genug, um Ihnen zu helfen? Immerhin ist Ungarn auch unter
Orban Mitglied der EU, ein Austritt scheint kein Thema zu sein.
Ungarn
und besonders Fidesz haben von der Europäischen Union in den letzten
Jahren enorm profitiert. Es wäre unklug für die Regierungspartei,
die EU zu verlassen, obwohl sie Brüssel immer wieder attackiert hat.
Denn gleichzeitig hat sie ihr Regime dank den Ressourcen der EU
gestärkt. Die EU hat versucht, die ungarische Regierung an
fundamentale Prinzipien zu erinnern. Es kam zu ziemlich deutlichen
Wortmeldungen von führenden Politikern und EU-Institutionen. Leider
kann die EU nicht allzu viel tun, weil sie sich selbst in der
Krise befindet.
Immerhin
wird zunehmend gefordert, Fidesz aus der Fraktion der Europäischen
Volkspartei (EVP) im Europaparlament auszuschliessen.
Die
EVP scheint zu denken, dass Härte in der Migrationsfrage das beste
Mittel ist gegen den Aufstieg von Parteien wie der AfD. Mit dieser
Strategie wäre es nicht ganz einfach, den Rauswurf von Viktor Orban
und seiner Partei zu erklären. Ausserdem glaubt man, Fidesz
innerhalb der EVP beeinflussen zu können, obwohl sich die
Indikatoren in Ungarn in Sachen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in
den letzten acht Jahren permanent verschlechtert haben.
Gerade
beim Rechtsstaat eröffnen sich der CEU Möglichkeiten auf
europäischer Ebene: der Gerichtshof für Menschenrechte in
Strassburg, der Europäische Gerichtshof in Luxemburg.
Die
Venedig-Kommission des Europarats hat sich bereits zu unseren Gunsten
ausgesprochen, doch die ungarische Regierung hat dieses Verdikt
zurückgewiesen. Unser Fall liegt auch vor dem EU-Gericht in
Luxemburg. Es gibt jedoch zwei Probleme: Ein solcher Gerichtsfall
benötigt Zeit, und Bildung fällt in die Kompetenz der
Mitgliedsstaaten. Der Gerichtshof kann nicht viel tun. Er muss sich
auf die Dienstleistungsfreiheit konzentrieren, die in unserem Fall
einen kleinen Teil ausmacht.
Könnten
andere Länder mehr tun, etwa die USA oder die Schweiz?
Grundsätzlich
schon. Die ungarische Regierung scheint zu hoffen, dass die Welt uns
mit der Zeit vergisst und sie zu drastischeren Massnahmen greifen
kann. Aufmerksamkeit ist deshalb sehr wichtig, und wir haben viel
Unterstützung aus der akademischen Welt erhalten. Das schätzen wir
sehr. Andernfalls wäre die Regierung wohl brutaler und drastischer
gegen uns vorgegangen. Sie achtet aber auch darauf, ob den Worten
allenfalls Taten folgen könnten. Wenn sie erkennt, dass westliche
Politiker nur reden, ist es ihr egal. Es gefällt ihr sogar, sich als
Kämpferin gegen den Westen und westliche Medien darzustellen, das
stärkt ihre nationalistische Legitimation.
Kann
überhaupt jemand Orban beeinflussen?
Vielleicht
die bayrische CSU. Sie hat Orban bis jetzt verteidigt. Das liegt
auch daran, dass der Autokonzern BMW im Osten von Ungarn ein neues
Werk baut, dank Steuererleichterungen der Regierung. Die CSU ist aus
Angst vor der AfD nach rechts gerückt. Das könnte sich nun ändern.
Wenn sie sich wieder zur Mitte orientiert, könnte Orban in gewisse
Schwierigkeiten geraten.
Sie
sind Politologe und haben populistische Bewegungen untersucht. Sie
sind in Osteuropa auf dem Vormarsch. Was ist schief gelaufen?
Ich
muss darauf hinweisen, dass in Österreich, Deutschland, der Schweiz
und vielen anderen Ländern ebenfalls populistische Parteien aktiv
sind ...
...
einverstanden ...
...
aber es trifft zu, Osteuropa ist speziell. Dieser Teil der Welt hat
die kulturellen Prozesse der 1960er Jahre und der folgenden
Jahrzehnte nicht miterlebt. Selbst das Zweite Vatikanische Konzil hat
sich auf Osteuropa kaum ausgewirkt. Die Denkweise ist illiberaler als
im Westen, und wir haben kaum Erfahrungen mit dem Zusammenleben mit
Menschen anderer Hautfarbe. Bis vor kurzem war dies kaum ein Thema,
weil es keine politische Kraft gab, die die Zurückhaltung gegenüber
Minderheiten instrumentalisiert hat.
Wie kam es zum Wandel?
Vor einigen Jahren realisierten
populistische Parteien, dass hier ein Potenzial vorhanden war,
verbunden mit einer starken Ernüchterung gegenüber dem Westen.
Zuvor waren viele Reformen möglich, weil der Osten zu einem starken,
prosperierenden Westeuropa aufschliessen wollte. Heute erkennen diese
osteuropäischen Politiker, dass die EU ihre Prinzipien nicht
durchsetzen kann und sie mit allem durchkommen.
Viktor
Orban hat an der «Sommeruniversität» von Fidesz angekündigt,
seine illiberale oder christliche Demokratie exportieren zu wollen.
Worauf müssen wir uns gefasst machen?
