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Bankerin Hilb zum Fed-Entscheid: «Abgebremst von 150 auf 70»

Caroline Hilb: «Es ist höchste Zeit, dass Geld wieder etwas kostet.»
Caroline Hilb: «Es ist höchste Zeit, dass Geld wieder etwas kostet.»
bild: zvg
Interview

Bankerin Caroline Hilb zur Zinserhöhung der Fed: «Das ist, wie wenn man ein Auto von 150 auf 70 Stundenkilometer abbremsen muss»

Die US-Notenbank hat getan, was schon lange erwartet wurde: Sie hat erstmals seit mehr als neun Jahren die Leitzinsen erhöht. Caroline Hilb, Ökonomin bei der St.Galler Kantonalbank, erklärt, warum die Wirtschaft das verkraften kann.
17.12.2015, 08:5917.12.2015, 09:40
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Frau Hilb, Godot ist endlich erschienen, die lang ersehnte Zinswende ist da.
Caroline Hilb: Leider. Ich habe dagegen gewettet, und ein paar Kollegen werden sich jetzt freuen. Als Ökonomin begrüsse ich den Zinsschritt.

Zur Person
Caroline Hilb ist seit 2008 Leiterin Anlagestrategie und Analyse bei der St.Galler Kantonalbank. Die Ökonomin fühlt der Weltwirtschaft Monat für Monat den Puls. Sie ist verantwortlich für das Erstellen der Wirtschaftsaussichten und für die Einschätzung der globalen Finanzmärkte.
Hilb hat an der Universität Bern Volkswirtschaft studiert. Sie hat ein Nachdiplomstudium in Applied History an der Universität Zürich abgeschlossen. (pl)

Sie sind in bester Gesellschaft. «Economist» und «Financial Times» halten die Zinserhöhung für verfehlt. Was wird sich jetzt ändern?
Die Notenbanken, vor allem die US-Fed, sind diejenigen, die den Takt auf den Finanzmärkten vorgeben. Dieser Takt ändert sich nun.

«Die Teilnehmer an den Finanzmärkten werden sich umstellen müssen, was sie verunsichert. Deshalb werden die Kursausschläge nach oben und unten an den Aktienmärkten auch zunehmen.»
Caroline Hilb

Wie genau? Wird er schneller oder langsamer, wird die Musik leiser oder lauter?
Sie wird leiser, und das mögen die Märkte nicht. Sie haben es gerne, wenn etwas laut und eindeutig ist. Die Zinswende zwingt uns dazu, wieder genauer hinzuhören. Es wird schwieriger, sich eine Meinung zu bilden. Oder um es anders zu sagen: Es ist so, wie wenn Sie bisher mit dem Auto 150 Stundenkilometer fahren durften und jetzt nur noch 70. Bis sich alle daran gewöhnt haben, dauert es seine Zeit.

Die Fed hat die Leitzinsen ja bloss um ein Viertelprozent erhöht. Warum also die Aufregung?
Mir erschien das Geschrei um den Zeitpunkt des ersten Zinsschritts auch übertrieben. Aber nochmals: Der Finanzmarkt lebt ein bisschen von diesem Lärm.

Ihr Job besteht darin, den Lärm von den wichtigen Signalen zu trennen ...
Ja, ein bisschen muss ich beim Lärm auch mitmachen, aber ich habe ein feines Musikgehör.

Was ist nun das Signal der Zinserhöhung?
Die Wirtschaft wird diesen Schritt verkraften können. Die Teilnehmer an den Finanzmärkten werden sich aber umstellen müssen, was sie verunsichert. Deshalb werden die Kursausschläge nach oben und unten an den Aktienmärkten auch zunehmen.

Was dies zur Folge haben könnte, wird sehr unterschiedlich beurteilt. Die einen sagen, es werde gar nichts passieren, die anderen befürchten einen neuen Crash. Wie sehen Sie das?
Ich sehe sicher keinen Crash. Letztlich ist die Zinserhöhung ein positives Signal, das uns anzeigt, dass die amerikanische Wirtschaft wieder in Fahrt gekommen ist.

