International
Islamischer Staat (IS)

Darum werden die USA keine Bodentruppen nach Syrien schicken

Preisgekrönt: Das Bild eines US-Marine, der seine Puppe als Maskottchen in den Häuserkampf von Falludscha mitgebracht hat.
Preisgekrönt: Das Bild eines US-Marine, der seine Puppe als Maskottchen in den Häuserkampf von Falludscha mitgebracht hat.
Bild: AP

Falludscha – oder warum die Amerikaner sich hüten werden, Bodentruppen nach Syrien zu schicken

Die Rückeroberung der irakischen Wüstenstadt hat die US-Armee vor zehn Jahren beinahe hundert tote Soldaten und Milliarden Dollar gekostet. Die Amerikaner werden diesen Fehler bei Mosul oder Rakka nicht wiederholen.
26.11.2015, 15:2627.11.2015, 15:12
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Falludscha ist eine nicht sehr grosse Stadt in der irakischen Provinz Anbar. Trotz dem erfolgreichen Feldzug gegen das Regime von Saddam Hussein gelang es Al-Kaida-Kämpfern in der Stadt, Fuss zu fassen und Angst und Schrecken zu verbreiten. 2004 beschloss das US-Oberkommando die Operation «Phantom Fury» zu starten. Eine Streitmacht von mehr als 13'000 Soldaten – Amerikaner, Briten und Iraker – machten sich daran, Falludscha zurückzuerobern.

So brutal war der Häuserkampf in Falludscha.
YouTube/MAHARBAL5022

Der Aufwand war gigantisch: Um 500 Al-Kaida-Kämpfer zu vertreiben, mussten sich die Alliierten während Wochen in einen gefährlichen und aufwändigen Kampf um jedes Haus einlassen. 107 Soldaten verloren dabei ihr Leben, 95 davon Amerikaner. Der Aufwand war weitgehend nutzlos. Zehn Jahre später war Falludscha eine der ersten Städte, die in die Hände des «IS» fielen.

Alle fordern Bodentruppen, niemand schickt sie

«Die Schlacht um Falludscha ist ein Mahnmal für alle westlichen Regierungen bei ihrem Versuch, die militärischen Anstrengungen gegen die Terroristen zu verstärken», stellt die «Financial Times» fest. Die Forderung nach Bodentruppen ist schnell gestellt, aber sehr schwer einzulösen.

Das zeigt derzeit auch das Beispiel von Ramadi. Seit Monaten versuchen rund 10'000 Mann der regulären irakischen Armee mit US-Luftunterstützung die Stadt vom «IS» zu befreien. Sie kommen kaum voran. Und auch das wäre bloss ein Teilerfolg.

Hollande und Obama: Nur ein bescheidenes Aufstocken der Luftangriffe.
Hollande und Obama: Nur ein bescheidenes Aufstocken der Luftangriffe.
Bild: Andrew Harnik/AP/KEYSTONE

Koalition gegen den «IS» ist Wunschdenken

Um den «IS» wirksam zu treffen, müsste er auch aus Tikrit und Mosul vertrieben werden, ebenso aus den besetzten Städten in Syrien. Diesen Aufwand werden die US-Truppen nicht auf sich nehmen. Mehr als eine Zusage für ein bescheidenes Aufstocken der Luftangriffe konnte daher der französische Präsident François Hollande bei seinem Besuch in Washington US-Präsident Barack Obama nicht entlocken.  

«Die Türkei schäumt innerlich vor Wut, seit die Russen ihre militärische Operation gegen Syrien begonnen haben.»
New York Times

Die Koalition gegen den «IS», die sich Hollande erhofft, ist Wunschdenken. Dazu sind die Interessen der einzelnen Länder zu unterschiedlich. Das hat der Abschuss des russischen Kampfjets durch die türkische Luftabwehr gezeigt.

Putin und Erdogan haben nicht die gleichen Interessen

Wladimir Putin setzt nach wie vor alles daran, das Regime von Bashar al-Assad an der Macht zu halten. Deshalb haben russische Flugzeuge auch Dörfer mit türkischstämmiger Bevölkerung im Grenzgebiet zwischen Syrien und der Türkei bombardiert. Die Russen vermuten dort Oppositionelle gegen das Assad-Regime, die nicht dem «IS» angehören.

