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Interview

Weltschmerz mit Whisky: Filmemacher Ulrich Seidl hat Angst vor dem Ende

Ulrich Seidl
Ulrich Seidl, hier in einem Wiener Kaffeehaus. Nicht zu verwechseln mit einer Solothurner Hotelbar.Bild: Sepp Dreissinger
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Weltschmerz mit Whisky: Filmemacher Ulrich Seidl hat Angst vor dem Ende

Am Rand der Solothurner Filmtage stiessen wir auf einen Melancholiker aus Österreich. Und nicht auf irgendeinen: Auf den Mann mit den grossen Filmen über die ausweglose Misere des Menschen von heute.
25.01.2017, 16:2826.01.2017, 08:15
 
Simone Meier
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Ein Hotel, irgendwo in Solothurn. Vor dem Fenster fliesst die Aare, sie ist blind vor Kälte. Irgendwo mag es warm sein. Irgendwo mögen Menschen glücklich sein. Der österreichische Filmemacher Ulrich Seidl hat soeben eine Laudatio auf ein Schweizer Dokfilm-Projekt gehalten. Dessen Arbeitstitel: «Angst». Angst passt. Denn kurz nach unserem Treffen wird in einem andern Land, jenseits eines eisig kalten Ozeans, Donald Trump vereidigt. Whisky brennt sich seinen Weg durch unsere Kehlen.

Herr Seidl, es ist kurz nach 14 Uhr, wir trinken Whisky. Machen Sie das öfter?
Auch schon früher. Aber nicht immer.

Sind Sie in dieser Hinsicht ein grosser Genussmensch?
Nachdem mein Leben ja aus Arbeit besteht, denk ich, soll man auch geniessen. Und um die Ernsthaftigkeit auszuhalten, bedarf es des Humors und der Lebensfreude.

Jetzt vielleicht noch ein bisschen mehr als sonst?
Was meinen Sie?

Trump ist an der Macht.
Der hat nur mit mir nicht wirklich was zu tun. Das ist nur ein Zufall. Die Situation, wie sie auch ist in der Welt, bahnt sich ja schon seit längerem an und spitzt sich immer mehr zu. Wenn man die Augen offen hält und in der Vergangenheit offen gehalten hat, dann weiss man ja, was sich tut.

Absaufen in Selbstgerechtigkeit: Szene aus Seidl-Film «Jesus, du weisst» (2003).Bild: Ulrich Seidl

Wie weit zurück meinen Sie mit «in der Vergangenheit»?
Die Welt war nie in Ordnung. Ich hab ja in all meinen Filmen immer schon Stellung bezogen zu der Wirklichkeit. Zu meiner Wirklichkeit, zur Wirklichkeit Österreichs, zur Wirklichkeit Europas, zur Wirklichkeit einer westlichen Gesellschaft. Insofern bedarf es für mich nicht schrecklichster Ereignisse, um darüber was sagen zu können. Die Welt hat sich so dramatisch geändert, wie man sich das vor zehn, zwanzig Jahren nicht hätte ausdenken können.

Überhaupt nicht?
Ich bin ja in der Nachkriegsgeneration aufgewachsen, und für uns war damals völlig klar, es wird nie wieder Krieg geben. Es wird eine bessere Welt geben. Wir sind völlig zuversichtlich aufgewachsen, weil wir dachten, das Schreckliche liegt hinter uns.

Für immer?
Ja. Aber das Schreckliche ist, zu erkennen, dass der Mensch, was die Geschichte anbelangt, nichts dazu lernt. Dass der Mensch ein kurzes Gedächtnis hat. Und wenn ich mir meine Kinder heute anschaue, dann wachsen die in einer andern Welt auf, nämlich in keiner zuversichtlichen Welt, sondern in einer Welt voller Gefahren, wo alles passieren kann. Wo vor allem Krieg schon passiert und sich wahrscheinlich noch mehr verbreiten wird.

Das fette Ende des Westens: Szene aus Seidl-Film «Hundstage» (2001).Bild: Ulrich Seidl

Ich habe zwei Bücher ihres Landsmannes Joseph Roth wieder gelesen, «Radetzkymarsch» von 1932 und «Die Kapuzinergruft» von 1938, und ich dachte: Fuck, er beschreibt heute! Statt der EU erodiert die K.u.k.-Monarchie von ihren armen Rändern her, die Wohlhabenden betreiben den schlimmsten Kasinokapitalismus, alle warten lethargisch auf den grossen Knall.
Ich glaube nicht, dass heute alle auf den grossen Knall warten. Letztendlich will es keiner wahrhaben und nichts tun.

Prost.
Prost. Die Politik versagt in jeder Richtung, aber das schon lange. Sie hat sich sozusagen der Wirtschaft untergeordnet und das war schon einmal der Anfang dieser schrecklichen Entwicklung. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass der Kapitalismus, der völlig unmenschlich und nur auf Profit ausgerichtet ist, die eigene Gesellschaft zerstört.

Trotzdem hatten wir am 4. Dezember 2016 das Gefühl, dass aus Österreich ein Signal der Hoffnung und des Widerstandes kommt.
Was war am 4. Dezember?

