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Türkei

Das Whatsapp-Protokoll der Türkei-Putschisten

«Wir haben vier Personen erschossen. Alles unter Kontrolle» – das WhatsApp-Protokoll der Türkei-Putschisten

Einheiten der Putschisten auf der Bosporus-Brücke in Istanbul.Bild: AP/dha
Die Investigativ-Recherche-Website Bellingcat hat das WhatsApp-Protokoll der mutmasslichen Putschistenführer in der Türkei veröffentlicht. Die Unterhaltung gibt einen Einblick in die fieberhaften Stunden des Umsturzversuches – und in die dilettantische Vorgehensweise der Putschisten. 
25.07.2016, 17:0025.07.2016, 17:22
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Es sind kurze, nervöse Mitteilungen, die in der Spätphase des Putschversuchs, in den frühen Morgenstunden des 16. Juli, in der WhatsApp-Gruppe «Yurtta sulh» aufpoppen.

«Wir brauchen Verstärkung am Taksim.»
«Wir brauchen dringend Verstärkung bei den Provinzbüros der AKP.»
«Wir sind unter heftigem Beschuss, einige [von uns] sind getroffen.»

Nach dem letzten Eintrag, geschrieben um halb 4 Uhr morgens, ist klar: Der Umsturzversuch von Teilen des Militärs ist gescheitert, die letzten verbliebenen Putschisten haben sich der Polizei ergeben oder wurden von Zivilisten entwaffnet. Zwar fliegen wenig später noch F-16-Kampfflugzeuge über den zentralen Taksim-Platz. Das letzte Aufbäumen nützt aber nichts mehr. Die Putschistenführer erklären die Operation für beendet. 

«Blasen wir das Unternehmen ab?» – «Ja, wir blasen das Unternehmen ab.»

«Blasen wir die Sache ab?» fragt einer. «Ja, Kommandant, wir blasen die Sache ab.» «Sollen wir fliehen?» «Bleibt am Leben. Ihr habt die Wahl. Wir haben uns noch nicht entschieden. [...] Ich werde die (WhatsApp-) Gruppe schliessen. Löscht die Nachrichten, wenn ihr wollt.»

Mindestens einer der Gruppenteilnehmer hat die Konversation nicht gelöscht. Die Webseite Bellingcat, spezialisiert auf digitale Recherche, hat Schnipsel der Unterhaltung aus verschiedenen Quellen zusammengetragen, übersetzt und in eine chronologische Reihenfolge gebracht. 

Bellingcat
Bellingcat ist ein Projekt des britischen Bloggers und Bürgerjournalisten Elliot Higgins. Die Investigativ-Seite erlangte erstmals Aufmerksamkeit mit Open-Source-Recherchen zum Abschuss des Passagierjets MH17 über der Ostukraine. Zuvor recherchierte Higgins bereits über den Einsatz von Fassbomben im Syrien-Krieg sowie über den Einsatz russischer Truppen im Ukraine-Konflikt. (wst)

Rund sieben Stunden früher: Major Murat Celebioglu erstellt die WhatsApp-Gruppe Yurtta suhl, wörtlich «Frieden zuhause». Der Name ist eine Anspielung auf eine Losung des Revolutionsführers Kemal Atatürk: «Yurtta suhl, cihanda sulh» – «Friede zuhause, Friede in der Welt». Die türkischen Landstreitkräfte – führend bei der Planung und Durchführung des gescheiterten Coups – haben sich diesen Leitspruch später als Motto gegeben.

Nach und nach werden verschiedene hochrangige Offiziere zur Gruppe hinzugefügt. Celebioglu eröffnet die Konversation: «Ich bin Major Celebioglu. Ich werde hier öffentliche Bekanntmachungen vornehmen». «Ihr könnte hier wichtige Neuigkeiten posten. Ich werde sie Ankara [Hauptquartier der Putschisten] weiterleiten.»

Die Mitglieder des Putschisten-Chats

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bild: screenshot/bellingcat

Über Planung und Vorbereitung liefern die Protokolle wenig Aufschluss – wohl aber die chaotische Durchführung des Umsturzversuchs. So werden noch im Lauf der Nacht immer wieder neue Nummern hinzugefügt, der Aufenthaltsort von beteiligten Putschisten ist teilweise unklar, andere können nicht erreicht werden und die Nachschub- und Versorgungswege in Istanbul, einer der Epizentren des Putsches, sind aufgrund der notorischen Verkehrsüberlastung in der Millionenmetropole immer wieder unterbrochen.

