Präsident Erdogan triumphiert: er lässt verlauten, dass sein Verfassungsreferendum – wenn auch knapp – angenommen wurde. Bei knapp 99 Prozent ausgezählter Wahlurnen liegt das «Ja» mit 51,32 Prozent und rund 1,2 Millionen Wählerstimmen in vor dem «Nein». Doch die Erdogan-Gegner haben starke Zweifel an diesem Resultat. Das sind die strittigen Punkte.
CHP Vice Chair Aksünger: "They should know that we will eventually win. No one should leave the local election councils."#Turkeyreferendum pic.twitter.com/obuiIEU3g0
— dokuz8 NEWS (@dokuz8_EN) 16. April 2017
Die derzeit in den Medien publizierten Ergebnisse stammen aus einer einzelnen Quelle: der staatlichen Anadolu Agency, der offiziellen türkischen Nachrichtenagentur. Sie sammelt die Wahlergebnisse durch ihre Korrespondenten im ganzen Land. Die türkischen Parteien hingegen erhalten Einsicht in den offiziellen Datensatz der obersten Wahlbehörde YSK. Sie gleichen diesen Datensatz mit den Meldungen ihrer Wahlbeobachter in sämtlichen Wahllokalen des Landes ab. Der Datensatz der obersten Wahlbehörde hinkt dem Auszählungsstand der Anadolu Agency hinterher. Die Nachrichtenagentur verbreitet noch nicht beglaubigte Resultate.
Eren Erdem, Abgeordneter der grössten Oppositionspartei CHP, berichtet über Periscope zwischen Unterschieden zwischen den Ergebnissen bei Anadolu Agency und derjenigen der Wahlbehörde YSK. Gemäss YSK seien beispielsweise in Istanbul erst 73 Prozent der Wahlurnen ausgezählt gewesen, während gleichzeitig die Anadolu Agency einen Auszählungsstand von 99 Prozent meldete.
Was läuft falsch? CHP-Mann Erdem sieht dahinter eine Strategie: Durch das verfrühte Ausrufen des Siegs des Ja-Lagers sollten die CHP-Wahlbeobachter dazu gebracht werden, die Wahllokale frühzeitig zu verlassen. Damit solle eine lückenlose Überwachung des Auszählungsprozeses verhindert werden.
Eine kurzfristige Entscheidung der obersten Wahlbehörde YSK heute Nachmittag sorgte für Aufruhr: Sie akzeptiert auch nicht korrekt abgestempelte Wahlzettel, solange deren Ungültigkeit nicht zweifelsfrei nachgewiesen ist.
Die Oppositionspartei CHP kritisierte den Entscheid. Er werde für ein ernsthaftes Legitimitätsproblem bei den Abstimmungsergebnissen sorgen. Damit ermögliche die oberste Wahlkommission Wahlbetrug, sagt der CHP-Politiker Bülent Tezcan.
"We accepted unstamped ballots after an AKP representative's complaint": Sadi Güven, head of Supreme Election Council. #TurkeyReferendum https://t.co/4iwydqvm09
— Inga Rogg (@ingarogg) 16. April 2017
Former MHP MP Özdağ on board decision to accept envelopes w/o stamps: Board paving way for irregularities; members will be tried one by one. pic.twitter.com/VhpBsmWYO3
— dokuz8 NEWS (@dokuz8_EN) 16. April 2017
Nicht nur CHP und HDP, die grossen Parteien des Nein-Lagers kritisieren den Entscheid, sondern auch abtrünnige Vertreter der ultranationalistischen MHP. Während sich MHP-Chef Devlet Bahçeli hinter Erdogan stellte, lehnte eine gewichtige Zahl der MHP-Anhänger das Referendum ab. Der frühere Stellvertreter Bahçelis, Ümit Özdag, kritisierte die Zulassung der nicht gestempelten Wahlzettel ebenfalls scharf.
Das türkische Wahlrecht erlaubt den politischen Parteien, Wahlbeobachter in jedes einzelne Wahllokal zu entsenden. Sie überwachen den Ablauf der Wahl und die Auszählung der Stimmen.
Sie rapportieren das ausgezählte Wahlergebnis der einzelnen Wahllokale an die Parteizentralen. Das soll verhindern, dass zwischen den vor Ort festgestellen Ergebnissen und den bei der obersten Wahlbehörde YSK registrierten Zahlen aufgrund von nachträglichen Manipulationen Diskrepanzen entstehen.
İhbarlar gelmeye devam ediyor... Aynı sandık, iki farklı tutanak https://t.co/LldY699T7m pic.twitter.com/IIXRWFHrM5
— Cumhuriyet (@cumhuriyetgzt) 16. April 2017
Die grossen Oppositionsparteien haben angekündigt, das Wahlergebnis mit allen verfügbaren juristischen Mitteln anzufechten. Die CHP geht davon aus, dass mindestens 1.5 Millionen ungültige Wahlzettel mitgezählt wurden. Die CHP geht bei knapp 40 Prozent der Urnen von Unregelmässigkeiten aus, die HDP sogar von zwei Dritteln.
Main opposition CHP to appeal 37 pct of ballot boxes https://t.co/AJRf46w3U0 pic.twitter.com/h9imbZePkB
— Hürriyet Daily News (@HDNER) 16. April 2017