International
Syrien

Die Woche in Aleppo beweist: Sie lügen alle. ALLE!!!

Die Woche in Aleppo beweist: Sie lügen alle. ALLE!!!

23.09.2016, 17:2025.09.2016, 17:56
Philipp Dahm
Folge mir
Mehr «International»

Als ich zuletzt über den Syrien-Konflikt geschrieben habe, war der Aufhänger, dass der jüdische Journalist Hendryk M. Broder geschrieben hat, Aleppo sei schlimmer als Auschwitz. Weil man da sehenden Auges eine humanitäre Katastrophe hinnehme, während das Ausmass des Holocausts erst spät einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden sei.

Das ist auf den Tag genau sechs Wochen her: Was hat sich seither verändert? Das ohnehin unübersichtliche Durcheinander der Kriegsparteien ist dank der türkischen Intervention in dem Konflikt noch komplizierter geworden. Ausgerechnet Ankara! Vordergründig werden Islamisten bekämpft, hintenrum Kurden zurückgedrängt.

Doch Präsident Recep Tayyip Erdogan ist beileibe nicht der einzige, der im Syrien-Poker falsch spielt. Wer sich nur ansieht, wie die Zocker – bloss seit Montag – bluffen, betrügen und die Karten zinken, den kann nur die kalte Wut der Ohnmacht packen. Die Parteien schieben sich die Schuld gegenseitig in die Schuhe, sodass am Ende des Tages nur eines sicher scheint: Sie lügen! Sie lügen alle!!! Sieh selbst.

Montag, 19. September

Was? Video eines Luftangriffs auf einen UNO-Hilfskonvoi
Quelle? Möglicherweise von Islamisten
Inhalt: Ein Angriff von Flugzeugen ist zu sehen und zu hören. Die Attacke wird qualifiziert: Es ist von Fassbomben und Helikoptern die Rede, was auf einen Einsatz russischer oder syrischer Kräfte schliessen lassen würde.
Propagandaeffekt: Die klägliche deutsche Untertitelung lässt vermuten, dass das Video als islamistische Propaganda dient.

Video: YouTube/RT

Was? Pressekonferenz Weisses Haus
Quelle? Ruptly (gehört zum russischen Staatssender RT)
Inhalt: Der Sicherheitsberater sagt, der UNO-Konvoi sei durch einen Luftangriff getroffen worden, weshalb nur syrische oder russische Flugzeuge verantwortlich sein könnten.
Propagandaeffekt: Versuch einer Schuldzuweisung an Moskau

Was? Pressekonferenz russisches Verteidigungsministerium
Quelle? YouTuber R&U (pro-russisch)
Inhalt: Moskau weist die Anschuldigung zurück, man sei für den Angriff auf den UNO-Konvoi verantwortlich. Vielmehr seien US-Kampfdrohnen vom Typ «Predator» zur besagten Zeit über Syrien geflogen.
Propagandaeffekt: Die Karten und genannte Details wie die Flughöhe der Drohnen gaukeln Seriosität vor, doch Beweise legt Russland ebenso wenig vor wie die USA.

Dienstag, 20. September

Was? «Analyse» von Videos über den Konvoi-Angriff
Quelle? YouTuber R&U (pro-russisch)
Inhalt: Obwohl keine russischen Flugzeuge zur Tatzeit im Luftraum gewesen sein sollen, zeigen russische Luftaufnahmen einen Rebellen-Truck beim Konvoi. Die These wird aufgestellt, es habe keinen Luftangriff gegeben, sondern Artilleriebeschuss von Islamisten. Das zeigte auch ein Video der pro-oppositionellen «Thiqa Agency» mit Helfern einer NGO (White Helmets), das kurz nach dem Luftangriff entstand. 
Propagandaeffekt: Vor allem Verwirrung. Aber Russland war es auf keinen Fall!

Mittwoch, 21. September

Kriegsbeute der Islamisten – iPhone inklusive.
Kriegsbeute der Islamisten – iPhone inklusive.

Was? «Islamischer Staat» («IS») beim Kampf
Quelle? «IS»
Inhalt: Erst wird im Stil des Shooters «Battlefield» geschossen, ohne dass Gegner zu sehen sind. Dann werden die Islamisten beim Gang durch einen Vorort gezeigt. Leichen syrischer Soldaten und erbeutete Munition werden präsentiert.
Propagandaeffekt: Mit solchen Videos machen die Rattenfänger Werbung bei potenziellen westlichen Dschihadisten. Die Botschaft: So cool sind wir, so tot die anderen – und du kannst sogar ein iPhone erbeuten.

Donnerstag, 22. September

Was? Interview mit Assad
Quelle? Nachrichtenagentur Associated Press (AP)
Inhalt: Der Präsident Syriens – oder dem, was davon übrig ist – sagt, die USA, die mit der Türkei und den Islamisten zusammenarbeiten, seien an allem schuld. Denkwürdig ist der Satz: «Wenn Aleppo belagert werden würde, wären alle bereits tot.» (Transkript hier)
Propagandaeffekt: Die humanitäre Katastrophe wird durch Assads Gegner verursacht.