Militärputsch in der Türkei

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Militärputsch in der Türkei
Die Türkei stellt nach dem vereitelten Militärputsch die Gefangenen zur Schau: Der Nachrichtensender CNN veröffentlichte diese Bilder von halbnackten Verhafteten, wie sie offenbar in einem Lagerraum gefesselt gehalten werden. (Quelle: CNN)
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Die wichtigsten Punkte – chronologisch aufgeführt

Den Startschuss zum Coup liefert die Blockade der beiden Brücken über die Strasse von Bosporus. Kurz darauf machen in internationalen Medien Meldungen über einen Staatsstreich die Runde. 

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bild: screenshot/bellingcat

 

Gleichzeitig sind laut WhatsApp-Protokoll Truppen auf dem Weg zum nationalen Sender TRT. Von dort aus soll später die Machtübernahme durch das Militär verkündet werden. Die Sicherheitskräfte scheinen anfangs überrumpelt.

«Die Polizei befolgt die Anweisungen auf der zweiten Brücke, kein Problem», schreibt ein Major Aygar um 21.57 Uhr in den Chat.

«Bitte nehmt den Kommandanten der Armee [als Geisel].»

Nach den Bosporus-Brücken wird auch das AKOM, das nationale Krisen- und Interventionszentrum besetzt. Hier laufen die Übertragungskabel der Rundfunkanstalten zusammen – die Kappung dieser Verbindungen ist essentiell für das Gelingen des Coups. 

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bild: screenshot/bellingcat

Die Armee steht nicht geschlossen hinter dem Umsturz. Viele Einheiten sind nicht eingeweiht, allen voran der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, General Ümit Dünder. Die Putschisten wollen Dünder als Geisel nehmen, wohl, um ein Exempel zu statuieren. «Bitte nehmt den Kommandanten der Armee [als Geisel]», so die Aufforderung von Colonel Cebic um kurz nach 22 Uhr. Das gelingt aber nicht: Ihr Vorgesetzter, General Dünder, bleibt zuerst unauffindbar, dann wird er zum Chef der Anti-Putschisten ernannt. Andere hohe Tiere der Streitkräfte, die nicht zu den Mitwissern gehören, riechen langsam Lunte. Ihre Anrufe und Kontaktversuche zu den Putschisten gehen aber ins Leere. «[...] beantworte die Anrufe nicht,» so die Weisung, die an die Verschwörer geht. 

22.45 Uhr. Das Unterfangen scheint auf bestem Weg. Die nationale Rundfunkanstalt befindet sich in den Händen der Aufrührer und auch der Knotenpunkt des internationalen Luftverkehrs in der Region, der Atatürk Airport in Istanbul, ist unter Kontrolle der Putschisten. Die Istanbuler Polizei, eine der wichtigsten Faktoren im Poker um die Macht im Land, «fügt sich «zu einem Grossteil», schreibt Major Celebioglu. 

Kurz nach 23 Uhr wendet sich Premierminister Binali Yildrim in einer Ansprache an die Bevölkerung und verurteilt den Umsturzversuch. «Die vom Volk gewählte Regierung bleibt im Amt. Die Regierung wird nur zurücktreten, wenn das Volk es so will.» 

Wenig später verkünden die Putschisten auf dem Staatssender TRT die Machtübernahme «zum Schutz der demokratischen Ordnung». Gleichzeitig wird der Ausnahmezustand verhängt.

Auch auf dem Taksim-Platz, dem Herzstück der Gezi-Oppositionsbewegung im Frühling 2013, marschieren die Putschkräfte auf. Schon bald sehen sich die Einheiten einer immer grösser werdenden feindseligen Menschenmenge gegenüber – nicht nur am Taksim. Premierminister Yildrims Statement und Aufrufe in den sozialen Medien haben regierungstreue Kräfte zu Tausenden auf die Strasse getrieben. Dass die Putschisten zu allem entschlossen sind, wird in den Chat-Protokollen deutlich: «Wenn wir uns beeilen, schaffen wir es in die Mitte der Menge. Wenn es sein muss, wird der Hubschrauber das Feuer eröffnen», schreibt Captain Türk.

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bild: screenshot/bellingcat

Um 23.36 Uhr wird in den sozialen Medien über Schüsse in Istanbul berichtet. Major Akkaya, auch er einer der Rädelsführer, schreibt, dass er plane, das Feuer beim Polizeihauptquartier zu eröffnen. «Wir haben keine andere Wahl».

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«Alle, die unser Vorhaben vereiteln wollen, werden hart bestraft. Das sind die Befehle.»

00.05 Uhr. Nachrichtensprecherin Tijen Karas wird mit vorgehaltener Waffe gezwungen, eine Erklärung des «Frieden-zu-Hause-Kommitees» vor laufender Kamera vorzulesen. (Englisches Statement siehe Tweet unten)

Unter den Putschisten macht sich Hochstimmung breit. «Freunde, wir haben verschiedene Ziele in Ankara und Istanbul besetzt», schreibt Leutnant-Colonel Mussafer Düzenli. Und schiebt eine unmissverständliche Warnung nach: «Alle, die unser Vorhaben vereiteln wollen, werden hart bestraft. Das sind die Befehle.»

