Ein herzzerreissendes Foto zweier vermeintlicher Erdbebenopfer aus Nepal sorgt in der Social-Media-Welt für Furore. «Vierjähriger Junge beschützt seine zweijährige Schwester», heisst es etwa im Begleittext zum Foto, das auf Facebook und Twitter unzählige Male geteilt wurde. Es gab Versuche, die Kinder zu finden, und Spendenaufrufe.
4 year old boy protecting his 2 year old sister in Nepal. Heartbreaking and real. pic.twitter.com/XjwHxGblt0
— Jason Wainwright (@ToonLawyer) 3. Mai 2015
Dumm gelaufen. Denn die Aufnahme stammt weder aus Nepal noch zeigt sie Opfer des schweren Erdbebens. Sie wurde im Oktober 2007 vom Fotografen Na-Son Nguyen in Nordvietnam aufgenommen. Die beiden Kinder gehörten der ethnischen Minderheit der Hmong an, betonte Nguyen auf Twitter.
Die Kinder hätten vor ihrem Haus gespielt, während die Eltern auf dem Feld arbeiteten, sagte der Fotograf der BBC. Seine Anwesenheit habe dem Mädchen offenbar Angst eingejagt, es habe zu weinen begonnen und sei von seinem Bruder getröstet worden. «Es war sowohl bewegend wie auch niedlich, deshalb habe ich schnell abgedrückt.»
This is my photo about two Vietnamese Hmong ethnic children taken in 2007 in Ha Giang province, it's not about Nepal pic.twitter.com/yq04TsH6CF
— Na-Son Nguyen (@nasonnguyen) 2. Mai 2015
Nguyen veröffentlichte das Bild auf seinem Blog. Womit er nicht rechnete, war die Eigendynamik des Internets. Bald schon wurde es von vietnamesischen Facebook-Usern geteilt und mit fantasievollen Erklärungen versehen. Von verlassenen Waisenkindern war etwa die Rede. «Einige haben ganze Geschichten erfunden, etwa dass ihre Mutter gestorben sei und der Vater sie verlassen habe.»
Damit nicht genug: Na-Son Nguyen entdeckte sein Foto später auch mit Legenden wie «Waisenkinder aus Burma» oder «Opfer des syrischen Bürgerkriegs», wofür man definitiv einige Einbildungskraft benötigt. Seine Versuche, die Sachlage zu berichtigen oder das Copyright einzufordern, waren erfolglos. Nguyens resignatives Fazit: «Dies ist wohl mein meistgeteiltes Foto, aber leider im falschen Kontext.» (pbl)