Was? Oppositionelle beim Kampf
Quelle? Freie syrische Armee (FSA)
Inhalt: Erst ballert die FSA auf imaginäre Gegner im freien Feld, dann sind sie wohl beim Häuserkampf zu sehen.
Propagandaeffekt: Die Gegenpropaganda zum «IS»: Wegen des «Battlefield»-GoPro-Stils und weil keine Leichen zu sehen sind, ist die Botschaft wohl «So cool und easy ist Krieg bei der FSA». 

Was? Eine Art Gegendarstellung
Quelle? Das syrische Netzwerk für Menschenrechte
Inhalt: Ein Syrer, über den im russischen Regierungssender RT gesagt wurde, er gehöre zu einer Gruppe von Kämpfern, die aus Aleppo abziehen, sagt, er habe nur für Brot angestanden.
Propagandaeffekt: Keine Werbung für Russland

Was? Luftangriff mit Phosphorbomben auf Aleppo
Quelle? Die der Opposition nahestehende Agentur Thiqa
Inhalt: Selbst aus der Ferne wird dem Zuschauer klar, wie verheerend solche Bomben wirken.
Propagandaeffekt: Keine Reklame für Syrien und/oder Russland

Was? Meldung einer Nachrichtenagentur über den Angriff
Quelle? Reuters, YouTube-User Pigmine 5
Inhalt: Reuters berichtet vom Bombardement durch syrische oder russische Flugzeuge oder durch beide gemeinsam. Ausserdem heisst es, Rebellen könnten Aleppo verlassen.
Propagandaeffekt: Während die journalistische Darstellung sich um Neutralität bemüht, betitelt Pigmine 5 das Video so: Russische Jets zertrümmern Aleppo, trotzen den USA». Die Lesart: Moskau greift durch und lässt sich von Washington nichts vorschreiben.

Was? Der Angriff aus grösserer Nähe
Quelle? Video auf LiveLeak, YouTube-User Epiphany Harbinger
Inhalt: Die Phosphorbomben wirken noch verheerender.
Propagandaeffekt: Auf LiveLeak wird das Video als das eines russischen Angriffs auf oppositionelle Kämpfer beschrieben. Der YouTube-User geht weiter: «Die russische Luftwaffe nimmt den nächsten Terroristen-Konvoi ins Visier». Das Bombardement wird legitimiert.

Hol dir jetzt die beste News-App der Schweiz!

  • watson: 4,5 von 5 Sternchen im App-Store ☺
  • Tages-Anzeiger: 3,5 von 5 Sternchen
  • Blick: 3 von 5 Sternchen
  • 20 Minuten: 3 von 5 Sternchen

Du willst nur das Beste? Voilà:

Freitag, 23. September

Videos von diesem Tag gibt es noch nicht. Die Nachrichtenagentur SDA schreibt zur Lage in Aleppo: «Das syrische Regime hat eine Offensive zur Eroberung des von Rebellen gehaltenen Ostteils der Stadt angekündigt. Hunderte Luftangriffe trafen laut Aktivisten und Beobachtern am Donnerstag und Freitag die Stadt. Ein Aktivist sagte: ‹Sie benutzen sehr gewaltige Raketen. Der Boden unter unseren Füssen zittert und bebt.› Aleppo stehe nach dem Einschlag von Brand- und Streubomben in Flammen.»

Fazit

Wen treffen diese Lügen und der Krieg? Vor allem die Zivilisten.

Und was können wir tun? Anscheinend so gar nichts.

Aber was wir nicht tun müssen, ist alles zu glauben, was uns die kriegsführenden Parteien weismachen wollen.

«Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges.»
Hiram Johnson, US-Politiker
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
52 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
rodolofo
23.09.2016 18:41registriert Februar 2016
Ich staune über die Helfer, die trotz den Bombardierungen durch Kriegsverbrecher versuchen, die extrem leidende Zivilbevölkerung zu versorgen!
Das allein gibt mir Hoffnung, dass es inmitten dieser von Menschen gemachten Hölle auch Menschen gibt, die über sich selbst hinaus wachsen und so mitfühlend werden, dass sie ihr eigenes Leben riskieren und sogar opfern, um den schreienden Kindern, vergewaltigten Frauen und misshandelten Männern etwas Trost zu bringen!
Das erinnert mich an die Menschen von Sarajevo, die der Menschenverachtenden Brutalität von Nationalistischen Militärs die Stirn boten.
611
Melden
Zum Kommentar
avatar
DrPop
23.09.2016 17:34registriert November 2014
Es ist krass, wie wenig man auf diesem Und vielen anderen Newsportalen von diesem Krieg hört. Vielen Dank für den Artikel.
535
Melden
Zum Kommentar
avatar
Tom Garret
23.09.2016 17:46registriert Juli 2014
Ohnmächtig kann man zuschauen, oder auch wegschauen, es ändert sich nichts... Wer von uns würde nicht fliehen?
480
Melden
Zum Kommentar
52
Brückeneinsturz mit Folgen – so wichtig ist der Hafen von Baltimore

Riesige Brückenteile versperren seit Dienstag die Zufahrt zum Hafen Baltimore an der Ostküste der USA. Die mehr als 2,5 Kilometer lange Francis Scott Key Bridge war in der Nacht eingestürzt, nachdem das rund 290 Meter lange Containerschiff «Dali» steuerlos einen Stützpfeiler der vierspurigen Brücke gerammt hatte. Zwei Tote wurden inzwischen aus dem Wasser geborgen, vier weitere Opfer wurden noch nicht gefunden.

Zur Story