Einiges
davon ist nur Gerede. Als Anführer eines kleinen Landes kann er
allein das Denken im Westen nicht umkrempeln. Er weiss aber, dass es
im Westen einen Backlash gibt gegen die Einwanderung und zu einem
gewissen Grad gegen die progressive kulturelle Agenda. Es gibt eine
Rückkehr zum Nationalismus und eine negative Einstellung gegenüber
politischer Korrektheit. Im Augenblick ist er der einzige
Regierungschef, der den Kampf gegen die politische Korrektheit führen
kann. Er denkt kaum anders als Alexander Gauland oder Marine Le Pen,
doch die sind in der Opposition, während er regiert. Er denkt
deshalb, dass er eine wichtige Rolle in Europa spielen kann als
Wortführer der Massen, die genug haben von der politischen
Korrektheit.
Wie
äussert sich das konkret?
Indem
er Genderstudien verbietet oder den Nachwuchs schon im Kindergarten
für nationale Identität sensibilisiert. Er zielt auf das
Privatleben der Menschen. Wenn er von einer Rückkehr zur bewährten
christlichen Demokratie spricht, ist das nur ein Trick. Sein Denken
hat nichts zu tun mit christlicher Demokratie. Er will sich mit
christlichen Fundamentalisten in den USA verbünden, um die liberalen
Errungenschaften zurückzudrängen. Allerdings wollen die Amerikaner
möglichst wenig Staat, während Orban einen starken Zentralstaat
errichten will. Es ist ein fast schon totalitäres Konzept, in dem
alles seiner Weltsicht entsprechen muss.
Kann
er damit zum moralischen Anführer der europäischen Rechten werden?
Zu
einem gewissen Grad nutzt er den Aufruhr im Westen aus. Es kann sein,
dass er in fünf Jahren ganz anders spricht und auftritt. Er ist ein
cleverer Politiker, der seine Ansichten schon mehrfach geändert hat.
Er war einmal der Vizepräsident der Liberalen Internationalen und
begann als antiklerikaler Politiker. Heute pflegt er den moralischen
Diskurs, weil er damit Aktivisten in seiner Partei motivieren und von
Themen wie der Korruption ablenken kann.
Für
viele Rechte im Westen ist Orban ein Held, man bezeichnet ihn als «Retter Europas».
Das
ist ein Missverständnis. In der Einwanderungsfrage ist Orban gar
nicht daran interessiert, die Probleme zu lösen. Er blockiert alle
Versuche innerhalb der EU, weil er davon profitiert, wenn das Thema
an der Tagesordnung bleibt. Wer glaubt, Orban sei ein Held, der die
Einwanderung stoppt, fällt auf einen rhetorischen Trick herein.
Demnächst
beginnt das neue Studienjahr. Wie gehen Sie mit der Ungewissheit und
der drohenden Deadline um?
Die
Situation ist schwierig, obwohl unsere Studenten und Dozenten sich
ausserordentlich loyal verhalten haben. Für das kommende Studienjahr
sieht es ganz gut aus, nur in Einzelfällen haben sie sich angesichts
der politischen Lage entschieden, nicht nach Ungarn zu kommen. 80
Prozent unserer Studenten und 60 Prozent der Dozenten stammen aus dem
Ausland. Unsere Professoren kommen aus der Schweiz und anderen
Ländern, ein Umzug ist eine weitreichende Entscheidung. Bislang
konnten wir dem Druck widerstehen, aber ewig kann es nicht so
weitergehen.
Warum
soll man in dieser schwierigen Lage überhaupt noch an die CEU
kommen?
Unsere
wirtschaftliche Basis ist ziemlich stabil, und wir haben Programme in
New York und Wien gestartet. Wir können diversifizieren, weshalb wir
als Institution nicht gefährdet sind. Unsere Existenz in der
heutigen Form in Ungarn aber ist durch die permanenten Angriffe der
Regierung, der extremen Rechten und von regierungsfreundlichen Medien
in Frage gestellt.
Sie
haben Ihren neuen Campus in Wien erwähnt. Warum ziehen Sie nicht
einfach um und verlassen Budapest?
Die
Universität wurde gegründet mit dem Ziel, den osteuropäischen
Ländern beim Übergang vom Sozialismus zur Demokratie zu helfen und
sie in die westliche, angelsächsische Hochschulwelt zu integrieren.
Dieser Aufgabe fühlen wir uns nach wie vor verpflichtet, obwohl wir
inzwischen eine sehr globale Universität sind mit Studenten aus 120
Ländern. Wir wollen bis zum letzten Moment hier arbeiten, denn wir
sind ein integraler Teil des ungarischen Bildungssystems geworden.
Wir haben die mit Abstand grösste englischsprachige Bibliothek in
der Region, die Hälfte ihrer Nutzer hat nichts mit der CEU zu tun.
Wir leisten der ungarischen Gesellschaft viele Dienste.
Erhalten
Sie eine entsprechende Wertschätzung?
Rund
80'000 Menschen sind auf die Strasse gegangen und haben gegen die Lex
CEU protestiert. Deshalb wollen wir jede Möglichkeit nutzen und bis
zum letzten Moment kämpfen.
Haben
die Proteste die Regierung beeindruckt?
Zu
einem gewissen Grad. Sie musste zur Kenntnis nehmen, dass einige
profilierte Intellektuelle, die Fidesz unterstützt hatten, sich von
der Partei abwandten. Gleichzeitig sank ihre Popularität. Als sie
jedoch den Fokus auf das Thema Migration und die angebliche
Flüchtlingsinvasion richtete, legte sie wieder zu, vor allem bei der
ländlichen Bevölkerung. Das hat die Regierung vermutlich zur
Erkenntnis gebracht, dass ihr die Angriffe auf die CEU nicht wirklich
schaden.