«Nein, nein!», wehrt sich der Alte, der auf dem Bürgersteig liegt, als ihm ein Helfer eine Flasche Wasser an den Mund hält. Er entreisst ihm die Flasche und kippt sich das Wasser über den Kopf.
Bei der unerträglichen Hitze in der südpakistanischen Hafenmetropole Karatschi ist das eine rettende Abkühlung. Aber trinken will der Mann auf keinen Fall – es ist Ramadan, der Fastenmonat der Muslime, in dem von Anbruch der Dämmerung bis Sonnenuntergang nichts gegessen und nicht getrunken werden darf.
Fernsehbilder zeigen schwitzende, lethargisch wirkende Menschen, die im Schatten von Bäumen Schutz suchen, sich mit Fächern Luft zuwedeln oder sich zur Abkühlung ins Arabische Meer stürzen.
Im Süden Pakistans, in den Provinzen Sindh und Punjab, haben die Temperaturen in den vergangenen Tagen 45 Grad Celsius, mancherorts sogar 50 Grad erreicht. Landesweit seien bislang mehr als tausend Menschen infolge der Hitze gestorben, bestätigt ein Regierungssprecher, allein in Karatschi mehr als 780.
«Betroffen sind vor allem alte, arme Menschen», sagt eine Ärztin der Aga-Khan-Universitätsklinik in Karatschi. «Jene, die auf der Strasse oder in Hütten leben und sich keine Klimaanlage leisten können und die keinen Zutritt in die klimatisierten Malls bekommen.»
Ein «grosses Problem» sei, dass sich die meisten weigerten, tagsüber regelmässig Wasser zu trinken. «Bei allem Respekt vor ihrer Frömmigkeit und ihrem eisernen Willen, das Fasten einzuhalten, ist es lebensgefährlich, bei dieser Hitze komplett auf Wasser zu verzichten.» Ihren Namen will die Ärztin nicht genannt wissen, weil sie Ärger mit Geistlichen befürchtet.
Krankenhäuser und Leichenhallen teilen mit, dass ihre Kapazitäten erschöpft seien. Mehrere Tausend Menschen seien in Behandlung. Man sei auf der Suche nach weiteren Räumlichkeiten. Rund um die Uhr würden Notärzte und Helfer Menschen auf der Strasse versorgen und unterwegs auch Leichen einsammeln. Häufigste Todesursache seien Hitzschläge, Dehydrierung und ein damit verbundener Kreislaufzusammenbruch. Wichtigster Schutz sei, viel zu trinken und auch auf das Essen «wenigstens von Salzgebäck» nicht zu verzichten, sagt ein Arzt vom Jinnah Postgraduate Medical Centre.
Aber niemand wagt es, die Menschen öffentlich zum Essen und Trinken aufzufordern. «Das würde uns sofort den Vorwurf der Blasphemie einbringen», sagt ein Abgeordneter des Provinzparlaments von Sindh. «Wenn wir sagen: 'Hört auf zu fasten!', erschiesst uns womöglich irgendein Extremist. Deshalb schweigen wir lieber.»
Stattdessen machen Politiker seltsame Vorschläge: So erwägt die Regierung, mithilfe von Chemikalien künstlichen Regen über Karatschi zu erzeugen, um der Stadt zu einer Abkühlung zu verhelfen. Man stehe in Verbindung mit China, wo solch ein Vorgehen zur Reinigung der Luft bei starkem Smog üblich sei, erklärt ein Regierungssprecher.
Zu schaffen macht dem Land bei der Hitze auch häufiger Stromausfall, der mehrere Stunden am Tag dauert. Es fehlten etwa 3000 Megawatt an Leistung, erläuterte Khawaja Asif, Minister für Wasser und Energie, im Parlament in der Hauptstadt Islamabad. Die Hitze und die damit verbundene Nutzung von Klimaanlagen hätten den Energiebedarf stark ansteigen lassen. Der Minister weist jede Schuld von sich und erklärt, für die Bereitstellung von ausreichend Strom sei die – privatisierte – Firma Karachi Electric verantwortlich.
Die Regierung von Sindh wiederum schiebt die Verantwortung der Regierung in Islamabad zu. Provinz-Regierungschef Qaim Ali Shah kündigte einen Sitzstreik als Zeichen des Protests an. Ausserdem erklärte er den Mittwoch zu einem freien Tag für Behörden, Schulen und Universitäten, ausser Acht lassend, dass Schüler und Studenten derzeit ohnehin Sommerferien haben.
Für Mittwochabend rechnen Meteorologen mit einer Abkühlung und Regen zumindest in Teilen Pakistans. Im weiteren Wochenverlauf soll es dann tagsüber nur noch 39 Grad heiss werden.