Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte den Notstand nach dem Putschversuch im Juli 2016 ausgerufen und danach sieben Mal um jeweils drei Monate verlängern lassen. Unter dem international scharf kritisierten Ausnahmezustand waren Grundrechte wie die Versammlungs- oder Pressefreiheit eingeschränkt, Erdogan konnte per Dekret regieren.
Der Ausnahmezustand hat das Leben Zehntausender Türken schwer gezeichnet. Hier einige Zahlen und Fakten zu den Ereignissen seit 2016.
Mindestens 130'000 Staatsbedienstete sind nach offiziellen Angaben wegen Verbindungen zum Putschversuch gefeuert worden, unter ihnen Lehrer, Beamte, Polizisten, Soldaten oder Akademiker. Nach früheren Angaben von Justizminister Abdulhamit Gül betraf das auch 4000 Richter und Staatsanwälte.
Innenminister Süleyman Soylu sagte im April, bisher seien wegen Verbindungen zum Putschversuch rund 77'000 Menschen inhaftiert worden. Nach Medienberichten und anderen Quellen waren darunter Menschenrechtler, Journalisten und Oppositionspolitiker.
Die regierungskritische Webseite Bianet berichtet, dass 2271 private Bildungseinrichtungen geschlossen und die Arbeitserlaubnis von 21'860 Angestellten aus dem Bereich entzogen wurden. Ausserdem seien 15 Universitäten dichtgemacht worden. Laut der in Ankara ansässigen Menschenrechtsdachorganisation IHOP waren bis März 2018 rund 5700 Akademiker aus 119 öffentlichen Universitäten entlassen worden.
Die regierungskritische Nichtregierungsorganisation P24 zählt seit Beginn des Ausnahmezustands 193 geschlossene Zeitungen, Fernseh- und Radiosender. Medienrechtsorganisationen sehen Dutzende Journalisten hinter Gittern. Die Organisation Reporter ohne Grenzen urteilte: «Unter dem Ausnahmezustand wurde der Medienpluralismus weitgehend zerstört und ganze Teile der Medienlandschaft mit einem Federstrich beseitigt.»
Die grösste Oppositionspartei des Landes, CHP, meldet in einer Bilanz zu zwei Jahren Ausnahmezustand den Selbstmord von mindestens 50 Menschen, die entlassen worden waren. Darunter seien Imame, Polizisten, Ärzte und Soldaten gewesen. Zehn hätten sich im Gefängnis das Leben genommen.
Noch vor knapp zwei Wochen hatten mit einem neuen Erlass rund 18'000 Lehrer, Polizisten, Soldaten und andere ihre Arbeit verloren. Die namentliche Erwähnung in einem solchen Dekret bedeutet auch, dass der Reisepass eingezogen wird. Dass mit dem Ende des Ausnahmezustands auch die Verhaftungen und Entlassungen aufhören, zeichnet sich nicht ab. Die Regierung hat für die Zeit danach bereits neue Anti-Terror-Regularien vorbereitet.
Ein Gesetzesentwurf für den «Kampf gegen den Terror im Normalzustand», der der Nachrichtenagentur DPA vorliegt, regelt zum Beispiel, wie Richter, Mitglieder der Streitkräfte oder Ministeriumsmitarbeiter entlassen werden können. Wie im Ausnahmezustand will der Staat all jenen, die wegen Terrorverdachts aus dem Staatsdienst entlassen werden, den Pass entziehen.
Die Gouverneure der Provinzen sollen zumindest Teile ihrer Machtfülle aus dem Notstand behalten. Sie sind dem Gesetzentwurf zufolge befugt, Menschen, bei denen der Verdacht besteht, dass sie «die öffentliche Ordnung oder Sicherheit stören», den Zugang zu bestimmten Orten zu verwehren. Ausserdem sollen sie die Versammlungsfreiheit weiterhin einschränken dürfen. Verdächtige können zwischen 48 Stunden und 12 Tagen in Polizeigewahrsam gehalten werden – länger als vor Beginn des Ausnahmezustands.
Einige regierungskritische Medien hatten schon im Vorfeld gewarnt, dass die Regierung mit neuen Regelungen den Ausnahmezustand unter einem anderen Namen permanent machen wolle. Der Sprecher von Erdogans Regierungspartei AKP, Mahir Üncal, sagte am Mittwoch, man werde auf eine «Balance zwischen Freiheit und Sicherheit» achten. Laut Entwurf soll das Gesetz nach dem Inkrafttreten zunächst drei Jahre gültig sein.
Durch ein Verfassungsreferendum wurde das parlamentarische System auf das neue Präsidialsystem umgestellt. Recep Tayyip Erdogan wurde am 24. Juni 2018 zum Staatspräsidenten der Türkei gewählt. (sda/dpa/vom)