Alexander Van der Bellen wurde zum Bundespräsidenten gewählt. Man hatte sich ja bei den amerikanischen wie bei den österreichischen Wahlen das Gegenteil dessen ausgerechnet, was eingetreten ist. Also: Die USA wählt Clinton, Österreich wählt Hofer.
Das heisst das grössere Übel ist Wirklichkeit geworden, das kleinere hat sich nicht bewahrheitet!

Genau. Was im Zusammenhang des grossen Weltgeschehens natürlich nichts nützt. Was kann ein Van der Bellen zwischen Putin, Trump, Marine Le Pen und der AfD schon ausrichten?
Das ist völlig uninteressant. Es war nur für die eigene Seele gut.

Afrika, das postkoloniale Bordell: Szene aus Seidl-Film «Paradies: Liebe» (2012).Bild: Ulrich Seidl

Auch für Ihre?
Ja, aber wissend, dass das nicht vorbei ist. Das wird die FPÖ nicht stoppen. Die Entwicklung ist nach wie vor beängstigend, und die Politik ist hilflos. Es gibt keine Rezepte. Ursachen gibt’s immer viele, aber ich glaube, letztendlich hat’s auf der einen Seite mit dieser wirtschaftlichen Entwicklung und dem zügellosen Turbokapitalismus zu tun. Auf der andern Seite mit der Digitalisierung der Welt. Durch das Internet sind ganz neue Dinge möglich, die unkontrollierbar geworden sind. Die Technik gibt uns etwas an die Hand, und wir können damit gar nicht umgehen. Plötzlich entstehen so innerhalb einer Gesellschaft unfassbare, unwürdigste Dinge.

Und Lügen haben plötzlich einen faktischen Wert. Einfach, weil sie da sind.
Und man nimmt gar nicht Schaden daran, wenn man lügt! Früher sind Leute der Lüge überführt worden. Aber heute lügt man schamlos, und wenn der andere was dagegen setzt, bedroht man sein Leben.

Ist es nicht verheerend, wie sehr eine Figur wie Trump ihren perversen Unterhaltungswert hat? Das ist doch, als wäre einer direkt aus dem «Dschungelcamp» ins Weisse Haus gekommen.
Trump war eine Witzfigur, ein Fressen für die Medien. An dieser Entwicklung der Welt sind die Medien massgeblichst beteiligt, weil sie ja auch kommerziell gesteuert sind und deshalb gezielt versuchen, gewisse Dinge ins Spiel zu bringen. Man kann darüber reden, aber eine Wirkung hat es keine.

Im Geheimen gedeiht die faschistische Nostalgie: Szene aus Seidl-Film «Im Keller» (2014).Bild: Ulrich Seidl

Alle prominenten Kulturschaffenden und viele, viele Menschen protestieren gegen ihn. Was nützt das?
Nichts. Es nützt nichts. Die Gesellschaft ist und bleibt gespalten. Das ist eine endlose Reihe an Gefahren und Realitäten, die jetzt auf uns zukommen. Man kann irgendwo anfangen. Man kann auch demographisch anfangen. Es ist von der Geschichte her unvermeidbar, dass Europa verliert. Es ist unvermeidbar, dass dieser Westen zugrunde geht. Ich finde es fürchterlich, aber es ist unvermeidbar. Schon nur von der Masse an Menschen her gesehen, die nichts zum Essen und nichts zum Leben haben. Unser Wohlstand geht zu Ende.

Macht Ihnen das Angst oder sind Sie einfach resigniert?
Ich hab Angst um meine Kinder, das ist ja ganz klar. Es wäre ja auch nicht zu spät, aber die Wirtschaft hat keine Einsicht. Wir müssten unser Wirtschaftssystem anders strukturieren. Wir müssten weniger machen und nicht noch immer mehr und mehr. Wir müssten damit aufhören, immer dorthin zu gehen, wo es die am billigsten auszubeutenden Arbeitskräfte gibt, diesen alles wegzunehmen und ihnen unsere eigenen Billigprodukte zu verkaufen. Es ist doch pervers, dass man in Afrika Milch aus Holland trinken muss.

Die ungerechte Verteilung der Welt: Szene aus Seidl-Film «Safari» (2016).Bild: outside the box

Können wir überhaupt irgendwas tun?
Ich glaube, eine Revolution ist notwendig. Aber die Leute wollen keine Revolution. Als die Bankenkrise in Europa war, ist auch keiner aufgestanden und auf die Strasse gegangen. Der Steuerzahler liess sich zweimal betrügen: Einmal, indem man ihm sein Geld weggenommen hat, und einmal, indem man mit seinen Steuern die Banken saniert hat. Das ist ein Zynismus der besonderen Art.

Absolut. Aber gerade in der Schweiz habe ich das Gefühl, dass sich der Steuerzahler wahnsinnig gerne betrügen lässt: Meist stimmen die Leute bei Volksabstimmungen gegen ihre eigenen Interessen. Einfach, weil man Ihnen erfolgreich weismachen kann: Du könntest etwas verlieren.
Aber wir müssen was verlieren! Das ist doch die einzige Möglichkeit! Die Ungerechtigkeit in der menschlichen Gesellschaft hat sich immer gerächt, hat immer in Umstürzen gemündet. Irgendwann einmal kommt es zu einem Ende.

Wenigstens haben wir noch ein Glas Whisky zu trinken.
Ja.

Ende.

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