Bekümmert trat Alexander Van der Bellen vor die Medien. «So ist Österreich einfach nicht», sagte der grüne Bundespräsident zum Ibiza-Skandalvideo, das FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache zu Fall brachte. Als die Szene am Abstimmungssonntag auf der watson-Redaktion im Fernsehen gezeigt wird, bricht kollektive Heiterkeit aus. «Genau so ist Österreich!» lästert der Chefredaktor.
Dienstagabend in Zürich: Bei der NZZ findet eine Veranstaltung zum Thema Populismus und Demokratiemüdigkeit statt. Auf dem Podium sitzt auch der Korrespondent der Zeitung in Wien. Als er das Wort «Österreich» nur schon erwähnt, beginnt das Publikum zu lachen, erst leise, dann immer lauter.
Ist ja verständlich. Die «bsoffene Gschicht», wie Strache seine Mauschelei mit einer vermeintlichen russischen Oligarchen-Nichte nannte, scheint alle Klischees über unsere östlichen Nachbarn zu bestätigen. Der Balkan beginnt jenseits des Arlbergs. Oder vielleicht schon am Bodensee.
Es fällt nicht gerade leicht, die Österreicher zu verteidigen. Der braune Sumpf wurde nie richtig trockengelegt. Der frühere Bundespräsident Kurt Waldheim etwa war bezüglich seiner NS-Vergangenheit von akutem Gedächtnisschwund befallen. Wahre Abgründe tun sich auf, wenn man an Natascha Kampusch oder Josef Fritzl denkt.
Und als ob das aktuelle Polit-Kabarett nicht genug wäre, muss Österreich auch noch den Tod von Niki Lauda verkraften, einem Vorzeige-Sportler und -Unternehmer. Das Eishockey-Nationalteam ist auf peinliche Art abgestiegen. Beim ESC ist man kläglich gescheitert, während die Schweiz mit Luca Hänni den vierten Platz holte.
Höchste Zeit also, die Österreicher-Witze zu reaktivieren? Besonders lustig fand ich sie nie, und auch jetzt sollte man das Gesamtbild im Auge behalten. Und das sieht gar nicht schlecht aus.
Sicher, politisch ist Österreich kein Musterland. Zu viel hängt noch immer vom «richtigen» Parteibuch oder von der Mitgliedschaft in bestimmten Vereinen und Verbänden ab. Das führt zur berüchtigten «Freunderlwirtschaft», wie der Hang zu Nepotismus und Korruption so schön genannt wird. Die Erfolge der FPÖ sind zum Teil auch eine Reaktion auf diese politische Unkultur.
Nicht selten hat man das Gefühl, die Alpenrepublik habe das Ende des Kaiserreichs und Vielvölkerstaats vor 100 Jahren nie richtig verwunden. Ein Überbleibsel ist die für das kleine Land in vielerlei Hinsicht überdimensionierte Hauptstadt. Im Zentrum von Wien zeigt sich das einstige Glanz und Gloria der K.u.K.-Doppelmonarchie Österreich-Ungarn auf beeindruckende Art.
Das Habsburgerreich gehörte während Jahrhunderten zu den Grossmächten in Europa. Damals entstand das legendäre Motto «Bella gerant alii, tu felix Austria nube» – Kriege führen mögen andere, du, glückliches Österreich, heirate. Es spielte an auf die Tradition der Habsburger, ihren Herrschaftsbereich weniger auf dem Schlachtfeld als durch eine kluge Heiratspolitik auszudehnen.
In der Realität führten die Habsburger durchaus Kriege. Und mit dem Heiraten funktionierte es nicht immer so toll, etwa als die grosse Kaiserin Maria Theresia ihre Tochter Maria Antonia mit dem französischen Thronfolger verkuppelte. Die Liaison kostete Marie Antoinette, wie sie in Versailles genannt wurde, im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf.
Es war ein grosser Krieg, der dem morsch gewordenen «Kakanien» den Todesstoss versetzte. Es zerfiel nach dem Ersten Weltkrieg in seine Einzelteile. Für Rest-Österreich begann eine unruhige Zeit. Sie führte dazu, dass man sich 1938 einem gewissen Herrn an den Hals warf, der die Rückkehr zur Grösse versprach und erst noch ein Landsmann war.
