Auch wenn ich es zu Beginn meines Aufenthaltes etwas merkwürdig fand, dass mich die Bedienung in einem Café fragte, wie mein Tag war: Ich schätze die freundliche und zuvorkommende Art der Amerikanerinnen und Amerikaner.
Sie halten dir die Türe oder den Lift auf, sie begegnen dir stets mit einem Lächeln, sie geben dir in einem Restaurant das Gefühl, willkommen zu sein.
Kritiker mögen dies als oberflächliches Verhalten abtun. Mag bis zu einem gewissen Grad zutreffen, ist mir aber immer noch tausendmal lieber als die Barschheit, mit der man sich in der Stadt Zürich regelmässig konfrontiert sieht.
Auch wenn ich zu hohe Temperaturen gar nicht so mag – alles über 25 Grad ist mir schon fast zu viel –, das Klima hier an der Ostküste ist sehr angenehm.
Während ich diese Zeilen schreibe, ist es in Washington, D.C. rund 20 Grad warm. In Miami genossen die Menschen Mitte Oktober Sommerwetter.
Auch was die Arbeit betraf, war ich sehr froh, in milderen Gefilden unterwegs zu sein. Ich schleppte schon so immer einiges an Material mit, dank des Klimas konnte ich dafür bei der Kleidung sparen.
Gefühlt existiert hier in den USA von allem zu viel. Zu viel Werbung, zu viele Strassen, zu viele Autos, zu viel Fast-Food, zu viel Konsum. Die Supermärkte sind gigantisch gross, man kann aus 100 Joghurtsorten auswählen und aus 15 Gatorade-Geschmacksrichtungen. Teils spannend, aber auch gewöhnungsbedürftig.
Dieser Punkt schliesst an den vorherigen an. Ein Spiel der NFL zu schauen – der besten Footballliga der Welt – ist ein wunderbares Erlebnis. Die Stimmung, der Aufmarsch der Fans, das Tailgating, herrlich. Doch auch beim Football halten das Übermass und die Reizüberflutung Einzug.
Die beiden Stadionscreens – gefühlt je so gross wie ein Tennisplatz – sind beim Spiel der Tampa Bay Buccaneers im Dauereinsatz.
Vor der Partie legt ein DJ Musik auf, die Intro-Show geht eine Viertelstunde, es werden Fan-Artikel angeboten, Rabatte angepriesen, die Zuschauenden im Stadion dauerhaft dazu animiert, die eigene Mannschaft doch bitte anzufeuern. Der im Stadion anwesende Ex-Spieler und Publikumsliebling Rob Gronkowski darf gleich mehrfach in die Kamera brüllen.
Daneben kommt es zu unzähligen Ehrungen. Ein kurz vor der Pension stehender Armeeangehöriger erhält seine Lobpreisung, ebenso die örtliche Polizei und die Helfer, die während des Hurrikans in Florida im Einsatz standen.
Die Amerikaner sind und bleiben die allergrössten Patrioten. Nicht nur in Texas auf dem Land, auch in urbanen Gegenden hängt an jedem zweiten Haus die amerikanische Flagge. Sowohl Trump als auch Harris schliessen sämtliche Reden mit «God Bless America».
An besagtem Footballspiel in Tampa sitze ich in einem gemischten Sektor. Da kommt es zwar nicht zu Schlägereien, aber zum einen oder anderen verbalen Scharmützel. Als jedoch eine Gruppe von örtlichen Kriegsveteranen geehrt wird, stehen Heim- und Gästefans unisono auf und erweisen den Männern die Ehre. Und irgendwie geht mir das nahe.
Bereits vor der Partie ist die emotionale Verbundenheit mit dem Vaterland spür- und sichtbar. Bei der amerikanischen Nationalhymne haben gestandene Ü60-Männer Tränen in den Augen.
Geht es darum, mit fremden Menschen in Kontakt zu treten, ist die Arbeit als Journalist hier einfacher als in der Schweiz. Die meisten Amerikaner sind – ganz im Gegensatz zur Schweiz – offen und unkompliziert. Es macht ihnen nichts aus, in ein Mikrofon und eine Kamera zu sprechen.
Insbesondere an Wahlkampfanlässen ist es absolut kein Problem, Leute für ein Interview zu motivieren. Und auch ohne dieses Setting, beispielsweise bei einer Strassenumfrage, erklären sich die Menschen oft rasch bereit, mitzumachen. Und sie erzählen frei von der Leber weg, zum Teil sind das richtig spannende Gespräche.
Wenn ich jeweils erwähnte, extra aus der Schweiz für die Wahlen angereist zu sein, hatten die Amerikaner teils fast mehr Fragen an mich als ich an sie.
Da freut man sich über einen günstigen Kaffee oder ein preiswertes Abendessen und dann kommt sie aus dem Hintergrund angeschlichen und schmeisst sich auf die Rechnung: die Verkaufssteuer.
An den meisten Orten, an denen man in den USA sein Geld liegen lässt, werden die Preise ohne diesen Steueranteil angegeben, der von Staat zu Staat variiert und auch mal zehn Prozent ausmachen kann.
Die Freude über ein gutes Angebot wird spätestens beim Bezahlen getrübt, wenn die Rechnung dann doch einiges höher ausfällt als angenommen.
