Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen hat in der Türkei ein neuer Mammutprozess gegen mutmassliche Beteiligte des gescheiterten Militärputschs im Juli vergangenen Jahres begonnen. 486 Verdächtige müssen sich seit Dienstag vor einem Gericht in der Provinz Ankara verantworten – darunter mehrere angebliche Drahtzieher der Aktion.
Die Männer sind unter anderem wegen des Versuchs angeklagt, die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan zu stürzen. 45 Verdächtigen droht nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu eine mehrfache lebenslange Freiheitsstrafe.
Konkret geht es um die Ereignisse auf dem Luftwaffenstützpunkt Akinci – dem damaligen Hauptquartier der Aufständischen. Unter den Angeklagten ist auch der ehemalige Luftwaffenkommandant Akin Öztürk, der verdächtigt wird, einer der Wortführer des Putschversuchs zu sein.
Laut der Anklage wurde der türkische Generalstabschef Hulusi Akar während des Umsturzversuchs am 15. Juli 2016 als Geisel genommen und auf die Luftwaffenbasis gebracht. Bei ihrer Ankunft wurden die Angeklagten, die jeweils hintereinander von zwei Polizisten ins Gerichtsgebäude geführt wurden, von einer wütenden Menge empfangen.
Die Zuschauer riefen «Wir wollen die Todesstrafe», einige hielten Henkersknoten in die Luft. In der Türkei laufen bereits mehrere Prozesse gegen mutmassliche Teilnehmer des Putschversuchs, bei dem mehr als 250 Menschen starben und 2200 verletzt wurden. Einige Anwälte protestierten gegen die «physische Intervention», der sie seitens der Opferfamilien ausgesetzt seien.
Unter den Beschuldigten sind nicht nur Militärangehörige. Angeklagt sind auch mutmasslich wichtige Köpfe der Bewegung um den in den USA im Exil lebenden islamistischen Prediger Fethullah Gülen, den die Türkei für den Putschversuch verantwortlich macht. Dieser bestreitet das. Gülen selbst wird in Abwesenheit der Prozess gemacht, ebenso wie Adil Öksüz, einem weiteren angeblichen Hintermann der Militäraktion.
Erdogan geht rigide gegen mögliche Gülen-Anhänger vor. Mehr als 100'000 Menschen wurden aus dem Staatsdienst entlassen. Und mehr als 50'000 Menschen sitzen im Gefängnis, denen Verbindungen zur Bewegung um den Kleriker vorgeworfen werden. Unter ihnen sind zahlreiche kritische Journalisten, Forscher und prokurdische Oppositionspolitiker. (viw/sda/dpa/afp)