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Irakische Truppen erobern Mossul – doch der «IS» ist noch lange nicht geschlagen

An Iraqi Special Forces soldiers watches for Islamic State militants as they continue their advance in the Old City of Mosul, Iraq, Monday, July 3, 2017. (AP Photo/Felipe Dana)
Mitglied einer irakischen Spezialeinheit bei Mossul.Bild: Felipe Dana/AP/KEYSTONE

Irakische Truppen erobern Mossul – doch der «IS» ist noch lange nicht besiegt

Die irakischen Regierungstruppen haben Mossul nach Regierungsangaben vollständig von der Terrormiliz «Islamischer Staat» (IS) zurückerobert. Doch der «IS» ist damit noch lange nicht besiegt.
09.07.2017, 14:3909.07.2017, 16:15
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Mehr als drei Jahre kontrollierte die Terrormilz «IS» die frühere Millionenstadt Mossul. Ihr Verlust bedeutet für die Extremisten einen herben Schlag. Sie dürften künftig auf eine Guerillataktik setzen.

Sogar die Nachrichtensprecher im Irak verabschieden sich an diesem Sonntag mit dem Victory-Zeichen von ihren Zuschauern. Im Staatsfernsehen laufen ohne Unterlass Videos, die die Soldaten und ihren erbitterten Kampf um Mossul in den vergangenen fast neun Monaten glorifizieren.

Noch bevor die Regierung den Sieg offiziell verkündet, lautet die klare Botschaft: Die Terrormiliz «IS» ist aus Iraks zweitgrösster Stadt - ihrer grössten Eroberung - vertrieben. Der Sonntag wird nicht nur den Irakern als Meilenstein in Erinnerung bleiben. Als Sieg über die mächtigste Terrorgruppe der Welt.

Mossul und seine Einwohner haben einen hohen Preis bezahlt. Mehr als drei Jahre lebten die Menschen in der früheren Millionenmetropole unter dem Regime der sunnitischen Extremisten, die ihre radikale Lesart des Islams rücksichtslos durchsetzten.

Christen und andere Minderheiten wurden in die Flucht getrieben, gefangen, verschleppt oder getötet. Alkohol und Zigaretten waren genauso verboten wie Musik. Frauen durften nur voll verschleiert auf die Strasse. Seine Gegner tötete der «Islamische Staat» (IS), der die Stadt zu einem Zentrum seines «Kalifats» machte.

Das Tunnelsystem des «IS»

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Tunnelmenschen vom IS
Bei der Offensive auf Mossul stossen die Kämpfer der Peschmerga und der irakischen Armee auf ausgeklügelte Tunnelsyteme.
quelle: x03711 / azad lashkari
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Hoher Blutzoll

Auch die Offensive der irakischen Regierungskräfte, von Kampfflugzeugen der US-geführten internationalen Allianz aus der Luft unterstützt, verlangte von den Zivilisten einen hohen Blutzoll. Bis zuletzt nahmen die Extremisten Unschuldige als Schutzschilde, darunter Kinder und Frauen.

Die UNO berichtete mehrfach über Massaker der Dschihadisten an Flüchtlinge. Fast 900'000 Menschen flohen vor der Gewalt, seitdem die Offensive im Oktober begonnen hatte.

A civilian flees through a destroyed alley as Iraqi Special Forces continue their advance against Islamic State militants, in the Old City of Mosul, Iraq, Sunday, July 2, 2017. (AP Photo/Felipe Dana)
Mossul gleicht nach dem Krieg einem Trümmerhaufen.Bild: Felipe Dana/AP/KEYSTONE

Vor allem in den vergangenen Monaten häuften sich Berichte über viele Tote bei Luftangriffen. Ende Mai musste das Pentagon einräumen, dass bei einer Bombardierung rund zwei Monate zuvor mehr als 100 Zivilisten ums Leben gekommen seien.

Die Extremisten hätten in einem Gebäude Sprengstoff platziert, erklärte das US-Verteidigungsministerium. Doch Kritiker sahen in der hohen Zahl ziviler Opfer auch eine Folge gelockerte Einsatzregeln der US-Luftwaffe nach dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump.

In Schutt und Asche

Grosse Teile Mossuls wurden bei den Kämpfen in Schutt und Asche gelegt. Besonders der Westen der durch den Fluss Tigris geteilten Stadt ist massiv zerstört. Vom IS gesprengt wurde die Grosse Moschee, ein Wahrzeichen nicht nur der Stadt, sondern auch ihres Kalifats, das sie nicht der Armee überlassen wollte.

