Über drei Millionen wahlberechtigte Türken leben im Ausland. Wenn Recep Tayyip Erdogan am 24. Juni zur Präsidentschaftswahl antritt, will er sicher sein, auch deren Stimmen auf seiner Seite zu wissen.
Doch Erdogan hat ein Problem: Deutschland, Holland und Österreich haben Wahlkampfauftritte von Regierungsvertretern verboten. Insbesondere das Verbot in Deutschland ärgert den türkischen Premierminister. Denn dort lebt mit 1,4 Millionen die grösste Gruppe wahlberechtigter Türken.
Vor dem Verfassungsreferendum in der Türkei im vergangenen Frühjahr hatten geplante Wahlkampfauftritte in Deutschland zu einem heftigen Streit zwischen Berlin und Ankara geführt. Erdogan hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel wegen verhinderter Auftritte «Nazi-Methoden» vorgeworfen. Die deutsche Regierung erliess daraufhin ein generelles Auftrittsverbot für ausländische Amtsträger aus Nicht-EU-Staaten, das drei Monate vor einer Wahl in deren Land gilt.
Und was macht Erdogan jetzt, da er nicht nach Deutschland darf? Er reist nach Sarajevo. Sarajevo? Richtig gehört, Sarajevo in Bosnien-Herzegowina.
Vor einer aus den umliegenden Ländern angereisten Masse trat er am Sonntag auf die Bühne. Türkische Fahnen wurden geschwenkt, «Allahu Akbar» und «Sultan Erdogan» gerufen. Begleitet wurde Erdogan bei seinem Auftritt in der grössten Sporthalle Sarajevos von Bakir Izetbegovic, dem muslimischen Vertreter im dreiköpfigen bosnischen Staatspräsidium.
«Seid Ihr bereit, den Terrororganisationen und ihren lokalen und ausländischen Handlangern eine osmanische Ohrfeige zu verpassen? Seid Ihr bereit, mich mit einer Rekordzahl an Stimmen in der Präsidentenwahl zu unterstützen?» Tosender Applaus. Bei den Präsidenten- und Parlamentswahlen am 24. Juni gehe es um eine Entscheidung «für das nächste Jahrhundert unseres Landes», so Erdogan.
Nach Angaben der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) waren rund 10'000 Auslandtürken nach Sarajevo gereist, etwa die Hälfte davon aus Deutschland. Die UETD hatte den bislang einzigen geplanten Wahlkampfauftritt Erdogans im europäischen Ausland organisiert.
Erdogan sagte: «Seid Ihr bereit, der ganzen Welt die Stärke der europäischen Türken zu demonstrieren?» Er forderte die Auslandtürken auf: «Gebt von Deutschland, Belgien, Österreich, den Niederlanden aus eine Antwort, die überall in Europa gehört werden kann.»
Erdogan rief seine Anhänger im Ausland dazu auf, dort ihren Einfluss auszudehnen. «Nehmt unbedingt die Staatsangehörigkeit der Länder an, in denen ihr lebt», sagte er. «Ich bitte Euch, dass Ihr eine aktive Rolle in den politischen Parteien in den Ländern übernehmt, in denen Ihr lebt. Ihr solltet ein Teil dieser Parlamente sein, nicht diejenigen, die ihr Land verraten.»
Doch auch in Sarajevo war nicht jeder von Erdogans Wahlkampfauftritt begeistert. Im Gegenteil: Er führte zu einem heftigen Streit in Bosnien-Herzegowina. Er habe von der Wahlveranstaltung nur aus den Medien erfahren, sagte das kroatische Mitglied im dreiköpfigen Staatspräsidium, Dragan Covic, dem Zagreber Fernsehsender HRT am Sonntag. Der Besuch füge dem in die EU strebenden kleinen Balkanland grossen strategischen Schaden zu.
Die Türkei hatte den für Sonntag geplanten Auftritt Erdogans über Izetbegovic, das muslimische Mitglied im bosnischen Staatspräsidium, organisiert. Izetbegovic, der sich als enger Freund des türkischen Präsidenten bezeichnet, hatte am Vortag die Türkei als Investor und Verbündeten gelobt.
Demgegenüber kritisierte der zweitwichtigste Muslimführer Fahrudin Radoncic im Fernsehsender N1 den Wahlkampf in Sarajevo. Erdogan gehe es um «eine Demonstration für Westeuropa: Seht mal, hier auf dem Balkan kann ich sein». (sar/sda/dpa/afp)