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Mädchenmorde en masse: Ein Dokumentarfilm mischt die pakistanische Politik auf

Mädchenmorde en masse: Ein Dokumentarfilm mischt die pakistanische Politik auf

25.02.2016, 09:0425.02.2016, 09:26
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Mehr als 1000 Mädchen und Frauen müssen in Pakistan jedes Jahr für die «Ehre» der Männer sterben – ein Tabuthema. Und das zuständige, sogenannte «Ehrenmord-Gesetz» ist nutzlos. Ein Oscar-nominierter Film scheint jetzt etwas zu bewegen.

Am 15. Januar hat Bachminas Ehemann Umra ihr den Kopf mit einer Axt eingeschlagen. Ihre Familie hat die Bilder vom Tatort aufgehoben: Bachmina in ihrem grün-blau gestreiften Kleid auf dem Rücken liegend, den schwangeren Bauch der Kamera entgegengestreckt. Es gebe Hinweise darauf, dass weitere Verwandte an der Tat beteiligt waren, sagen Polizisten. Aber Beweise haben sie nicht. Auch den Täter nicht. Er ist in die Berge geflohen.

Bachminas Tod ist ein weiterer Fall in der langen Liste von Morden an pakistanischen Frauen, weil Männer meinen, sie hätten ihre «Ehre» beleidigt. Aus den schamerfüllten Aussagen von Bachminas Familie hat die Polizei zusammengebastelt, dass Bachmina mit einem anderen Mann zusammengelebt hat. Ihr Ehemann hatte sich fünf Jahre nach der Hochzeit eine weitere Frau genommen und blieb auf Monate verschwunden. Aber als er Wind von der Affäre bekam, kehrte er zurück. Mit der Axt.

«A Girl in the River: The Price of Forgiveness»: Der für einen Oscar nominierte Dokumentarfilm spricht unangenehme Wahrheiten an.
YouTube/RUDIB ADHIKARI

Viele der Morde bleiben ungeahndet

1005 solcher Fälle hat die pakistanische Menschenrechtskommission im Jahr 2014 verzeichnet – Tendenz steigend. 2013 waren es noch 869, 2010 waren es 791. Aber eigentlich, sagen Experten, gebe es viele, viele mehr. Sie kämen nur nie ans Licht. Denn es sind Morde in einer Tabuzone. Was privat ist, muss privat bleiben, denken viele Konservative und Religiöse im Land.

Daraus erklärt sich auch, dass viele dieser sogenannten «Ehrenmorde» ungeahndet bleiben. Das zuständige pakistanische Gesetz aus dem Jahr 2004 enthält eine Klausel, die es dem Vormund des Opfers erlaubt, dem Täter zu verzeihen. Und weil diese Morde zumeist innerhalb der Familie passieren, wird den Tätern häufig vergeben.

Ein BBC-Bericht von 2014 über «Ehrenmorde» in Pakistan.
YouTube/BBC News

Zum Beispiel, um das Funktionieren der Familien- oder Nachbarschaftsgemeinschaft zu erhalten, die ohne staatliche Fürsorge die einzige Überlebensgarantie ist. Der Staat kann die Mörder dann nicht mehr bestrafen. «Das hat das Gesetz praktisch nutzlos für den Schutz von Frauen gemacht», sagt Rabeea Hadi von der Frauenrechtsorganisation Aurat.

Filmerin will etwas bewegen

Aber jetzt könnte eine Oscar-Nominierung helfen, dies zu ändern. Die pakistanische Filmemacherin Sharmeen Obaid Chinoy gewinnt am 28. Februar möglicherweise ihren zweiten Academy Award für «A Girl in the River: The Price of Forgiveness» – die Geschichte der 19-jährigen Saba, die einen sogenannten «Ehrenmord» überlebt hat. Ihren ersten Oscar hatte Chinoy 2012 für einen Film über Säureangriffe auf Frauen erhalten.

Taliban-Angriff während des Drehs: Sharmeen Obaid Chinoy über die unwürdige Behandlung pakistanischer Frauen.
YouTube/INKtalks

Und Pakistan ist entzückt. Viele sind froh und stolz, mal mit guten Oscar- denn blutigen Terrornachrichten in der Weltöffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Das nutzt Chinoy für eine Kampagne. Sie gibt ein Interview nach dem nächsten, spricht mit Aktivisten und dem Ministerpräsidenten – nicht über ihre Arbeit oder Nominierung, sondern darüber, dass das «Ehrenmord-Gesetz» geändert werden muss. «Ich wollte mit dem Film eine Debatte in der Gesellschaft starten», sagte sie der Deutschen Presse-Agentur.

Sie hat sie bekommen. Sie hat aber auch starke Gegner. 2013 hatte das Oberhaus des Parlaments ein neues Gesetz ohne die Vergebungsklausel verabschiedet. Danach hätte das Unterhaus zustimmen müssen. Aber hier blieb das Gesetz stecken. Zu viel Protest gab es aus dem religiösen Lager.

Ähnlich ging es vor kurzem einem Gesetzentwurf mit härteren Strafen für die Verheiratung von Kindern. Der einflussreiche Rat für Islamische Ideologie nannte es «unislamisch». Prompt fiel es durch.

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Neu soll ein Gericht entscheiden

Aber nun hat Ministerpräsident Nawaz Sharif sich hinter Chinoys Initiative gestellt. Er hat den Film in seinem Büro 200 Mitgliedern der Regierung gezeigt, zwei Reden zum Thema gehalten und versprochen, er werde helfen, ein neues Gesetz auf den Weg zu bringen.

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Ein Rechtsberater des Ministerpräsidenten hat am Wochenende gesagt, eine neue Fassung des Gesetzes sei schon in Arbeit und werde bald dem Parlament vorgelegt. Anstatt dass Familien sich untereinander einigen, ob der Täter bestraft wird, soll zukünftig das Gericht entscheiden, ob es einen Vergleich geben darf.

Das ärgert allerdings viele Frauenrechtlerinnen. Eigentlich hatten sie dafür gekämpft, dass es gar kein Schlupfloch mehr für die Täter gibt.

Transsexuelle in Pakistan

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Transsexuelle in Pakistan
«Ich bin nicht transsexuell», sagt Akram der Nachrichtenagentur AP. «Ich geniesse einfach den Tanz und brauche das Geld.»
quelle: ap/ap / muhammed muheisen
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(sda/dpa)

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