International
Türkei

Türkei: HDP-Politiker verhaftet, heftige Explosion im Südosten

Co-chairmen of pro-Kurdish People's Democratic Party, or HDP, Selahattin Demirtas, left, and Figen Yuksekdag speak to the media in Ankara, Turkey, Sunday, Nov. 1, 2015. Turkey’s ruling Justice an ...
Wurden in der Nacht auf Freitag festgenommen: Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ.Bild: Burhan Ozbilici/AP/KEYSTONE

Aufruhr in der Türkei: Kurden-Politiker verhaftet ++ 8 Tote bei Explosion

04.11.2016, 00:5704.11.2016, 11:23
Mehr «International»

Die türkische Polizei hat bei nächtlichen Razzien die Chefs der prokurdischen Oppositionspartei HDP verhaftet. Kurz danach gab es bei einem Autobombenanschlag in der Kurdenstadt Diyarbakir acht Tote und über 100 Verletzte.

Unter den Festgenommenen waren die beiden Parteivorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag sowie mehrere Parlamentsabgeordnete der HDP, wie die Nachrichtenagentur Anadolu und weitere Medien in der Nacht zum Freitag berichteten.

Die Zugriffe seien im Rahmen von Anti-Terror-Emittlungen erfolgt, berichtete Anadolu zu den Festnahmen der HDP-Politiker. Insgesamt kamen mindestens elf Abgeordnete in Gewahrsam, wie aus einer Liste hervorging, die das Innenministerium sowie die Partei selbst herausgaben.

Einem TV-Sender zufolge wird Demirtas und Yüksekdag Propaganda zugunsten der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vorgeworfen. Laut Anadolu muss sich Demirtas zudem wegen Anstachelung zur Gewalt bei Protesten im Oktober 2014 verantworten.

Autobombe vor Polizeihauptquartier

Am Freitagmorgen, wenige Stunden nach den Verhaftungen, wurden bei einem Anschlag auf das Polizeihauptquartier in der südosttürkischen Stadt Diyarbakir nach Regierungsangaben mindestens acht Menschen getötet und mehr als hundert weitere verletzt.

Medienkonferenz verhindert

Regierungschef Binali Yildirim machte die PKK für den Anschlag in der Kurdenmetropole verantwortlich. Mutmasslich handle es sich um einen Selbstmordanschlag, unter den Toten sei ein «Terrorist» der PKK, sagte Yildirium vor Journalisten in Istanbul. Von den mehr als hundert Verletzten würden sieben noch behandelt.

Mit den Festnahmen weiteten die türkischen Behörden ihr Vorgehen gegen Kritiker von Präsident Recep Tayyip Erdogan massiv aus. Berichten zufolge gab es kurz nach Mitternacht (Ortszeit) zeitlich abgestimmte Polizeirazzien in mehreren türkischen Städten. Auch die HDP-Parteizentrale in Ankara wurde durchsucht. Eine Medienkonferenz in der Parteizentrale verhinderte die Polizei.

Die HDP ist mit 59 Sitzen die drittgrösste Partei im Parlament und die grösste politische Vertretung der Kurden.

Demirtas wurde aus seinem Haus in Diyarbakir im Südosten der Türkei abgeführt. Kurz vor seiner Festnahme hatte er eine Erklärung über den Internetdienst Twitter verbreitet: «Vor der Tür meines Hauses in Diyarbakir stehen Polizisten mit der Anweisung zur Vollstreckung eines Haftbefehls.»

Elf Festnahmen und vier Haftbefehle

Vergangene Woche hatte ein türkisches Gericht Ko-Parteichefin Yüksekdag bereits mit einem Ausreiseverbot belegt. Sie wurde nun den Berichten zufolge in Ankara festgenommen. Für beide Parteichefs war es die erste Festnahme. In Gewahrsam kamen unter anderen auch Fraktionschef Idris Baluken und der prominente Parlamentarier Sirri Sürreya Önder.

Die Partei HDP twitterte, sie rufe die internationale Gemeinschaft dazu auf, auf «diesen Putsch des Erdogan-Regimes zu reagieren».

