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Österreich ist trotz Strache-Video ein tolles Land – eine Ehrenrettung

epa06267811 Supporters of the leader of the right-wing Austrian Freedom Party (FPOe) Heinz-Christian Strache (not pictured) waves small Austrian national flags as they watch a projection of the Austri ...
FPÖ-Fans feiern – trotzdem muss man das Land mögen.Bild: EPA/EPA
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Felix Austria! Du nervst und bist doch ein tolles Land

Österreich macht sich wieder einmal zur weltweiten Lachnummer. Und dann stirbt auch noch Niki Lauda! Höchste Zeit für eine Ehrenrettung.
22.05.2019, 11:4423.05.2019, 02:52
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Bekümmert trat Alexander Van der Bellen vor die Medien. «So ist Österreich einfach nicht», sagte der grüne Bundespräsident zum Ibiza-Skandalvideo, das FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache zu Fall brachte. Als die Szene am Abstimmungssonntag auf der watson-Redaktion im Fernsehen gezeigt wird, bricht kollektive Heiterkeit aus. «Genau so ist Österreich!» lästert der Chefredaktor.

Dienstagabend in Zürich: Bei der NZZ findet eine Veranstaltung zum Thema Populismus und Demokratiemüdigkeit statt. Auf dem Podium sitzt auch der Korrespondent der Zeitung in Wien. Als er das Wort «Österreich» nur schon erwähnt, beginnt das Publikum zu lachen, erst leise, dann immer lauter.

Formel-1-Legende Niki Lauda ist tot

Video: srf

Ist ja verständlich. Die «bsoffene Gschicht», wie Strache seine Mauschelei mit einer vermeintlichen russischen Oligarchen-Nichte nannte, scheint alle Klischees über unsere östlichen Nachbarn zu bestätigen. Der Balkan beginnt jenseits des Arlbergs. Oder vielleicht schon am Bodensee.

In der Politik ist Österreich kein Musterland. Zu viel hängt noch immer vom «richtigen» Parteibuch oder von der Mitgliedschaft in bestimmten Vereinen und Verbänden ab.

Es fällt nicht gerade leicht, die Österreicher zu verteidigen. Der braune Sumpf wurde nie richtig trockengelegt. Der frühere Bundespräsident Kurt Waldheim etwa war bezüglich seiner NS-Vergangenheit von akutem Gedächtnisschwund befallen. Wahre Abgründe tun sich auf, wenn man an Natascha Kampusch oder Josef Fritzl denkt.

Und als ob das aktuelle Polit-Kabarett nicht genug wäre, muss Österreich auch noch den Tod von Niki Lauda verkraften, einem Vorzeige-Sportler und -Unternehmer. Das Eishockey-Nationalteam ist auf peinliche Art abgestiegen. Beim ESC ist man kläglich gescheitert, während die Schweiz mit Luca Hänni den vierten Platz holte.

Höchste Zeit also, die Österreicher-Witze zu reaktivieren? Besonders lustig fand ich sie nie, und auch jetzt sollte man das Gesamtbild im Auge behalten. Und das sieht gar nicht schlecht aus.

Sicher, politisch ist Österreich kein Musterland. Zu viel hängt noch immer vom «richtigen» Parteibuch oder von der Mitgliedschaft in bestimmten Vereinen und Verbänden ab. Das führt zur berüchtigten «Freunderlwirtschaft», wie der Hang zu Nepotismus und Korruption so schön genannt wird. Die Erfolge der FPÖ sind zum Teil auch eine Reaktion auf diese politische Unkultur.

Nicht selten hat man das Gefühl, die Alpenrepublik habe das Ende des Kaiserreichs und Vielvölkerstaats vor 100 Jahren nie richtig verwunden. Ein Überbleibsel ist die für das kleine Land in vielerlei Hinsicht überdimensionierte Hauptstadt. Im Zentrum von Wien zeigt sich das einstige Glanz und Gloria der K.u.K.-Doppelmonarchie Österreich-Ungarn auf beeindruckende Art.

