meist klar
DE | FR
International
Russland

Obama wirft Putin vor, in Syrien «gemässigte» Rebellen zu bombardieren. Wer das sein soll, weiss er selbst nicht

Fahne der Freien Syrischen Armee (FSA) über der Stadt Duma bei Damaskus, wo 2012 erbitterte Gefechte zwischen FSA und Regierungstruppen stattfanden.
Fahne der Freien Syrischen Armee (FSA) über der Stadt Duma bei Damaskus, wo 2012 erbitterte Gefechte zwischen FSA und Regierungstruppen stattfanden.
bild: anadolu agency/Motasem Rashed 

Obama wirft Putin vor, in Syrien «gemässigte» Rebellen zu bombardieren. Wer das sein soll, weiss er selbst nicht

11.10.2015, 16:2413.10.2015, 10:16
Kian Ramezani
Folge mir
Mehr «International»

Wladimir Putin sagt, Russlands Bombenangriffe in Syrien gelten Terroristen. Barack Obama kauft ihm das nicht ab. Moskau attackiere vor allem «gemässigte» Rebellen, um dadurch das Regime des Machthabers Baschar al-Assad zu stützen, behauptet der US-Präsident. Da diese auch gegen den IS kämpften, bedeute ihre Schwächung indirekt auch eine Stärkung der Terroristen. Kurzum: Russlands Intervention macht alles schlimmer.

Die Argumentation der USA weist eine Reihe von Schwachstellen auf:

Wo und wer ist die Freie Syrische Armee?

Wer sind diese «gemässigten» Rebellen? Vermutlich ist damit die Freie Syrische Armee (FSA) gemeint, von der man seit geraumer Zeit nichts mehr gehört hat. Doch seit dem aktiven Kriegseintritt Russlands soll sie plötzlich wieder eine tragende Rolle in dem Konflikt spielen. Wenn sie noch existiert, dann dezimiert und marginalisiert. Das wirft die Frage auf, warum Russland seine Feuerkraft auf eine Gruppe konzentriert, die den Ausgang des Konflikts nicht mehr entscheidend beeinflusst. Und wenn Russland es dennoch täte: Es ist unwahrscheinlich, dass Assad und der IS dadurch merklich gestärkt würden, wie Obama behauptet.

Der russische Aussenminister Sergej Lawrow bezeichnet die «moderate syrische Opposition» gar als «Phantom», also nicht-existent. «Ich glaube, die Freie Syrische Armee trinkt viel Kaffee in Istanbul», schrieb der renommierte britische Nahostexperte Robert Fisk 2014. Wenn die FSA noch kämpft, dann kaum als eigenständige Kraft, sondern im Verbund mit nicht-gemässigten, islamistischen Rebellen, die den Löwenanteil der bewaffneten Opposition stellen. Dazu gehört auch die Al-Nusra-Front, die der Al Kaida nahesteht.

Wo und wer sind die «unabhängigen Islamisten»?

Die USA haben ihre Argumentation inzwischen verfeinert: Nicht nur den IS, sondern auch «Al-Kaida-nahe Terroristen» gelte es, anzugreifen. Lässt sich daraus schliessen, dass ausser IS und Al-Nusra alle anderen Rebellen «gemässigt» sind? Die New York Times bedient sich eines Kunstgriffs und erfindet eine weitere Kategorie: «unabhängige islamistische Rebellen». Also solche, die weder mit dem IS noch Al Kaida verbandelt sind. Vermag das auszublenden, dass auch solche Gruppierungen Greueltaten an der Zivilbevölkerung verüben? Wer würde ernsthaft behaupten, dass sie eine willkommene Alternative zum Assad-Regime oder dem IS darstellen?

Die im Westen gehandelten Karten (siehe Beispiel unten) über die Frontverläufe in Syrien zeugen von dieser Selbsttäuschung. Üblicherweise tauchen darin vier Konfliktparteien auf: Assad-Truppen, IS, Kurden und «Rebellen». Assad und der IS als die Bösen, Kurden und die «Rebellen» als die Guten. Als Kartenzeichner vor der Komplexität des Syrienkonflikts zu kapitulieren, ist verzeihbar. Auf derselben Grundlage Luftangriffe durchzuführen, hingegen nicht.

Frontverlauf in Syrien

Bild
karte: acaps

Wer ist säkular und was spielt das überhaupt für eine Rolle?

«Gemässigt» war aus Sicht des Westens von Beginn weg gleichbedeutend mit «säkular», im Sinn einer Alternative zu den islamistischen Rebellen. Nach vier Jahren Krieg ist nur noch eine nennenswerte Partei säkular, und das ist das Assad-Regime. Wie man es auch anschaut: Die Kategorien «gemässigt» und «säkular» führen in eine Sackgasse. 

