Im Meer von jubelnden Fans und auch auf den Strassen von Doha taucht vermehrt eine Flagge in den panarabischen Farben weiss, schwarz, grün und rot auf. Gehisst wird sie hauptsächlich von Fussballfans aus Ägypten, Tunesien, Marokko und Saudi-Arabien.
Es ist nicht die Fahne ihrer Heimat. Es ist auch nicht der Gegenspieler der One-Love-Binde. Und sie dient auch nicht dem Fussball. Der Staat hinter der Fahne: Palästina.
Die Tunesier entrollten im Stadion während der Partie gegen Australien eine Palästina-Fahne, während sich die Marokkaner im Spiel gegen Belgien mit Gesang solidarisch zeigten. «An unser geliebtes Palästina, das schönste aller Länder» singen marokkanische Fans, nach dem historischen 2:0-Sieg.
"To our beloved Palestine, the most beautiful of all countries"
— Middle East Eye (@MiddleEastEye) November 27, 2022
Morocco World Cup fans sing in solidarity with Palestine in Qatar. The North African country went on to beat Belgium today in a historic 2-0 win, their first World Cup victory in 24 years pic.twitter.com/Ir2iEtZsp3
Doch die Unterstützung für die Palästinenser beschränkt sich in Katar nicht nur auf Gesang oder das Hissen von Flaggen. Israelische Journalisten berichten von Feindseligkeit und Konfrontationen mit Fans aus der arabischen Welt.
Obwohl weder Palästina noch Israel am Turnier teilnehmen, spiegelt sich der jüngste politische Brennpunkt auch an der ersten Weltmeisterschaft in der arabischen Welt wider.
In Anspielung auf die «Nakba» (Katastrophe), wie im arabischen Sprachgebrauch die Vertreibung von Hunderttausende Palästinensern im Jahr 1948 bezeichnet wird, hissen tunesische Fans im Al Janoub Stadium das Banner mit der Aufschrift «Free Palestine».
Aber auch abseits der Tribüne tummeln sich Fussballfans aus der arabischen Welt, die sich mit den Palästinensern solidarisieren. Mit Fahnen und Schals über den Schultern schlendern sie durch die Strassen Dohas.
The local people of Qatar have turned the #WorldCup into a Palestine festival and we love to see it! #FreePalestine #Qatar2022 pic.twitter.com/nQg4ZFI6By
— #Africa4Palestine (@Africa4Pal) November 22, 2022
| A Moroccan fan proudly
— ✨Filzā G.Sidïqi🇵🇸🇮🇪🇵🇰 (@GFilza) November 18, 2022
raises a flag of #Palestine in #Doha as#WorldCup2022 is about to kick-off. #Morocco 💖 #FIFAWorldCupQatar2022 pic.twitter.com/f4kmg1BQSG
Einer unter ihnen ist Asma Jaber. Seine Familie sei 1948 von Palästina nach Jordanien vertrieben worden. Später zog die Familie in die USA. Seine Heimat habe er noch nie besucht, sagt Asma Jaber gegenüber «Al Jazeera». Dennoch schlägt sein Herz für Palästina. «Ich kann nicht in Worte fassen, was ich fühle, wenn meine Flagge von so vielen Menschen gehisst wird, die nicht aus Palästina stammen», so Jaber.
Weiter sagt er: «Es ist, als würden all diese Menschen aus der ganzen Welt sagen: ‹Wir lieben dich, wir wissen, dass es dich gibt, und wir sind an deiner Seite›». Bei den Solidaritätsbekundungen soll es sich hauptsächlich um solche von Muslimen handeln. Jaber sagt: «Muslime spüren unseren Schmerz, darum unterstützen sie uns.»
Nach Katar gereist sei er nicht des Fussballs wegen, sondern um die Aufmerksamkeit zu nutzen, um sich Gehör zu verschaffen: «Unsere Identität zu zeigen, wenn die ganze Welt zuschaut, hilft unserer Sache.»