Mit dem Heiraten funktionierte es nicht immer so toll, etwa als die grosse Kaiserin Maria Theresia ihre Tochter Maria Antonia mit dem französischen Thronfolger verkuppelte.

Das Habsburgerreich gehörte während Jahrhunderten zu den Grossmächten in Europa. Damals entstand das legendäre Motto «Bella gerant alii, tu felix Austria nube» – Kriege führen mögen andere, du, glückliches Österreich, heirate. Es spielte an auf die Tradition der Habsburger, ihren Herrschaftsbereich weniger auf dem Schlachtfeld als durch eine kluge Heiratspolitik auszudehnen.

In der Realität führten die Habsburger durchaus Kriege. Und mit dem Heiraten funktionierte es nicht immer so toll, etwa als die grosse Kaiserin Maria Theresia ihre Tochter Maria Antonia mit dem französischen Thronfolger verkuppelte. Die Liaison kostete Marie Antoinette, wie sie in Versailles genannt wurde, im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf.

Es war ein grosser Krieg, der dem morsch gewordenen «Kakanien» den Todesstoss versetzte. Es zerfiel nach dem Ersten Weltkrieg in seine Einzelteile. Für Rest-Österreich begann eine unruhige Zeit. Sie führte dazu, dass man sich 1938 einem gewissen Herrn an den Hals warf, der die Rückkehr zur Grösse versprach und erst noch ein Landsmann war.

Es stimmt, Ferien in Österreich sind nicht mehr unbedingt billiger als bei uns. Aber man erhält mehr für sein Geld.

Die Nazizeit wurde in Österreich wesentlich länger verdrängt als in Deutschland. Man sah sich primär als Hitlers erstes Opfer, und nicht als Mittäter. Entsprechend gut hat sich das rechte, deutschnationale Gedankengut gehalten, etwa in den berüchtigten Burschenschaften. Es bildet den Nährboden für die FPÖ von Jörg Haider bis Heinz-Christian Strache.

epa05239671 Vienna Giant Wheel is seen with the Stephansdom in the backround at Vienna's Prater in Vienna, Austria, on 30 March 2016. The Prater is one of the world's oldest amusement parks  ...
Wien gilt als Stadt mit der höchsten Lebensqualität.Bild: EPA/EPA

Österreich aber ist mehr als das. Viel mehr. Wien gilt nicht zufällig als Stadt mit der weltweit höchsten Lebensqualität. Wirtschaftlich gehört Österreich zu den dynamischsten Ländern in Europa. Die Chancen im Osten nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hat man resolut genutzt. Die Kaufkraft in der EU ist nur in Luxemburg (ein Sonderfall in mancher Hinsicht) und Dänemark höher.

In mancher Hinsicht ist man der Schweiz sogar voraus. Zum Beispiel im Fremdenverkehr. Es stimmt, Ferien in Österreich sind nicht mehr unbedingt billiger als bei uns. Aber man erhält mehr für sein Geld. Das Preis-Leistungsverhältnis ist unschlagbar. Auch die Gastfreundschaft ist mehr als ein Klischee. Während wir nur noch mit den höheren Bergen punkten können.

Von der Kultur braucht man gar nicht zu reden. Schier endlos ist die Zahl der berühmten und genialen Köpfe, die Österreich hervorgebracht hat, von Mozart über Freud bis Romy Schneider und Michael Haneke. Was haben wir dagegen zu bieten? Wir suhlen uns im Mittelmass und sind insgeheim neidisch auf die kreativen Energien, die unser östlicher Nachbar zu entfesseln vermag.

Ein bösartig-brillanter Spötter wie der verstorbene Zeichner Manfred Deix hätte es bei uns schwer. Die Österreicher haben sich an ihm gerieben und ihn gleichzeitig verehrt.