Obama weiss, dass es keine «gemässigten» Rebellen gibt

US-Präsident Barack Obama ist sich dieser Widersprüche nicht erst seit gestern bewusst. Folgende bemerkenswerte Aussage machte er bereits 2014 in einem Interview:

«Die Vorstellung war schon immer ein Märchen, dass wir leichte oder auch anspruchsvollere Waffen an eine Opposition liefern können, die im Prinzip aus ehemaligen Ärzten, Bauern, Apothekern usw. besteht und die imstande ist gegen einen hochgerüsteten Staat zu bestehen, der von Russland, Iran und der kriegserfahrenen Hisbollah unterstützt wird. Das war nie eine Option.»

Die USA haben es bekanntlich trotzdem versucht, «gemässigte» Rebellen auszusuchen und mit amerikanischen Waffen auszurüsten. Das Programm war ein totaler Reinfall und wurde dieser Tage eingestellt. Von Seiten der Rebellen gab es offenbar kaum Interesse, daran teilzunehmen. Von den wenigen, die es doch taten, verkauften einige ihre Waffen an islamistische Gruppierungen. Ziel war ursprünglich, 5000 Rebellen auszurüsten. Ganze 54 waren es am Schluss. Davon kämpften «vier oder fünf» gegen den IS.

Kritik an Russland ist berechtigt, aber ...

Die Frage, wen und was Russland in Syrien bombardiert, ist legitim. Aber nicht, weil es die «falschen» Rebellen trifft. Sondern weil Luftangriffe, egal ob von der NATO oder von Russland, die Lage nicht verbessern, sondern verschlimmern. Die Vorstellung, aus der Luft zur Lösung/Linderung des Syrienkonflikts beizutragen, gehört ins Reich der Selbstlügen verbannt. Die USA und ihre Verbündeten bomben seit einem Jahr. Die einzige feststellbare Veränderung auf dem Boden ist die Flüchtlingskrise.

Es gibt in Syrien nichts (mehr) zu bombardieren. Die Zeit ist reif für eine politische Lösung. Auch das wissen wir schon seit Ausbruch der Gewalt.

Hol dir jetzt die beste News-App der Schweiz!

  • watson: 4,5 von 5 Sternchen im App-Store ☺
  • Tages-Anzeiger: 3,5 von 5 Sternchen
  • Blick: 3 von 5 Sternchen
  • 20 Minuten: 3 von 5 Sternchen

Du willst nur das Beste? Voilà:

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet um die Zahlung abzuschliessen)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
24 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Tschowanni
11.10.2015 17:37registriert Oktober 2015
Die Türkei bombardiert auch die Kurden die z.t. erfolgreich gegen die IS gekämpft haben. Da schreit kein Hahn danach. Böse, böse Russen
823
Melden
Zum Kommentar
avatar
Roger Gruber
11.10.2015 18:00registriert Februar 2015
Gratuliere zu diesem differenzierten Artikel, Kian. Bei Punkt 5 liegst du richtig aber doch auch falsch. Die West-Allianz hat den IS nur scheinbar bekämpft, und das nur aus der Luft. Die russischen Luftschläge haben den Boden bereitet für syrische Bodentruppen. Dies ist die erste wirklich koordinierte und resolute Gegenwehr. Diese Kooperation hat die Islamisten und den IS schon nach kurzer Zeit empfindlich geschwächt. Trotzdem ist (faire) Kritik an Russland berechtigt: bisher hat such Putin berechenbar und vernünftig verhalten, aber heutzutage sollte man sehr vorsichtig sein.
647
Melden
Zum Kommentar
avatar
Sapere Aude
11.10.2015 16:55registriert April 2015
Dieser Artikel wiederspiegelt genau mein ungutes Gefühl betreffend dem Syrienkrieges. Ich würde mir mehr solch differenzierte Artikel von den Medien wünschen, als reine Pro oder Contra Artikel. Ich glaube, wenn es überhaupt noch Gemässigte gibt, sind da jene, die ihre Familien versuchen in Sicherheit zu bringen.
541
Melden
Zum Kommentar
24
Brittany Sellner: So vertreibt Martin Sellners Frau Rechtsextremismus auf Social Media
Brittany Sellner ist seit 2017 die Ehefrau von Martin Sellner. Auf ihren Social-Media-Kanälen verpackt sie seine rechtsextremen Ansichten mit Schleife.

Martin Sellner wurde am vergangenen Samstag im Kanton Aargau abgeführt. Der österreichische Rechtsextremist wollte einen Vortrag in Tegerfelden über «Ethnische Wahl und Remigration» halten und seinen Plan – Millionen von Menschen aus Deutschland auszuschaffen – präsentieren. Dazu reiste er in die Schweiz ein; die Kantonspolizei Zürich hatte vorgängig erfolglos ein Einreiseverbot beim Bund beantragt. Seine Abführung sorgte für grosse Aufmerksamkeit und sogar Elon Musk äusserte sich dazu.

Zur Story