Die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini erklärte auf Twitter, sie sei wegen der Festnahme der Politiker sehr besorgt. Sie sei mit den Behörden in Kontakt und habe ein Treffen der Botschafter der EU-Staaten in Ankara einberufen.

Die Festnahmen wurden nur möglich, weil das türkische Parlament die Immunität von Parlamentariern gegen Strafverfolgung aufgehoben hatte. Dies war eine der international als repressiv kritisierten Massnahmen, mit denen die Führung um Erdogan auf den gescheiterten Militärputsch im Juli reagierte. Zuletzt waren die Behörden auch massiv gegen kritische Medien vorgegangen, etwa gegen die Zeitung «Cumhuriyet».

Gegen Demirtas, Yüksekdag und andere HDP-Politiker liefen bereits seit längerem mehrere Ermittlungsverfahren, in denen es um «Terrorpropaganda» und «Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation» geht. Die türkische Regierung wirft der linksliberalen HDP vor, der politische Arm der PKK zu sein, was die Partei zurückweist.

Der mehrheitlich kurdische Südosten der Türkei kommt seit dem Ende eines Waffenstillstands zwischen der PKK und der Armee im Juli 2015 nicht mehr zur Ruhe. Seither wurden mehr als 600 Mitglieder der Sicherheitskräfte und mehr als 7000 PKK-Kämpfer getötet. (sda/afp/reu/dpa)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
53 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
saukaibli
04.11.2016 07:24registriert Februar 2014
Das habe ich doch letzte Woche schon im TV gesehen... Ach nein, das war ja eine Doku über das dritte Reich, das verwechselt man so schnell. Der Schnauz ist bei Erogan ja etwas breiter.
1114
Melden
Zum Kommentar
avatar
rodolofo
04.11.2016 07:01registriert Februar 2016
Jetzt reicht's!!!
Europa muss dieser Türkischen AKP-Diktatur jetzt klar machen, dass ihr schleichend Einzug haltender Faschismus Konsequenzen hat!
Die Einführung der Todesstrafe dürfte als Auftakt gedacht sein für Massen-Exekutionen und Konzentrationslager!
Und irgendwann wird wohl Erdogan seinen fanatisierten Anhängern entgegen rufen: "Wollt Ihr den totalen Krieg?!"
Und "DAS Volk", welches Erdogan's Leute in letzter Zeit immer wieder beschwören, wird zurück schreien: "Ja, oh allmächtiger und allwissender Sultan! Denn wir sind Deine treue Ziege-Herde!" (auf Türkisch)
Galgen-Humor, ich weiss...
1093
Melden
Zum Kommentar
avatar
Mett-Koch
04.11.2016 02:15registriert Januar 2015
"Eklat in der Türkei"
Diese Schlagzeile dürfte nach Monaten der gekappten Pressefreiheit, Recht auf Selbstbestimmung und eigenes Gedankengut doch niemanden mehr erstaunen...
Selbst Türken in der Schweiz verschliessen (oft) ihre Augen!
Erdogan schafft mit seinen "Säuberungen" in der Justiz, Bildung, Wissenschaft, sogar im Sport - seine eigene diktatorische Welt.
Böse gesagt: Er hat bei 88 und anderen Diktatoren abgeschaut und scheint damit ganz gute Resultate zu erzielen...
Türkei! Kurdistan! Und alle Unabhängigen: Erhebt euch!
955
Melden
Zum Kommentar
53
Nach Jahren des Zwists: EU macht Schritt auf Erdogan zu
Nach jahrelangem Stillstand möchte die EU die Beziehungen zur Türkei wieder aufleben lassen.

Die Europäische Union habe ein strategisches Interesse an einem stabilen Umfeld im östlichen Mittelmeer und einer für beide Seiten vorteilhaften Beziehung, heisst es in einer in der Nacht zu Donnerstag in Brüssel verabschiedeten Erklärung der Staats- und Regierungschefs. Entscheidend sei aber, inwiefern sich Ankara konstruktiv beteilige.

Zur Story