SPOILER, ihr seid echt selbst schuld, wenn ihr das lest! Was am meisten saugt, ist die Titelmelodie. Dieses «Taaaaaa-ta-taaaa. Taaaaaa-ta-taaaa ...» Dazu stürzt wie früher der gespaltene Wasserfall von Twin Peaks in die Tiefe. Und als wären wir ein hilfloses Stückchen Dreck vor einem Staubsauger, geht's auch schon mitten hinein in den Red Room (der zu Beginn allerdings grau ist), zu Agent Cooper (Kyle MacLachlan) und dem Riesen (der jetzt allerdings ??????? heisst).
SPOILER, ich hab euch gewarnt! «It is in our home now», sagt ???????. Was meint er damit? Trump? Die Klimaerwärmung? Auf einem kahlen Baum sitzt ein sprechendes Hirn, wie Hirne das eben so tun.
SPOILER, okay, euch ist jetzt nicht mehr zu helfen! Wir befinden uns zum Zeitpunkt dieses Textes nach 4 Folgen der 3. Staffel von «Twin Peaks». Denn 4 Folgen treiben seit Sonntagnacht bereits im pink gefärbten Urmeer (um ein Bild aus Folge 3 zu benutzen) des Internets. In Folge 3 wohnt über dem pinken Meer übrigens eine Frau mit zugewachsenen Augen, die von einem verbeulten Kupfervibrator ins Weltall geschleudert wird.
SPOILER – und ihr seid immer noch da!!! In der normalen Welt, die auch sehr sonderbar ist, wurde unterdessen eine Bibliothekarin mittels Schuss ins Auge getötet. Bloss von wem? Etwa von einem Lehrer? Oder von Coopers enorm brutalem, wortkargen Doppelgänger? Und wieso? Und wie nennt man eigentlich einen doppelten Doppelgänger? Einen Trippelgänger? Das weiss nur David Lynch. Vielleicht aber auch nicht.
NO SPOILER! Es gibt ja die nie widerlegte Anekdote, dass einer der «Twin Peaks»-Produzenten während der Ausstrahlung der allerersten Staffel einen Anruf des damaligen Präsidenten Ronald Reagan erhielt. «Gorbatschow will wissen, wer Laura Palmer getötet hat», soll Reagan gesagt haben. «Twin Peaks» schrieb nicht nur TV- und Serien-, sondern auch ein bisschen Weltgeschichte.
NO SPOILER! David Lynch selbst hatte damals noch keine Ahnung, wer den Teenager aus Twin Peaks, um dessen Leiche sich die surrealste Ermittlung unserer Zeitrechnung rankte, getötet haben könnte. Er wartete immer noch auf eine Eingebung. So, wie ihm einst die Eingebung zum Red Room einmal gekommen war, als er sich im Sonnenuntergang gegen ein warmes, rotes Auto gelehnt hatte.
ZWEI SPOILER – go away! Auch in «Twin Peaks» 2017 warten Menschen auf Eingebungen. Gern sitzen sie dabei vor einem Fernseher wie Lauras Mutter, die ungerührt zusieht, wie Löwen einen Ochsen zerfetzen. Oder sie sind jung, brauchen Geld, sitzen deshalb vor einer Glaskiste in New York und warten darauf, dass sich irgendwas manifestiert. Was es zuerst nicht tut. Worauf sie Sex haben. Was natürlich – hallo, Horrorfilm! – die Manifestation triggert. Worauf die beiden mit ausgelöffelten Köpfen enden.
NO SPOILER! Nach 4 Folgen nonstop fühlt man sich auch ein bisschen ausgelöffelt. Und es gibt Menschen, die jetzt schon sagen, der Glaskisten-Horror sei der Schlüssel zum Verständnis von David Lynchs 18-teiligem Über-Oeuvre. Die Persiflage auf uns Sofakartoffeln, die wir sitzen und warten und uns das Hirn verbrutzeln lassen.
SPOILER – wääääääk! Ach, der David. Was hat er nur wieder gemacht. 26 Jahre sind seit Coopers Verbannung in den Red Room am Ende der 2. Staffel von «Twin Peaks» vergangen. Auf 230 Personen ist der Cast der 3. Staffel angeschwollen, alle wollen mitmachen, und sei es nur für wenige Sekunden oder für eine winzige Statistenrolle irgendwo in der Bang Bang Bar, wo die Folgen 2, 3 und 4 bei Live-Musik enden (etwa von Au revoir Simone).
SPOILER – wer spoilert ist ein Arsch! Es ist ein chaotisches Meet and Greet, und lieb gewonnene Kultfiguren wie Agent Denise (David Duchovny) dürfen nur ganz kurz auftreten. Nicht nur Dale Cooper hat sich jetzt vervielfacht, sondern auch die Schauplätze, Twin Peaks ist nur noch ein winziges Örtchen auf Lynchs surrealer Landkarte, und am längsten halten wir uns dort bei Lucy und Andy, dem Deppenpaar aus dem Sheriff's Departement auf.
NO SPOILER – trotzdem frustrierend: Das ist insgesamt alles sehr unterhaltsam und natürlich hoch ästhetisch. Aber der atmosphärisch so dichte, sonderbare Zauber aus dem unheimlichen Hinterwald von damals fehlt. Es wuchert ungestüm, aber es wächst nichts richtig. Alles ist aus den Fugen, leider auch Lynchs dramaturgisches Gespür. So sorry.
SPOILER – gruuusig! «Twin Peaks» 2017 sind vor allem andern die Kyle-MacLachlan-Festspiele. Wogegen nun gar nichts einzuwenden ist. Seine aktuell drei verschiedenen Cooper-Rollen – der einsame Killer, ein Spiessbürger, er selbst – sind in jeder Einstellung ein Hochgenuss. Was für ein abgedrehter, brillanter Freak! Wenn «Twin Peaks» 2017 überhaupt noch irgendeine Geschichte erzählen mag, dann jene von Cooper. All die Toten, die nach Folge 4 bereits am Wege liegen, sind bloss Beigabe.
NO SPOILER – oder? An dieser Stelle soll nun echt nichts mehr verraten werden. Senken wir Lynchs rote Labyrinth-Vorhänge über die Frage, ob es Special Agent Dale Cooper je wieder gelingen wird, in unsere Welt zurück zu kehren. Und ob er sich da wieder an so einfache Dinge erinnern wird wie etwa die Benutzung einer Toilette und das Trinken von Kaffee ...
In der Schweiz können Teleclub-Abonnenten die neuen Folgen ab 25. Mai um 20.15 Uhr auf dem Kanal «Sky Atlantic HD» sehen. Oder sie surfen in den Tiefen des Urmeers namens Internet ...