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Islamischer Staat (IS)

Sechs Gründe, warum der IS nur schwer zu besiegen ist

In Kobane haben die Luftangriffe zum Ende der Belagerung beigetragen. Ansonsten sind sie weitgehend erfolglos.
In Kobane haben die Luftangriffe zum Ende der Belagerung beigetragen. Ansonsten sind sie weitgehend erfolglos.
Bild: SEDAT SUNA/EPA/KEYSTONE

Sogar Russland und die USA sind sich einig: Der IS muss bekämpft werden – 6 Gründe, warum die Terrormiliz trotzdem schwer zu besiegen ist

Russland schliesst sich dem Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) in Syrien an. Die Dschihadistentruppe hat viele Feinde und kaum gewichtige Freunde. Dennoch könnte sie sich noch lange halten.
29.09.2015, 16:5430.09.2015, 12:19
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Wladimir Putin griff zu einem grossen historischen Vergleich. Während seiner Rede vor der UNO am Montag schlug der russische Präsident eine internationale Koalition im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) vor. Als Vorbild nannte er die Anti-Hitler-Koalition im Zweiten Weltkrieg. Muslimische Länder sollten dabei eine Hauptrolle spielen. Nach seinem Treffen mit US-Präsident Barack Obama schloss Putin russische Luftangriffe auf den IS nicht aus.

Für die Kämpfer des selbst ernannten «Kalifats» müsste dies eine furchterregende Perspektive sein. Mächtige Freunde hat der IS keine, so gut wie alle Staaten sind gegen ihn. Seit mehr als einem Jahr fliegt eine von den USA geführte Koalition Luftangriffe gegen die Terrormiliz. Frankreich hat am Wochenende ebenfalls seine Luftwaffe erstmals gegen den IS eingesetzt.

IS-Hauptstadt Rakka

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«IS»-Hauptstadt Raqqa
Die «IS»-Hochburg Raqqa: Zeichen der Zerstörung.
quelle: raqa media center / str
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Bewirkt haben die Luftschläge wenig. Der IS kontrolliert im Irak und in Syrien ein Gebiet so gross wie Grossbritannien. Warum sind die Dschihadisten trotz der geballten internationalen Gegnerschaft nur schwer zu besiegen? Mehrere Gründe sind dafür verantwortlich:

Instabile Länder

Der Irak ist geprägt durch die Rivalität zwischen der schiitischen Mehrheit und der sunnitischen Minderheit, die unter Diktator Saddam Hussein das Land beherrschte. Seit dem Abzug der US-Truppen 2011 hat sie sich verschärft, viele Sunniten fühlen sich von den Schiiten unterdrückt. Der sunnitische IS, der aus der Terrororganisation al-Kaida im Irak hervorgegangen war, profitierte davon und und eroberte weite Gebiete, darunter die Millionenstadt Mossul.

Die Rückeroberung kommt nicht voran. Die irakische Armee verfügt über moderne US-Ausrüstung, ist aber wenig motiviert und mehrfach vor den IS-Schergen davon gerannt. Die Regierung in Bagdad und ihre «Schutzmacht» Iran setzen deshalb auf schiitische Milizen, die bei den Sunniten oft mehr verhasst sind als der IS. Eine geschlossene Front gegen das «Kalifat» existiert nicht, auch die Kurden im Norden des Landes führen ihren Kampf weitgehend allein.

Die antike Oasenstadt Palmyra

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Schau dir die antike Oasenstadt Palmyra nochmals an, bevor der «IS» sie zerstört
Touristen 2008 im Theater.
quelle: x03128 / omar sanadiki
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In Syrien tobt seit vier Jahren ein brutaler Bürgerkrieg, der unzählige Menschen in die Flucht getrieben hat. Der IS profitierte vom Chaos und riss sich ein grosses Gebiet im Nordosten unter den Nagel. Die Stadt Rakka wurde zu einer Art Hauptstadt des Kalifats. Zuletzt wurde die Stadt Palmyra mit ihren antiken Ruinen erobert. Machthaber Baschar Assad will sich dem Westen als Bollwerk gegen den IS andienen, in erster Linie aber bekämpft er die gemässigteren Rebellen.