Die Nazizeit wurde in Österreich wesentlich länger verdrängt als in Deutschland. Man sah sich primär als Hitlers erstes Opfer, und nicht als Mittäter. Entsprechend gut hat sich das rechte, deutschnationale Gedankengut gehalten, etwa in den berüchtigten Burschenschaften. Es bildet den Nährboden für die FPÖ von Jörg Haider bis Heinz-Christian Strache.
Österreich aber ist mehr als das. Viel mehr. Wien gilt nicht zufällig als Stadt mit der weltweit höchsten Lebensqualität. Wirtschaftlich gehört Österreich zu den dynamischsten Ländern in Europa. Die Chancen im Osten nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hat man resolut genutzt. Die Kaufkraft in der EU ist nur in Luxemburg (ein Sonderfall in mancher Hinsicht) und Dänemark höher.
In mancher Hinsicht ist man der Schweiz sogar voraus. Zum Beispiel im Fremdenverkehr. Es stimmt, Ferien in Österreich sind nicht mehr unbedingt billiger als bei uns. Aber man erhält mehr für sein Geld. Das Preis-Leistungsverhältnis ist unschlagbar. Auch die Gastfreundschaft ist mehr als ein Klischee. Während wir nur noch mit den höheren Bergen punkten können.
Von der Kultur braucht man gar nicht zu reden. Schier endlos ist die Zahl der berühmten und genialen Köpfe, die Österreich hervorgebracht hat, von Mozart über Freud bis Romy Schneider und Michael Haneke. Was haben wir dagegen zu bieten? Wir suhlen uns im Mittelmass und sind insgeheim neidisch auf die kreativen Energien, die unser östlicher Nachbar zu entfesseln vermag.
Gerade der Eurovision Song Contest ist dafür ein gutes Beispiel. Kann man sich ernsthaft vorstellen, dass jemand wie Conchita Wurst für die Schweiz singen würde? Die Ösis schickten ihn/sie nicht nur an den ESC, er/sie gewann auch. So mancher Spötter musste danach seine Vorurteile gegenüber den vermeintlich bornierten Österreichern hinterfragen.
Der Humor ist eine Austria-Domäne. Ein bösartig-brillanter Spötter wie der verstorbene Manfred Deix hätte es bei uns schwer. Die Österreicher haben sich an ihm gerieben und ihn gleichzeitig verehrt. Das Bundesland Niederösterreich, das seit Jahrzehnten von der ÖVP dominiert wird, hat auf Initiative von Deix ein Karikatur-Museum gebaut, in dem als Schwerpunkt seine Werke gezeigt werden.
Man kann über Österreich lachen, aber es gibt eben auch viele Gründe, warum man dieses Land bewundern, ja sogar lieben darf (das Essen habe ich noch gar nicht erwähnt). Doch, Herr Präsident, Österreich ist tatsächlich so. Aber eben auch ganz anders.
Ganz tollen, teilweise rabenschwarzen Humor. Kultur von grossartig bis Gaballier. Schöne Landschaften und mit Kärnten auch ein Tessin. Ganz herrliche Weine, die man auch zahlen kann (ausser man kauft sie in der Schweiz), eine schöne Sprache mit herrlichen Ausdrücken (Oachkatzerl ist mein Liebling).
Und noch so vieles mehr, einfach Politik und Politiker (insbesondere FPÖ) ausklammern.
Ich weiss ja nicht, ich mag die Oesterreicher. Zudem sind sie uns nicht ganz so "unaehnlich" (Alpenmentalitaet?). Einzig die "Grossmacht"-Vergangenheit liegt bei uns halt noch ein paar hundert Jahre laenger zurueck ;-) so, ca 1515 wars ja damit vorbei.
Eine Differenz zu uns ist aber, dass in unserem direktdemokratischeren System Parteien wie die FPÖ nicht derart an die Macht kämen, während eine SPÖ in der Opposition bleiben muss. Exzentrische Parteien können bei uns wohl partizipieren aber erhalten wohl nie derart viel Macht und Spielraum (die FPÖ besetzt(e) wichtige Ministerien).
Ein "Ibiza" kann es aber überall geben.