Herr Treiber, was bedeutet der Friedensvertrag zwischen Äthiopien und Eritrea?
Magnus Treiber: Der Vertrag kommt auf jeden Fall überraschend. Im Frühjahr war mir zwar bereits klar, dass sich etwas tun würde in der Region – weil Äthiopien unter dem damaligen Ministerpräsidenten Hailemariam Desalegn auf eine schwere Staatskrise zusteuerte. Allerdings hätte ich niemals damit gerechnet, dass nur wenige Monate nach der Ablösung Hailemariams durch Abiy Ahmed ein Friedensabkommen mit Erzfeind Eritrea zustande kommt.
Welche Umstände haben dieses Abkommen ermöglicht?
Sowohl Äthiopien als auch Eritrea sind Staaten, die permanent unter Spannung stehen. In Äthiopien mit seinem komplexen Geflecht verschiedener Völkergruppen spitzte sich der Unmut über die Regierung seit 2015 immer stärker zu. Das Regime kam im Frühjahr zum Schluss, dass es nur mit einem Wechsel an der Spitze überleben kann.
Und wie half dieser Führungswechsel dem Friedensvertrag?
Der bisher wenig bekannte, neue Ministerpräsident Abiy Ahmed aus der grössten Volksgruppe der Oromo versucht derzeit, eine eigene Machtbasis zu schaffen. Mit dem Friedensangebot an Eritrea versucht er, einige einflussreiche Kräfte im Land auf seine Seite zu ziehen. Der Konflikt mit Eritrea ist eine Belastung und sein Ende wird von Teilen der Gesellschaft herbeigesehnt. Vermutlich drängten auch die USA und die EU Abiy zu diesem Schritt.
Das Regime in Eritrea hat Hunderttausende als Flüchtlinge aus dem Land getrieben, wo ein repressiver und militarisierter Staat herrscht. Als Rechtfertigung diente der Konflikt mit Äthiopien. Was ändert sich nun?
Die Regierung von Langzeitherrscher Afewerki warf dem «Westen» immer vor, sich im Krieg auf die Seite Äthiopiens geschlagen zu haben. Damit rechtfertigte sie die Militarisierung und die Unterdrückung der Opposition, die teilweise von Äthiopien unterstützt wird. Das Wegfallen dieser Drohkulisse verunsichert das Regime in Eritrea. Afewerki überlegte denn auch monatelang, wie er auf das Friedensangebot Äthiopiens reagieren soll.
Und warum ging er auf den Deal ein?
Ein Friedensabkommen stärkt seine Position. Zuvor war er international isoliert und es wurde erwartet, dass in den nächsten Jahren entweder sein Regime zusammenbricht oder er aus Regierungskreisen heraus gestürzt wird. Jetzt ist Afewerki wieder ein Player, mit dem eine Transition möglich ist. Für die Unterzeichnung des Friedensvertrags bekommt er internationale Anerkennung und wird nun Forderungen stellen.
Eritrea steht international wegen seiner Flüchtlinge im Fokus. Welche Forderungen kann das Land da überhaupt stellen?
Bei den Flüchtlingen wird es jetzt knallhart ums Geld gehen. Solange die westlichen Länder die eritreischen Flüchtlinge als Problem wahrnehmen, werden sie zu Finanzhilfen für das eritreische Regime bereit sein, als Gegenleistung für die Entspannung gegenüber Äthiopien. Gehen die Flüchtlingszahlen deutlich zurück, fehlt Eritrea dieses Druckmittel. Anders als etwa Nordkorea mit seinen Atomwaffen fällt das Land dann in den westlichen Hauptstädten wieder aus den Traktanden.
Eine wichtige Fluchtursache in Eritrea ist der Nationaldienst, den theoretisch alle Bewohnerinnen und Bewohner des Landes leisten müssen. Es gibt keine gesetzliche Höchstdauer und Desertion wird hart bestraft. Wird der Nationaldienst nun abgeschafft?
Der national service wurde tatsächlich mit Verweis auf den Konflikt mit Äthiopien eingeführt. Er war allerdings je länger desto mehr einfach eine Quelle für billige Arbeitskräfte bei Regierungsprojekten. Jetzt steht die Regierung unter Zugzwang, ihn zurückzufahren. Allerdings werden dann hunderttausende junger Menschen aus dem Nationaldienst auf den «normalen» Arbeitsmarkt gelangen. Dieser existiert de facto aber gar nicht, weil es keine funktionierende Wirtschaft gibt. Um diese Herausforderung zu meistern, wird die Regierung Hilfsgelder fordern.
Das heisst im Umkehrschluss: Mit dem Wegfall des Nationaldienstes wären Eritreer keine politischen Flüchtlinge mehr, sondern Wirtschaftsflüchtlinge.
Das ist falsch. Die europäischen Staaten und die USA werden die Lage in Eritrea zwar schönreden, als ob nun die legitimen Fluchtgründe sukzessive wegfallen würden. Die Realität ist aber eine andere. An der Menschenrechtslage hat sich nichts verbessert und wird es in absehbarer Zukunft auch nicht. Auch 2016, als die Schweizer Behörden auf einer Fact-Finding Mission eine verbesserte Menschenrechtslage fest stellten, gab es ausser einer oberflächlichen Charmeoffensive des Regimes absolut keine Veränderungen.
Worin besteht diese Charmeoffensive?
Bei Flüchtlingen, die der Regierung dafür Geld bezahlen, wird bei Kurzbesuchen in der Heimat auf eine Strafverfolgung verzichtet. So können sie teilweise etwa kranke Angehörige besuchen oder Papiere organisieren. Ein langfristiges Leben in Sicherheit und ohne Verfolgung ist ihnen deshalb noch lange nicht möglich. Das Regime in Eritrea verletzt weiterhin fundamentale Menschenrechte – insbesondere bei jenen, die aus dem Ausland zurückkommen.
Langfristig betrachtet: Könnte der Frieden mit Äthiopien zu einer politischen Öffnung Eritreas führen?
Es wird auf jeden Fall zu einer Veränderung kommen. Die eritreische Führung macht sich Gedanken über eine Transition, welche die eigene Herrschaft absichert. Denn viele Mitglieder des Regimes haben im Unabhängigkeitskrieg mitgekämpft und werden langsam alt. Ich bin aber nicht optimistisch, dass dieser Prozess friedlich ablaufen wird und eine Entwicklung hin zu mehr Demokratie einleitet. Eher stehen dem Land unruhige Jahre voller Gewalt bevor – das lehrt einem der Blick auf die Geschichte der Region.
In Äthiopien sieht es besser aus. Der neue Ministerpräsident Abiy Ahmed hat zahlreiche politische Gefangene freigelassen. Sind Sie da optimistisch?
In Äthiopien sieht es momentan tatsächlich aus, als würde sich die Menschenrechtslage verbessern. Abiy hat etwa die Direktoren von fünf berüchtigten Gefängnissen entlassen und angekündigt, sie für ihre Verbrechen zu belangen. Das macht ihn sehr populär, in der Diaspora wird er derzeit wie ein Messias verehrt. Aber Abiy muss sich jetzt erst mal beweisen. Ausserdem ist er nicht ohne Gegner. Bei einer Kundgebung Ende Juni in Addis Abeba vor hunderttausenden Anhängern explodierte in seiner Nähe eine Granate. Eine Person wurde getötet und über 150 verletzt. Der Anschlag zeigt: Es gibt Kräfte im Land, die ihn gerne tot sehen würden. Wird Abiy ermordet, ist nicht nur der innenpolitische Öffnung Äthiopiens, sondern auch der Frieden mit Eritrea in Gefahr.