Radikalität

In den eroberten Gebieten hat der IS rudimentäre staatliche Strukturen errichtet und damit einen Teil der Bevölkerung auf seine Seite gezogen. Wer nicht spurt, muss mit brutaler Vergeltung rechnen. Öffentliche Enthauptungen sind fast an der Tagesordnung. Damit schüchtert die Terrormiliz die Zivilbevölkerung und gegnerische Soldaten ein. Ihre Untaten verbreitet sie via soziale Netzwerke und sorgt damit für Abscheu wie auch Faszination bei potenziellen Kämpfern.

Ramadi: Flucht vor dem IS-Terror

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Ramadi: Flucht vor dem IS-Terror
25'000 Menschen sind laut der UNO aus dem Westirak geflohen, nachdem die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) die Provinzhauptstadt Ramadi eingenommen hatte.
quelle: x80014 / stringer/iraq
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Rund 30'000 ausländische Kämpfer haben sich der New York Times zufolge den Kopfabschneidern in Syrien und im Irak angeschlossen. Die Türkei kontrolliert die wichtigsten Verbindungsrouten ins IS-Gebiet inzwischen besser als früher. Ausserdem häufen sich die Berichte über Deserteure, die sich in den Dschihad locken liessen und stattdessen Gewalt, Korruption und Entbehrungen vorfanden. Noch aber scheint der IS personell nicht spürbar geschwächt zu sein.

Saddam-Offiziere

Der Islamische Staat ist nicht einfach eine terroristische Gruppe, sondern eine effiziente Armee. «Ich habe noch nie so etwas Machtvolles wie den IS gesehen, diese Kombination aus Fanatismus und vorzüglicher militärischer Ausbildung», sagte der deutsche Publizist und IS-Kenner Jürgen Todenhöfer im Interview mit watson.

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Bild: SUHAIB SALEM/REUTERS

Der IS profitiert dabei vom Knowhow ehemaliger Offiziere des gestürzten irakischen Diktators Saddam Hussein. Sie wollen sich für ihre Entmachtung rächen und die verhassten Schiiten bekämpfen. Wichtigster Kopf war Izzat Ibrahim al-Duri, ein einstiger Vertrauter von Saddam. Er soll im April in der Nähe von Tikrit ums Leben gekommen sein.

Finanzierung

Der Ölschmuggel ist durch Luftangriffe auf Förderanlagen stark eingebrochen. Dennoch verfügt der IS noch immer über Ressourcen, um seinen Staat zu finanzieren. Dazu gehören das Erheben von Steuern, Schutzgelderpressungen, Zölle, aber auch Versklavung und Zwangsprostitution. Ausserdem versucht die Terrormiliz, mit der Geiselnahme von Ausländern Lösegeld zu erpressen.

Über ihre finanzielle Lage gibt es widersprüchliche Angaben. Immer wieder tauchen Berichte auf, wonach der IS auch von reichen Geldgebern aus den Golfstaaten unterstützt wird.

Keine Bodentruppen

Die Luftschläge der internationalen Allianz haben die Eroberung der Stadt Kobane verhindert. Ansonsten aber haben sie wenig Wirkung entfaltet. Der IS hat seine Taktik angepasst. Er verschiebt seine Truppen nicht mehr im Konvoi, sondern in kleinen Gruppen. Schweres Gerät wird nachts bewegt. Ausserdem verschanzen sich die Dschihadisten in den Städten. Diese werden kaum bombardiert, aus Furcht vor hohen Verlusten unter der Zivilbevölkerung.

Kampf um Kobane

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Kampf um Kobane
Das bekannte Bild: Explosionen in der Stadt Kobane.
quelle: epa/epa / tolga bozoglu
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Den Einsatz von Bodentruppen schliessen die USA und ihre Verbündeten kategorisch aus. Wladimir Putin erklärte am Montag ebenfalls, von einem derartigen Engagement könne «keine Rede sein». Und die lokalen Streitkräfte und Milizen sind aus den oben erwähnten Gründen nur bedingt in der Lage, den IS zu bekämpfen.