Und was ist mit den vielen jungen Händlern, die noch niemals mit steigenden Zinsen umgehen mussten?
Das ist keine Frage des Alters. Ich denke, dass viele gut damit klar kommen werden. Zinserhöhungen gehören ja zum normalen Gang der Konjunktur dazu.

«Ich sehe sicher keinen Crash. Letztlich ist die Zinserhöhung ein positives Signal, das uns anzeigt, dass die amerikanische Wirtschaft wieder in Fahrt gekommen ist.»
Caroline Hilb

Es gibt auch Experten, die von einem «So-tun-als-ob» sprechen. Sie prophezeien, dass wir noch lange mit Tiefstzinsen leben müssen. Wie sehen Sie das?
Es ist mehr als ein Symbol, es hat eine ökonomische Bedeutung. Der Zins ist der Preis des Geldes – und es ist höchste Zeit, dass Geld wieder etwas kostet. Aber die tiefen Zinsen hängen auch eng mit der tiefen Inflationsrate zusammen.

In der Schweiz haben wir genau genommen eine Deflation.
Wir haben deflationäre Tendenzen. Wie auch immer: Hohe Zinsen sind in diesem Umfeld nicht möglich.

Warum ist die Inflation so tief?
Billige Rohstoffe, stärkerer globaler Wettbewerb, die Konsumenten können dank dem Internet besser vergleichen: Es gibt verschiedene Gründe. Nur sollten wir nicht vergessen: Es gibt auch steigende Preise.

Die Angst vor einer Hyperinflation, die zeitweise geschürt wurde, war jedoch weit übertrieben.
Diese Angst habe ich nie geteilt.

Woher aber soll die Inflation kommen?
In den nächsten drei Jahren werden wir wahrscheinlich sehr tiefe Inflationsraten sehen. Irgendwann wird sich die Inflation wieder bemerkbar machen.

«Ich habe mein Alterskapital mit dem verglichen, was meine jetzt vierjährige Tochter erwarten wird. Da liegen Welten dazwischen. Mein Alterskapital ist exponentiell gewachsen, bei meiner Tochter wird die Kurve – wenn es so weitergeht – flach sein.»
Caroline Hilb

Gar als Deflation?
Einigen wir uns auf negative Inflationsraten. Doch wir leben in speziellen Umständen, die nicht immer so bleiben werden. Die Rohstoffpreise werden sich irgendwann erholen. Sollten sie wieder steigen, dann wird sich auch der Inflationsdruck erhöhen.

Aber Sie gehen davon aus, dass wir in der Schweiz noch Jahre mit negativen Zinsen leben müssen?
2016 auf jeden Fall. Ich erwarte aber nicht, dass die SNB die Zinsen nochmals senken wird.

Die Pensionskassen leiden unter dieser Situation. Was können sie dagegen tun?
Für die Pensionskassen sind die negativen Zinsen ein grosses Problem. Ich habe kürzlich an einem Kundenanlass die Zinseszinsen meines Alterskapitals mit dem verglichen, was meine jetzt vierjährige Tochter erwarten wird. Da liegen Welten dazwischen. Mein Alterskapital ist exponentiell gewachsen, bei meiner Tochter wird die Kurve – wenn es so weitergeht – flach sein.

Dafür haben wir tiefe Hypothekarzinsen und eine boomende Bauwirtschaft.
Das stimmt. Der Bausektor profitierte von den tiefen Zinsen. Im Moment zeigt sich da aber eine gewisse Verlangsamung.

Das billige Geld sollte die Unternehmer auch zum Investieren verleiten ...
Das würden sie auch, aber der starke Franken ist ein Hinderungsgrund.

Es gibt auch Stimmen, die sagen, der starke Franken sei eine prima Fitnesskur für die Schweizer Wirtschaft.
So einfach ist es nicht. Stellen Sie sich vor, sie wären Chef eines KMU und abhängig von Exporten in die Eurozone. Dann hätten Sie aktuell wenig Sinn für solche Sprüche. Mittelfristig sieht die Sache etwas anders aus. Da ist es positiv, weil die Herausforderung auch neue Lösungen bringt.