Die Türkei ist Mitglied der Nato. Sollte also der Konflikt zwischen der Türkei und Russland eskalieren, dann könnten die Dinge sehr rasch ausser Kontrolle geraten.
Bietet Putin Paroli: Der türkische Präsident Recep Erdogan.
Bietet Putin Paroli: Der türkische Präsident Recep Erdogan.
Bild: UMIT BEKTAS/REUTERS

Die Russen haben mit diesem Vorgehen in ein Wespennest gestochen. «Die Türkei schäumt innerlich vor Wut, seit die Russen ihre militärische Operation gegen Syrien begonnen haben», stellt die «New York Times» fest.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan mag im Geist ein Seelenverwandter Putins sein, in der Sache hat er völlig andere Interessen. Soner Cagaptay, Türkei-Experte im Washingtoner Institute for Near East Policy, erklärt: «Die aggressive türkische Haltung im syrischen Bürgerkrieg hat zum Ziel, eine Niederlage der von der Türkei unterstützten Rebellen zu verhindern.»

Die militärische Bedeutung des «IS» ist unerheblich

Die Türkei ist Mitglied der Nato. Sollte also der Konflikt zwischen der Türkei und Russland eskalieren, dann könnten die Dinge sehr rasch ausser Kontrolle geraten. Die USA haben deshalb alles Interesse daran, den Konflikt zu deeskalieren, zumal sie kaum wirtschaftliche Interessen im Gebiet haben.

«Aggressive Anstrengungen, den ‹IS› zu zerstören, könnten ihm helfen zu überleben, besonders dann, wenn die USA die Führung übernehmen.»
Politologe Stephen M. Walt in «Foreign Affairs»

Kommt dazu, dass die militärische Bedeutung des «IS» nebensächlich ist. Mit Selbstmordattentaten können die Terroristen kurzfristig Angst und Schrecken verbreiten und grosse Emotionen auslösen. Sie sind jedoch weit entfernt davon, eine ernsthafte militärische Bedrohung darzustellen.

US-Truppen wären kontraproduktiv

Falludscha hat gezeigt, dass eine massive Militäroperation des Westens mehr Schaden als Nutzen anrichtet. Das alte Vorurteil des Imperialisten wird so bestätigt und die Solidarität mit den Rebellen gestärkt. Oder wie der Harvard-Politologe Stephen M. Walt im Magazin «Foreign Affairs» schreibt: «Aggressive Anstrengungen, den ‹IS› zu zerstören, könnten ihm helfen zu überleben, besonders dann, wenn die USA die Führung übernehmen.»

Bilder aus einer vom «IS» befreiten Stadt: Wie Kobane sich zur Normalität zurückkämpft

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Lebenszeichen aus Kobane
Schwerter zu Pflugscharen: Ein kaputter Panzer dient als Kletterstange.
quelle: epa/epa / sedat suna
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5 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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ferox77
26.11.2015 18:41registriert Oktober 2015
Dem Daesh (IS) haben sich lauter finstere Figuren angeschlossen. Kleinbürger mit sadistischen Fantasien, Kriminelle und andere Gestalten. Beim Daesh scheint diese Masche gut zu funktionieren. Muslimische Jungmänner mit Minderwertigkeitskomplex werden aus den europäischen Migranteghettos rekrutiert. Es ist auch einfach zuverlockend, wenn man befreit von jeder Moral und jeglichem Recht mal so richtig schön die Sau rauslassen kann. Der Daesh gehört nach allen Reglen der Kriegs-Kunst vernichtet, besser heute als morgen.
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DerWeise
26.11.2015 18:14registriert Februar 2014
"Türkei ist Mitglied der Nato"

Umso krasser, unterstützt die Türkei offenkundig den IS seit Jahren und damit eine Organisation, die mitlerweile selbst Nato-Länder "angreift".

Glück für Erdogan hält er die Flüchtlings-Trumpfkarte...

Er steuert zum einen wieviel Nachschub IS, Nusra und co bekommt, anderseits auch wieviele Flüchtlinge auf Europa zukommen.
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