International
Italien

Conte weist Regierungsauftrag zurück, Italien drohen Neuwahlen.

epa06763663 Five-Star Movement (M5S) leader Luigi Di Maio leaves Lower House in Rome, Italy, 25 May 2018. Italian Premier designate Giuseppe Conte met the head of the 5-star Movement (M5S) Luigi Di Ma ...
Luigi di Maio fordert Neuwahlen.Bild: EPA/ANSA

Mamma mia, welch ein Chaos in Italien! – die 3 wichtigsten Fakten zur geplatzten Regierung

27.05.2018, 22:5628.05.2018, 01:54
Mehr «International»

Drei Monate nach der Wahl in Italien sind die europakritische Fünf-Sterne-Bewegung und die rechte Partei Lega mit ihrer geplanten Regierungsbildung überraschend gescheitert. Der gemeinsamer Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten, Giuseppe Conte, gab am Sonntag nach nur vier Tagen den Regierungsauftrag an Staatspräsident Sergio Mattarella zurück.

Was ist passiert?

Staatspräsident zieht die Notbremse

In Italien muss der Präsident das Kabinett erst formell absegnen, bevor es sich im Parlament zur Wahl stellt und die Regierungsgeschäfte aufnehmen darf.

Und Staatspräsident Mattarella sah sich gezwungen, ein Machtwort zu sprechen. Er lehnte den Vorschlag der koalitionswilligen Lega und 5-Sterne-Bewegung ab, den ausgewiesenen Euro- und Deutschland-Kritiker Paolo Savona zum neuen Finanzminister zu ernennen.

Italian President Sergio Mattarella addresses the media after meeting Italy's premier-designate Giuseppe Conte in Rome, Sunday, May 27, 2018. Italian President Sergio Mattarella said he refused t ...
Staatspräsident Sergio Mattarella.Bild: AP/ANSA

Leichten Herzens habe er das nicht getan, sagte er am Sonntag in Rom. Aber er fühle sich verpflichtet, die Verfassungsordnung zu garantieren und könne keinen Kandidaten akzeptieren, der einen Austritt aus dem Euro für Italien als Option erwägt.

Der Wirtschaftsminister spiele eine Schlüsselrolle in einer Regierung, so Mattarella. Zudem kritisierte der Staatspräsident die Unnachgiebigkeit der Parteien, eine Alternative zu Savona vorzuschlagen.

Streit um designierten Finanzminister

Paolo Savona, 81 Jahre alt, Ökonom. Er kämpft seit Jahren dafür, dass Europa die Schlinge vom Hals von Italien nimmt. Sein Credo: Raus aus dem Euro oder, wenn das nicht geht, raus aus der EU.

epa06767703 A picture made available on 27 May 2018 shows Italian economist Paolo Savona as he takes a walk in Villa Borghese public park in Rome, Italy, 25 May 2018. Italian President Sergio Mattarel ...
Extreme Ansichten: Paolo Savona.Bild: EPA/ANSA

Lega und Sterne hatten bis zuletzt auf Savona als ihren Kandidaten beharrt. Die Personalie brachte die ohnehin erhitzten Gemüter in Europa vollends in Wallung. Vor allem zwischen Deutschland und Italien wurden die Spannungen zuletzt immer grösser.

Zuvor hatten die geplanten Mehrausgaben der populistischen Parteien und ihre Anti-EU-Rhetorik die Finanzmärkte in Unruhe versetzt und Schockwellen durch Europa gesendet. Geplant waren unter anderem Steuersenkungen und ein Mindesteinkommen. Italien ist mit knapp 132 Prozent der Wirtschaftsleistung verschuldet, nach Griechenland ist das der zweithöchste Wert in Europa. Erlaubt sind 60 Prozent.

Jede Warnung deutscher Politiker in Richtung Rom wurde als Einmischung gewertet. Und auf Kommentare deutscher Medien, in denen die Italiener als undankbare «Schnorrer» bezeichnet werden, reagierte am Wochenende nicht nur Salvini empfindlich.

