International
Israel

Aufruf zum Völkermord in Tel Aviv? Ein verstörendes Bild und seine Geschichte 

Aufruf zum Völkermord in Tel Aviv? Ein verstörendes Bild und seine Geschichte 

22.04.2016, 07:46
Kian Ramezani
Folge mir
Mehr «International»

Die Erschiessung eines am Boden liegenden palästinensischen Angreifers durch einen Soldaten wühlt Israel noch immer auf. Am Montag entschied ein Militärgericht, den 19-jährigen Armeeangehörigen wegen Totschlags anzuklagen. Die Stimmung in der Bevölkerung ist aufgeheizt, viele empfinden es als ungerecht, dass ein Soldat für die Liquidierung eines «Terroristen»* belangt werden kann.

Am Dienstag fand in Tel Aviv auf dem Rabin-Platz eine Kundgebung für den angeklagten Soldaten statt. Dabei entstand ein Bild, das seither in den Sozialen Medien die Runde macht.

Bild
Bild: JIM HOLLANDER/EPA/KEYSTONE

Eine Demonstrantin hält ein Plakat in die Höhe, auf dem «KILL THEM ALL» (Tötet sie alle!) steht. Auf Twitter gehen einige davon aus, dass damit Araber im Allgemeinen gemeint sind – was einem Aufruf zum Genozid gleichkäme.

Trita Parsi, Vorsitzender des National Iranian American Council in Washington D.C. erinnerte das Foto an eine Unterhaltung mit einem israelischen General: 

Wie so oft erzählt ein Bild nicht die ganze Geschichte. Das Schild, das besagte Demonstrantin in die Höhe hielt, war beidseitig beschrieben:

Bild
Bild: JIM HOLLANDER/EPA/KEYSTONE

«Zuviele Terroristen im Gefängnis», hiess es auf der Vorderseite. Die Aufforderung «Tötet sie alle!» richtet sich demnach nicht an alle Araber, sondern an jene, die israelische Soldaten und Zivilisten angreifen. Eine solche Haltung ist keineswegs mit einem Rechtsstaat vereinbar, aber sie entspricht auch keiner Aufforderung zum Genozid. Laut der Zeitung «Times of Israel» sei das Plakat «innert Minuten entfernt» worden. 

Sollte dadurch der Eindruck entstehen, dass diese Frau sich komplett ausserhalb des israelischen Mainstreams bewegt, wäre das allerdings auch falsch. Bei einer Veranstaltung für den angeklagten Soldaten in dessen Heimatort Anfang April erhielt er Unterstützung von einem Abgeordneten der regierenden Likud-Partei.

«Es ist Zeit, mit der politischen Korrektheit aufzuhören und auszusprechen, was alle sagen wollen: Jeder Angriff muss mit einer Kugel im Kopf des Terroristen enden. Punkt.»
Oren Hazan, Abgeordneter der Likud-Partei (02.04.2016)quelle: youtube
streamable

Nicht dass es in Israel keine Leute gäbe, welche die Erschiessung aller Araber fordern und sich auch nicht scheuen, dies in die Kamera zu sagen: «Jeder Araber verdient eine Kugel in den Kopf», sagte ein jüdischer Extremist im Anschluss an die Veranstaltung im Heimatort des Angeklagten.

streamable

Der Hass dieser Leute richtet sich allerdings nicht nur gegen Araber und arabische Angreifer und Terroristen, sondern zunehmend auch gegen die Regierung Netanjahu. Diese war von der Unterstützung für den Soldaten aus der Bevölkerung auf dem falschen Fuss erwischt worden. In einer Umfrage eines israelischen TV-Senders sprachen sich 57 Prozent gegen eine Verhaftung des Soldaten aus – geschweige denn eine Verurteilung oder Anklage. Netanjahu betont seither unablässig, dass er ein faires Verfahren erhalten werde und alle Faktoren berücksichtigt würden.

Besondere Verachtung schlägt Verteidigungsminister Moshe Ya’alon entgegen. Er macht sich Sorgen um das Image der israelischen Armee, wenn breite Bevölkerungsschichten das Verhalten des besagten Soldaten gutheissen. Diese verglich er indirekt mit dem «IS», der für seine Exekutionen bekannt ist. Der Vergleich erscheint im Widerspruch zu früheren Aussagen Ya'alons. Nach einer Messerattacke 2014 hatte er etwas kryptisch gesagt, dass «alle Terroristen getötet werden müssen», «abhängig von den Umständen».

* Der Autor verzichtet in diesem konkreten Zusammenhang auf die Bezeichnung «Terrorist», wie sie in Israel üblich ist. Der besagte Vorfall ereignete sich in Hebron, also im besetzten Westjordanland. Der Angriff galt nicht Zivilisten, sondern Soldaten, also Angehörigen einer Besatzungsarmee. Das mag den Angriff nicht rechtfertigen, gleichzeitig erscheint die Bezeichnung «Terrorist» übertrieben.

Hol dir jetzt die beste News-App der Schweiz!

  • watson: 4,5 von 5 Sternchen im App-Store ☺
  • Tages-Anzeiger: 3,5 von 5 Sternchen
  • Blick: 3 von 5 Sternchen
  • 20 Minuten: 3 von 5 Sternchen

Du willst nur das Beste? Voilà:

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
120 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
rodolofo
22.04.2016 08:07registriert Februar 2016
Traurig, enttäuschend aber menschlich:
Aus (jüdischen) Opfern des Holocaust sind (israelische) Täter geworden...
Das ist der Teufelskreis der Blutrache.
Aber heute ist ein neuer Tag!
Wir haben gesehen, wohin die Eskalation der Gewalt führt, und wir sehen es wieder einmal überdeutlich in Syrien!
Hört endlich auf mit dem Scheiss!
Seht ihr denn nicht, wie die Kinder weinen?
Was spielt es denn für eine Rolle, ob ihr "Israeli", oder "Palästinenser" seid?!
Das sind doch Äusserlichkeiten, wie Kleider!
Wichtig ist nur, dass ihr ein HERZ habt!
Hört Ihr, wie es pulsiert?
Wie die Brandung des Meeres.
8826
Melden
Zum Kommentar
avatar
Sapere Aude
22.04.2016 12:03registriert April 2015
Wehrlose Gefange zu erschiessen ist ein Kriegsverberchen, dies ist mit nichts zu entschuldigen oder zu begründen.
6510
Melden
Zum Kommentar
avatar
cherezo
22.04.2016 09:20registriert März 2016
Oder wie wärs mit einem Artikel zum Thema "KILL ALL THE JUICE"? Fruchtsaft hat schon so viel Leid auf dieser Welt angerichtet, da muss endlich Gegensteuer gegeben werden.
Aufruf zum Völkermord in Tel Aviv? Ein verstörendes Bild und seine Geschichte 
Oder wie wärs mit einem Artikel zum Thema "KILL ALL THE JUICE"? Fruchtsaft hat schon so viel Leid auf diese ...
346
Melden
Zum Kommentar
120
Mercedes-Benz ruft 261'000 SUVs zurück – gleiche Autos wie letzte Woche, anderer Grund

Rückruf bei Mercedes-Benz: Erneut sind die SUV-Modelle GLE und GLS betroffen. Nach dem Rückruf in der vergangenen Woche wegen einer möglichen Brandgefahr gibt es nun einen anderen Grund.

Zur Story