Nach fast einem Monat Feldstudie kann ich bestätigen: Eingefleischte Trump-Anhänger sind wirklich so, wie man sie von Aufnahmen in den sozialen Netzwerken und den Medien kennt.
Sie sind direkt, unverblümt, oft leichtgläubig, obrigkeitshörig, nicht schambehaftet, teilweise rüpelhaft und manchmal auch sehr freundlich. An der Trump-Rally in Atlanta kamen einige von ihnen freiwillig auf mich zu und boten sich für ein Interview an.
Auch wenn ich es manchmal nicht glauben konnte, was ich da sah und hörte, war es eine hochinteressante Erfahrung, einmal bei einem Trump-Anlass vor Ort zu sein.
In den grösseren Städten bekommt man den Graben zwischen Arm und Reich tagtäglich mit. In Miami, Atlanta und Washington laufen viele Menschen mit Anzug und Starbucks-Kaffee herum, einige Meter weiter putzt eine meist nicht weisse Person die Strasse oder ist obdachlos.
Gewiss, dieser Zustand ist auch in anderen Ländern festzumachen, in den USA scheint er mir aber besonders ausgeprägt. Es wirkt auch so, als hätten die unterschiedlichen sozio-ökonomischen Schichten überhaupt nichts miteinander zu tun. Was der gegenseitigen Empathie sicher nicht zuträglich ist.
Ein Banker oder eine Anwältin in Washington dürften die gestiegenen Preise für Brot, Milch oder Eier nicht gross kümmern. Daneben arbeiten Millionen von Amerikanerinnen und Amerikanern in absolut trostlosen Jobs und müssen schauen, dass sie irgendwie über die Runden kommen.
Ob dies dem American Dream, in dem es jeder, der Einsatz zeigt, schaffen kann, noch entspricht? Ich habe meine Zweifel.
Ich habe auf dem Weg Richtung Chapel Hill eine Bekannte besucht, die etwas ausserhalb von Atlanta wohnt. Seit 20 Jahren lebt sie in den USA, aufgewachsen ist sie unter anderem in der Schweiz und es bestehen Überlegungen, zurückzukehren. Einer der Gründe: das Auto.
Auf die Frage, was sie ohne erledigen könne, antwortete sie: «Nichts.» Einkaufen ohne Auto, unmöglich. Die Tochter ohne Auto in die Kita bringen: unmöglich. Ohne Auto zur Arbeit gehen: unmöglich. Ohne Auto auswärts essen gehen: unmöglich. Ohne Auto zum Arzt gehen: unmöglich.
Es ist schon krass, wie die Vereinigten Staaten ausserhalb der Grosstädte auf den Besitz eines Autos ausgerichtet sind. Und wie sich die Amerikaner daran gewöhnt haben. Die hinteren Plätze in der Parkgarage meines Hotels sind immer leer, weil man von dort eine halbe Minute länger zum Ausgang laufen muss.
Primär assoziiert man die Vereinigten Staaten ja mit Fast Food. Ich schliesse mich aus diesem vorverurteilenden Kanon nicht aus. Doch damit tun wir den Amerikanern unrecht.
Wenn man einige Minuten in die Recherche investiert, gibt es eine Vielzahl an richtig guten Restaurants, in welchen es sich für einen anständigen Preis sehr fein essen lässt.
Natürlich ist die Vielfalt im Yuppie-Mekka Miami und in Grossstädten wie Chicago, Los Angeles oder New York nochmals etwas grösser. Da können Food-Begeisterte kulinarisch einmal über den Kontinent brettern und ihre Instagram-Accounts mit Food-Content vollschaufeln. Aber auch an kleineren Orten findet sich fast immer etwas Gutes.
Die sinnlose Abfallproduktion in den USA ist völlig absurd, die Verschwendung von Plastik fast schon legendär.
Es beginnt bei den Restaurants, wo das Essen regelmässig auch dann in Plastikgeschirr serviert wird, wenn man es vor Ort konsumiert. Dasselbe ist in vielen Hotels beim Frühstück zu beobachten. Die Äpfel bei uns am Buffet waren aus übertriebenen Hygienebemühungen alle einzeln in Plastikfolie verpackt.
Es geht weiter in Supermärkten, wo die Trägheit der Amerikaner dadurch unterstützt wird, dass Gemüse und Früchte, die von Natur aus bekanntlich eine Schale hätten, vorgeschnitten in Plastikbehältern zu kaufen sind. Gibt es in der Schweiz auch, ich weiss, aber nicht in diesem Ausmass.
Fast kein Mensch hier geht mit eigenen Einkaufstüten in einen Laden. Man nimmt an der Kasse halt einfach die nächsten drei Plastiksäcke. Nach mir die Sintflut.
Die Amerikaner lieben Eis in ihren Getränken, dies zumindest ist mein Eindruck. Selbst wenn es nicht 30 Grad heiss ist, werden die Gläser ungefragt und inflationär mit Eiswürfeln vollgepackt.
Was wiederum dazu führt, dass erwachsene Menschen einen normalen Softdrink mit einem Röhrli trinken müssen, weil ihnen sonst die Zähne abfrieren. Auch in jedem Hotel gibt es eine riesige Eismaschine, an der sich die Gäste bedienen können.
Zum Zmittag gabs dann Pizza (Karton) und Spaghetti (Plastik) - und 5 weitere Kübel.