Gerade der Eurovision Song Contest ist dafür ein gutes Beispiel. Kann man sich ernsthaft vorstellen, dass jemand wie Conchita Wurst für die Schweiz singen würde? Die Ösis schickten ihn/sie nicht nur an den ESC, er/sie gewann auch. So mancher Spötter musste danach seine Vorurteile gegenüber den vermeintlich bornierten Österreichern hinterfragen.

ARCHIV -- Cartoonist Manfred Deix im Interview mit der Austria Presse Agentur am Donnerstag, 05. Februar 2009. Der grosse oesterreichische Zeichner und Karikaturist Manfred Deix ist am Samstag, 25. Ju ...
Manfred Deix hielt den Österreichern mit spitzem Stift den Spiegel vor. Sie bauten im dafür ein Museum.Bild: APA

Der Humor ist eine Austria-Domäne. Ein bösartig-brillanter Spötter wie der verstorbene Manfred Deix hätte es bei uns schwer. Die Österreicher haben sich an ihm gerieben und ihn gleichzeitig verehrt. Das Bundesland Niederösterreich, das seit Jahrzehnten von der ÖVP dominiert wird, hat auf Initiative von Deix ein Karikatur-Museum gebaut, in dem als Schwerpunkt seine Werke gezeigt werden.

Man kann über Österreich lachen, aber es gibt eben auch viele Gründe, warum man dieses Land bewundern, ja sogar lieben darf (das Essen habe ich noch gar nicht erwähnt). Doch, Herr Präsident, Österreich ist tatsächlich so. Aber eben auch ganz anders.

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Beidlpracker und Co. – Schimpfwörter zu Österreichs Krise.
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Beidlpracker und Co. – Schimpfwörter zu Österreichs Krise.
Das Regierungsbündnis von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP, links) und Heinz-Christian Strache von der FPÖ ist gescheitert. Auslöser ist ein in Ibiza heimlich aufgenommenes Skandalvideo von Strache. Beste Gelegenheit, ein paar österreichische Schimpfwörter zu lernen!
quelle: epa/epa / christian bruna
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Mit 31 Jahren zum jüngsten Regierungschef Europas
Video: srf
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36 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Tomtom64
22.05.2019 13:10registriert Januar 2014
Man lasse beim Thema Österreich einfach Politik und Geschichte (ist ja auch politisch) aussen vor und alles ist gut.
Ganz tollen, teilweise rabenschwarzen Humor. Kultur von grossartig bis Gaballier. Schöne Landschaften und mit Kärnten auch ein Tessin. Ganz herrliche Weine, die man auch zahlen kann (ausser man kauft sie in der Schweiz), eine schöne Sprache mit herrlichen Ausdrücken (Oachkatzerl ist mein Liebling).
Und noch so vieles mehr, einfach Politik und Politiker (insbesondere FPÖ) ausklammern.
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Bort?
22.05.2019 12:50registriert Dezember 2018
Da fehlen die (mittlerweile) wirklich grossartigen, oesterreichischen Weine die man durchaus auch lieben darf ! :-D

Ich weiss ja nicht, ich mag die Oesterreicher. Zudem sind sie uns nicht ganz so "unaehnlich" (Alpenmentalitaet?). Einzig die "Grossmacht"-Vergangenheit liegt bei uns halt noch ein paar hundert Jahre laenger zurueck ;-) so, ca 1515 wars ja damit vorbei.
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MacB
22.05.2019 12:56registriert Oktober 2015
Österreich ist uns moralisch und kulturell viel näher als wir denken. Auch Österreich ist tendenziell (!) föderalistisch aufgebaut und hat starke Landeshauptmänner, auch wenn das kulturelle und politische Zentrum Wien ist.

Eine Differenz zu uns ist aber, dass in unserem direktdemokratischeren System Parteien wie die FPÖ nicht derart an die Macht kämen, während eine SPÖ in der Opposition bleiben muss. Exzentrische Parteien können bei uns wohl partizipieren aber erhalten wohl nie derart viel Macht und Spielraum (die FPÖ besetzt(e) wichtige Ministerien).

Ein "Ibiza" kann es aber überall geben.
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