Hier hatte sich «IS»-Chef Abu Bakr Al-Bagdadi 2014 das erste Mal öffentlich gezeigt. Ganze Viertel gleichen Trümmerwüsten, in denen auf absehbare Zeit kaum ein Mensch leben kann. Der Wiederaufbau wird Milliarden kosten und Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte dauern.

Mit ihrer Niederlage in Mossul hat die Terrormiliz einen herben Rückschlag erlebt und ihre letzte grosse Hochburg im Irak verloren. Militärisch ist sie dort weitestgehend geschlagen. Zugleich wächst der Druck im Nachbarland Syrien, wo ein von Kurden angeführtes Bündnis bis in die nordsyrische «IS»-Bastion Al-Rakka vorgedrungen ist, die heimliche Hauptstadt des Kalifats.

Nicht endgültig besiegt

Doch endgültig besiegt ist der «IS» mit dem Verlust Mossuls noch lange nicht, auch nicht im Irak. Noch immer halten die Extremisten kleinere irakische Städte und Orte.

Zudem rechnen Beobachter damit, dass die Dschihadisten untertauchen, um zum Beispiel aus den riesigen Wüstengebieten im Westen des Landes heraus in Guerillataktik zuzuschlagen. So überlebten die «IS»-Vorgänger schon einmal, als sie vor rund zehn Jahren am Ende des irakischen Bürgerkriegs geschlagen schienen.

FILE - In this June 16, 2014 file photo, demonstrators chant pro-Islamic State group, slogans as they carry the group's flags in front of the provincial government headquarters in Mosul, 225 mile ...
Viele von ihnen dürften jetzt untertauchen: Anhänger des «Islamischen Staates» im Jahr 2014 in Mossul.Bild: STR/AP/KEYSTONE

Schon jetzt zeigen unzählige Selbstmordanschläge vor allem in Bagdad, aber auch anderenorts, welche Gefahr von den Extremisten ausgeht. Auch mit Attentaten ausserhalb des Iraks ist zu rechnen, etwa in Europa. Bereits in der Vergangenheit haben die Extremisten auf militärische Rückschläge immer wieder mit Terrorangriffen reagiert.

Ungelöste Spannungen

Besiegt ist der «IS» auch deshalb noch nicht, weil zentrale Konflikte im Irak, die ihm den Weg bereiteten, noch längst nicht gelöst sind. Vor allem die Spannungen zwischen den beiden grossen islamischen Konfessionen, den Schiiten und Sunniten, schwelen weiter.

Seit dem Sturz des Langzeitherrschers Saddam Hussein im Jahr 2003 kontrollieren die Schiiten nicht nur die Regierung, sondern auch die Ressourcen des ölreichen Landes. Über Jahre vernachlässigte die Führung in Bagdad mehrheitlich sunnitischen Gebiete.

Proteste liess die Regierung unter dem damaligen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki niederschlagen und trieb so viele Iraker in die Arme der Extremisten. Bis heute hat sich an diese Haltung der Zentralregierung nicht grundlegend geändert. Vielmehr droht die nächste Eskalation.

Im Zuge der Offensive auf Mossul sind auch Schiitenmilizen bis weit ins sunnitsche Kernland vorgerückt. Mit ihren Kontrollposten beherrschen sie das Umland Mossuls und auch Teile der Grenze zu Syrien.

Die vor allem vom Iran finanzierten Gruppen stehen zwar offiziell unter dem Kommando von Ministerpräsident Haidar al-Abadi, führen aber ihre Eigenleben. Vor allem verfolgen sie ihre eigene politische Agenda.

Eine dauerhafte Präsenz der Schiitenmilizen im Nordirak dürften die Sunniten kaum akzeptieren. Ihnen schwebt eine ganze andere Zukunft vor Augen: ein selbst verwaltetes Gebiet mit grösstmöglicher Autonomie - doch davon will die Regierung in Bagdad nichts wissen. (cma/sda/dpa)

Sniper War in Mossul

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Sniper War in Mossul
Mitglied einer Scharfschützen-Einheit der irakischen Spezialkräfte in Mossul (07.03.2017).
quelle: x90151 / thaier al-sudani
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Das Erklärvideo:

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