Doch nicht nur Menschen mit palästinensischen Wurzeln zog es nach Katar. Berichten zufolge reisten auch tausende israelische Fussballfans nach Katar – eine Besonderheit.
Denn: Katar ist für Israelis eigentlich ein Tabu.
Unter normalen Umständen ist es Bürgerinnen und Bürger aus Israel nicht erlaubt, ins Emirat zu reisen. Doch als Ausrichter der WM muss der Golfstaat Menschen aller Nationalitäten willkommen heissen – also auch Israelis.
Doch nicht nur die Einreise ist historisch.
Zwischen Tel Aviv und Doha gibt es während der WM erstmals Direktflüge. Noch vor der Eröffnungsfeier landete der erste kommerzielle Flieger der zypriotischen Fluggesellschaft Tus Airways. «Es ist Geschichte geschrieben worden», freute sich Lior Haiat, Sprecher des israelischen Aussenministeriums im Gespräch mit der französischen Presseagentur AFP.
Und nicht nur das.
Für die rund 20'000 erwarteten Israelis sei in der Nähe des Flughafens eine koschere Küche eingerichtet worden.
First ever direct commercial flight between Israel and Qatar just departed - taking fans to #WorldCup2022 #QatarWorldCup2022
— avi scharf (@avischarf) November 20, 2022
it's Cypriot Tus Airways 5b-ddl pic.twitter.com/tXpNpVCa6U
Ob auch Palästinenser von den Direktflügen profitieren, ist unklar. Der Zugang zum Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv ist für die Menschen aus dem Westjordanland stark eingeschränkt. Die Menschen aus Gaza haben gar keinen Zugang zu Israel.
Ganz so willkommen scheinen die Israelis im Emirat jedoch nicht zu sein. Berichte über Anfeindungen und Antisemitismus häufen sich. «Wir spüren Hass und sind hier nicht erwünscht» schreibt der israelische Journalist Raz Shechnik auf Twitter. Er berichtet davon, dass Menschen hinter ihm palästinensische Flaggen schwenkten, ihn anschrien und beschimpften.
Er ist nicht der einzige.
Ein weiterer israelischer Reporter wurde während einer Live-Übertragung von einem saudischen Fan zurechtgewiesen: «Du bist hier nicht willkommen. Das ist Katar. Das ist unser Land».
Weiter sagt der Fan: «Es gibt kein Israel. Nur Palästina.»
— Richard Medhurst (@richimedhurst) November 27, 2022
Die Ablehnung komme aber nicht nur aus dem Ausland. Ein weiterer israelischer Jouranlist bat zwei Menschen aus dem Gastgeberland um ein Interview. Als er sich als Journalist aus Israel zu erkennen gab, liefen die beiden Katarer davon.
Aufgrund der Umstände gibt sich der Reporter Raz Shechnik mittlerweile als Journalist aus Ecuador aus. Eigentlich habe er nicht darüber schreiben wollen, doch nach all den vermeintlichen Anfeindungen habe er sich dazu entschieden, darüber zu berichten.
Fussball schreibt aber auch in Katar schöne Geschichten.
Unter anderem jene des israelischen Journalisten Uri Levy, der sich mit den iranischen Nationalfarben eindeckte und für die Aktion gefeiert wurde. Die Szene ist insofern bemerkenswert, als die beiden Länder als Erzfeinde gelten.
Iran fans celebrate with Israeli journalist after #TeamMelli beat Wales 2-0. #IranProtests #MahsaAmini pic.twitter.com/RxLIUDDEDD
— Jonathan Harounoff (@JonathanHaroun1) November 25, 2022
Für mich geht das Ganze am ehesten unter „arabische Folklore“.
Und free palestine Fahnen, ja, auch ok. Jedem seine Botschaft, Meinung , Haltung. Kein Thema. Doch der Antisemtismus ist weit verbreitet in der arabischen Welt. Und die Fifa: Schweigt. Hauptsache der Gastgeber ist glücklich.