«Deutsche Zeitungen und Politiker beschimpfen uns als italienische Bettler, Nichtstuer, Steuervermeider, Schnorrer und Undankbare», twitterte Salvini am Samstag. Und Italien solle einen Minister auswählen, der Deutschland passe? «Nein, danke!» Selbst Präsident Mattarella kritisierte die Medienberichte in einem «bestimmten europäischen Land».

Expertenregierung und Neuwahlen

Nach der gescheiterten Regierungsbildung forderte der Luigi di Maio, Chef der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung, die Absetzung von Mattarella. Unter Berufung auf Artikel 90 der italienischen Verfassung werde er Mattarellas Absetzung verlangen, sagte er am Sonntagabend in einem Fernsehinterview. Anschliessend solle es Neuwahlen geben.

Luigi di Maio, Matteo Salvini
Doch keine Koalition: Matteo Salvini und Luigi di Maio.Bild: watson

Auch Lega-Chef Salvini sieht Neuwahlen als unumgänglich an. «Das Wort geht wieder an Euch», schrieb er auf Twitter. Die Italiener dürften nicht länger «Sklaven» sein, Italien sei keine Kolonie.

Staatspräsident Mattarella lud derweil den Wirtschaftsexperten Carlo Cottarelli zu Gesprächen in den Präsidentenpalast ein. Cottarelli sei für Montagmorgen zum Gespräch gebeten worden, teilte ein Sprecher am Sonntagabend mit. Der 64-Jährige war früher hoher Mitarbeiter des Internationalen Währungsfonds und 2013 Sparkommissar der italienischen Regierung unter Enrico Letta.

Diese Einladung lässt darauf schliessen, dass Mattarella an einer Übergangsregierung arbeitet. Cottarelli könnte mit einer «Expertenregierung» die Zeit bis zu einer Neuwahl überbrücken. Allerdings hatten sowohl Lega als auch die Sterne schon angekündigt, einer Technokratenregierung im Parlament nicht zuzustimmen.

Ob es Neuwahlen geben soll, will Mattarella in den kommenden Tagen entscheiden. (sar/sda/dpa/afp)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
80 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
bebby
28.05.2018 03:15registriert Februar 2014
Das Beste wäre wohl, die Italiener würden ihre Politiker als Schauspieler im Theater beschäftigen. Dort würden sie sich sehr gut machen. Viel Drama um nichts.
14321
Melden
Zum Kommentar
avatar
Raffaele Merminod
28.05.2018 06:26registriert Februar 2014
Wie viele sind es jetzt? 64 Regierungen seit den Zweiten Weltkrieg, oder 65?
Wie kann ein Land stabil sein wenn es fast jedes Jahr eine neue Regierung hat?
Italiener sind schon ein besonders Volk.
10512
Melden
Zum Kommentar
avatar
Der Mann im Mond
28.05.2018 06:37registriert Mai 2018
Der Präsident der Republik Mattarella hat die ihm gemäss Verfassung zustehende Macht genutzt und einen Minister abgelehnt. Das ist zwar nicht die Regel, ist aber auch schob vorgekommen. Jetzt von einem Pütschchen ("golpetto") zu sprechen ist lächerlich und zeugt von wenig Kenntniss der Verfassung. Das Problem wird sein, das bei Neuwahlen die Sega Nord und die Fünfsterner (wahrscheinlich) an Stimmen zulegen werden. D.h. dass sie wieder den Ministerpräsident bestimmen werden und Savona wieder für das Finanzministerum nominier werden wird. Mattarella wird ihn wieder ablehnen. Endlosschlaufe.
748
Melden
Zum Kommentar
80
Terrorverdächtige in Moskau sollen unter Drogen gestanden haben

Die nach dem Terroranschlag auf die Veranstaltungshalle Crocus City Hall bei Moskau gefassten vier Hauptverdächtigen sollen nach einem Bericht der russischen staatlichen Nachrichtenagentur Tass unter Drogeneinfluss gestanden haben.

Zur Story