Spricht die unsichere geopolitische Lage nicht dafür, in der Schweiz zu bleiben?
Die Schweiz hat eine ausgezeichnete Infrastruktur, und die Schweizer sind verlässlich. Sehen Sie, wir beide haben heute um neun Uhr abgemacht, und wir beide waren pünktlich. Das ist in anderen Ländern nicht selbstverständlich. Viele, die wegen niedrigen Lohnkosten ins Ausland gehen, unterschätzen das.

«Als Chef eines KMU, das abhängig ist von Exporten in die Eurozone hätten Sie aktuell wenig Sinn für solche Sprüche.»
Caroline Hilb

Kann man das so interpretieren: Der Werkplatz Schweiz wird wegen dem starken Franken leiden, aber er wird es überstehen?
Der Werkplatz Schweiz bleibt gefordert, er wird sich stark verändern – aber er wird es überstehen.

Wenn Sie das alles berücksichtigen: Zu welcher Prognose kommen Sie? Fangen wir mit der Weltwirtschaft an.
Die US-Wirtschaft hat sich erholt und wird in den nächsten ein bis zwei Jahren boomen. Das ist gut für die Weltwirtschaft. Wenn wir alle geopolitischen Risiken aussen vor lassen, dann sind die Aussichten für die Weltwirtschaft okay. Sie wird im Rahmen von drei bis vier Prozent wachsen.

Und was ist mit China?
China steckt in einem schwierigen Veränderungsprozess, wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich. Die Umweltprobleme sind inzwischen so gross, dass sie sich negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken. Daher werden die Wachstumsimpulse aus China zurückgehen. Auch andere Schwellenländer wie Brasilien sind derzeit in Nöten.

Dafür scheint die Erholung der europäischen Wirtschaft flott voranzugehen.
Wirtschaftlich hat die Eurozone die Krise genutzt. Es gibt jetzt eine Bankenunion. Griechenland ist aus den Schlagzeilen verschwunden.

Boomende USA, schwächelnde Schwellenländer und ein Fragezeichen Europa: Was bedeutet das für die Schweiz?
Wir sind vorsichtig und rechnen für nächstes Jahr mit 0,8 Prozent BIP-Wachstum.

«Horror wäre für mich, wenn der Euro zusammenkrachen würde. Technisch wäre das vielleicht lösbar, aber ich fühle mich sehr wohl in einem vereinten Europa.»

Die letzten beiden Jahre waren die Prognose der Ökonomen sehr positiv – die Realität dann weniger.  Sie sind nun verhalten optimistisch bis leicht pessimistisch. Was müsste passieren, damit Sie damit falsch liegen und alles viel besser wird?
Es könnte sein, dass sich die Lage am Schweizer Arbeitsmarkt besser entwickelt als ich befürchte, dass wegen des starken Frankens viel weniger Firmen Arbeitsplätze ins Ausland verlegen. Wenn der Arbeitsmarkt stärker bleibt, dann wird auch der Konsum stärker sein. Es könnte auch sein, dass die Eurozone schneller als erwartet wieder in Schwung kommt, und der Franken sich wieder abschwächt. Auch China könnte für eine positive Überraschung gut sein und den Turnaround schneller als erwartet schaffen.

Was, wenn alles noch schlimmer kommen sollte? Wie sieht Ihr Horror-Szenario aus?
Horror wäre für mich, wenn der Euro zusammenkrachen würde. Technisch wäre das vielleicht lösbar, aber ich fühle mich sehr wohl in einem vereinten Europa. Sollte die Eurozone auseinander brechen, würde das Chaos und Verunsicherung zur Folge haben.

Und was ist mit Syrien und Russland?
Politisch ist die Lage sehr kritisch, ökonomisch weniger. Die Finanzmärkte reagieren aktuell nicht darauf.

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