Aber die Militärs haben die Rechnung ohne die privaten Sender gemacht. CNN Türk, Habertürk und andere berichten mittlerweile live über den Coup. Politiker rufen die Bürger vor laufender Kamera dazu auf, sich den Putschisten auf der Strasse entgegenzustellen. Allen voran Präsident Recep Tayip Erdogan. 

Skype-Ansprache von Präsident Erdogan

Die Aufforderung im Chat, private TV-Stationen zum Schweigen zu bringen, kommt zu spät.

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bild: screenshot/bellingcat

Mittlerweile haben sich Tausende loyale Bürger und AKP-Anhänger auf den Strassen Ankaras und Istanbul eingefunden. Die Putschisten werden nervös, die Rufe nach Verstärkung und Luftstreitkräften an den neuralgischen Punkten häufen sich. Die meisten verhallen ungehört.

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«Wir haben vier Personen erschossen, die Widerstand leisteten. Alles unter Kontrolle.»
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«Lasst euch nicht unterkriegen, wir machen weiter bis zum letzten Tropfen unseres Blutes.»

Die Putschisten zögern nicht, von der Waffe Gebrauch zu machen. «Wir haben vier Personen erschossen, die am Celgelköy [bei der Military Highschool] Widerstand leisteten. Alles unter Kontrolle», schreibt Major Agyar in den Chat. Insgesamt lassen in der Nacht von Freitag auf Samstag 265 Menschen ihr Leben.

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Irgendwann nach Mitternacht – die Chat-Protokolle lassen sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr einem genauen Zeitpunkt zuordnen – kippt die Stimmung unter den Aufrührern. Auch hohe Religionsführer rufen nun zum Widerstand gegen die Aufständischen auf. Im WhatsApp-Chat ertönen pathetische Durchhalteparolen: «Lasst euch nicht unterkriegen, wir machen weiter bis zum letzten Tropfen unseres Blutes.»

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bild: screenshot/bellingcat

Spätestens als der Kommandant der ersten Armee, Ümit Güler, um 1.06 Uhr ein Statement verbreitet und sich hinter die Regierung stellt, ist klar, dass die Rebellen das Momentum aus der Hand gegeben haben. «Die Streitkräfte unterstützen diese Bewegung eines kleinen Teils der Armee nicht». Der Nachschub bricht zusammen, einerseits, weil Truppen sich gegen die Putschbewegung stellen und sich von ihr lossagen, anderseits aus logistischen Gründen.

Um 01:43 Uhr eskaliert die Situation an der Bosporus-Brücke. «Wir haben 20 bis 30 Personen erschossen», schreibt Major Agyar in den Chat. «Aber unsere Jungs an der zweiten Brücke haben Mühe. Wir brauchen Helikopter.» 

Erst um 03.21 Uhr gelingt es den Aufständischen, den Privatsender CNN Türk, von dem aus Präsident Erdogan via Skype seine Anhänger zusammentrommelte, stillzulegen. Die Erstürmung der Studios wird live festgehalten:

In den frühen Morgenstunden brennt es in ganz Istanbul. Zahlreiche Einheiten der Putschisten sind mit Zivilisten und Polizisten in Schusswechsel verwickelt. Die Lage präsentiert sich aussichtslos. «Tut alles, was in eurer Macht steht, um zu überleben», schreibt Major Celebioglu, der Admin der Chat-Gruppe. «Das heisst?», fragt Captain Türk. «Aufgeben» – «Oder fliehen», so die knappe Antwort des Majors.

(wst)

>> Hier geht es zum vollständigen Transkript des WhatsApp-Chats.

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6 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Donald
25.07.2016 17:13registriert Januar 2014
"Schnipsel der Unterhaltung aus verschiedenen Quellen zusammengetragen"

Irgendwie merkwürdig. Entweder man hat die ganze Konversation oder man hat sie nicht. Warum sollte jemand nur Schnipsel davon haben? Klingt so als wäre jemand zu faul gewesen, um alles zu faken und hat dann diese Story gedichtet...
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Eisenhorn
25.07.2016 17:56registriert September 2014
Ich glaub kein Wort... und nein ich trage normal keine Aluhüte, und glaube nicht an Chemtrails...
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drjayvargas
25.07.2016 19:20registriert Januar 2016
Militärs organisieren einen Putsch per WhatsApp. Gerade die, die es besser wissen sollten.
Potzblitz, grossartig!
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