Uneinige Gegner

Der IS profitiert davon, dass seine Gegner keineswegs geschlossen agieren. Jordanien und Libanon, die den grössten Teil der Syrien-Flüchtlinge aufgenommen haben, wollen in erster Linie nicht in den Konflikt hineingezogen werden. Die öffentliche Verbrennung eines jordanischen Kampfpiloten hat diese defensive Haltung nur kurz erschüttert. Die Türkei steckt mehr Ressourcen in den Kampf gegen die kurdische PKK, sie wird als grössere Bedrohung betrachtet als der IS.

Dubios ist die Rolle der Golfstaaten. Saudi-Arabien behauptet, erst am Montag eine IS-Terrorzelle ausgehoben zu haben. Ausserdem beteiligen sie sich an den US-geführten Luftangriffen. Gleichzeitig bekämpft der IS mit Assad und der irakischen Regierung zwei enge Verbündete des Iran, mit dem Saudi-Arabien um die Vormachtstellung in der Region ringt. «Die wichtigste Lebensversicherung für den Islamischen Staat bleibt der eskalierende Machtkampf zwischen dem Iran und Saudi-Arabien», schrieb die Wochenzeitung Die Zeit.

Wie lässt sich der IS besiegen?

Die meisten Beobachter sind sich einig, dass der IS nicht so schnell verschwinden wird, obwohl er auch unter Muslimen überwiegend verhasst ist. An Vorschlägen zu seiner Bekämpfung mangelt es nicht. Der CNN-Terrorexperte Peter Bergen hat zehn Ideen formuliert. Dazu gehören Publizität für Deserteure, damit sie von ihren Erfahrungen berichten, und Unterstützung für muslimische Kleriker, die sich aktiv bemühen, jungen Menschen von Dschihad-Phantasien abzubringen.

Eine Assad-Anhängerin küsst ein Bild von Wladimir Putin.
Eine Assad-Anhängerin küsst ein Bild von Wladimir Putin.
Bild: Muzaffar Salman/AP/KEYSTONE

Deutlich ambitionierter sind die Vorschläge von Jürgen Todehöfer in einem Gastbeitrag für die Berliner Zeitung. Der ehemalige CDU-Abgeordnete konnte als einer von wenigen Westlern das IS-Gebiet besuchen, er hat darüber ein Buch verfasst. Er fordert den Westen auf, «im Irak und in Syrien eine Aussöhnung der bitter verfeindeten Volksgruppen zu erreichen». Ausserdem soll er Saudi-Arabien und die Golfstaaten zwingen, «ihre Unterstützung des Terrorismus mit Waffen und Geld zu beenden».

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«Nur ein vereinter Irak und ein vereintes Syrien können den IS in jene Hölle schicken, in die er gehört», schreibt Todenhöfer. Dazu müsse auch Baschar Assad eingebunden werden. Das sei bitter, aber Frieden in Syrien werde es nur «mit dem bei seinen Gegnern so verhassten Diktator geben». Auch Wladimir Putin hat vor der UNO diese Position bekräftigt. Sie scheint im Westen zunehmend auf offene Ohren zu stossen.

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5 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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kiawase
29.09.2015 18:09registriert April 2014
Putin ist der einzige der in dieser Angelegenheit vernünftige Vorschläge macht. Die USA sollten grossen Zurückhaltung zeigen weil sie für die exsitenz des IS mitverantwortlich sind
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Thanatos
29.09.2015 19:13registriert Dezember 2014
Ich hoffe, dass Putin jetzt kräftig Gas gibt. Da die Saudis ja den IS offensichtlich unterstützen um den Iran zu schwächen, würden die USA den Saudis ans Bein pinkeln, wenn sie die Sache in die Hand nähmen.
Man mag sich über die Person Putin streiten, aber dumm ist er auf jeden Fall nicht.
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