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Erdogan bringt in Nordsyrien Bodenoffensive ins Spiel

Die Situation in Nordsyrien spitzt sich zu – Erdogan bringt Bodenoffensive ins Spiel

21.11.2022, 19:32
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Nach Beginn der türkischen Luftangriffe geht Ankara weiter militärisch im Norden Syriens vor - Präsident Recep Tayyip Erdogan erwägt sogar eine Bodenoffensive.

Es werde weiter «abgerechnet», twitterte das türkische Verteidigungsministerium am Montag, während kurdische Aktivisten von starkem Beschuss in ländlichen Region im Osten Aleppos und in der Region Kobane berichteten. In der südosttürkischen Provinz Gaziantep starben der Türkei zufolge drei Menschen nach Beschuss aus Syrien. Erdogan zog eine Bodenoffensive in Betracht: Es stehe ausser Frage, dass man sich nicht auf Lufteinsätze beschränke, sagte er.

Turkey President Recep Tayyip Erdogan gestures as he speaks during a press conference on the sidelines of the G20 Leaders' Summit at Nusa Dua in Bali, Indonesia on Wednesday, Nov. 16, 2022. (AP P ...
Erdogan beim G20-Treffen in Bali letzte Woche.Bild: keystone

Die Türkei war in der Nacht auf Sonntag gegen die syrische Kurdenmiliz YPG und die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK mit zahlreichen Luftangriffen im Nordirak und in Nordsyrien vorgegangen. Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete von mindestens 35 Toten. Kurdische Milizen hatten Vergeltung angekündigt. Die Türkei sieht ihrerseits die Luftangriffe als Vergeltung für den Anschlag auf der Istanbuler Einkaufsstrasse Istiklal am Sonntag vor einer Woche. Das türkische Militär beschriftete Bomben, die es auf Syrien abwarf, per Hand mit den Namen von zwei bei dem Istanbuler Anschlag getöteten Kindern, wie Fernsehbilder zeigten.

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Syrische Kurden begraben die Opfer nach einem türkischen Luftangriff.Bild: keystone

Zwar sind die Ermittlungen zu den Hintergründen der Explosion noch nicht abgeschlossen, die Führung in Ankara sieht es aber als erwiesen an, dass YPG und PKK Drahtzieher des Anschlags sind. Beide hatten das zurückgewiesen. Die türkische Regierung stuft die YPG und PKK als Terrororganisationen ein. Der Anschlag bietet nach Ansicht von Experten nun einen Anlass für die Militäroffensive, über die Ankara nicht erst seit dem Wochenende spricht. «Seit fast einem Jahr redet die türkische Regierung von einem möglichen Einmarsch», sagte Sinem Adar, Wissenschaftlerin am Centrum für angewandte Türkeistudien (CATS) der Stiftung Wissenschaft und Politik. «Aus unterschiedlichen Gründen war ihnen das nicht möglich. Jetzt rechtfertigt der Angriff in Istanbul den Luftangriff aus Sicht Ankaras.»

Doch die offizielle Darstellung der Ereignisse wird vielerorts angezweifelt - in Deutschland wie auch in der Türkei. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) etwa schrieb auf Twitter: «Erdogans Bomben auf Kurden, die IS-Terroristen erfolgreich bekämpft haben, sollen vom wirtschaftlichen Desaster in der Türkei ablenken.»

Das deutsches Aussenministerium rief Ankara zu Zurückhaltung und zur Achtung des Völkerrechts auf. Die Türkei und alle anderen Beteiligten sollten «nichts unternehmen, was die ohnehin angespannte Lage im Norden Syriens und Iraks weiter verschärfen würde», so Sprecher Christofer Burger. Die Türkei hatte ihre Offensive mit dem Recht auf Selbstverteidigung nach Artikel 51 der UN-Charta begründet. «Das Recht auf Selbstverteidigung beinhaltet nicht ein Recht auf Vergeltung», so Burger.

Inmitten der angespannten Situation reiste Bundesinnenministerin Nancy Faeser am Montag für zwei Tage nach Ankara. Der Besuch ist schon seit längerem geplant. Sie will zu Beratungen mit dem türkischen Innenminister Süleyman Soylu zusammenkommen. Soylu, der als Hardliner gilt, hatte nach dem Anschlag mit dem Kommentar, die USA trügen eine Mitschuld für die Bombenexplosion, für Aufmerksamkeit gesorgt.

Die Entscheidung für die nunmehr fünfte Syrien-Offensive der Türkei traf Erdogan offenbar im Flugzeug. Laut Präsidialamt unterschrieb er die Anordnung auf dem Rückweg vom G-20-Gipfel in Bali, wo er unter anderem US-Präsident Joe Biden traf. Man brauche niemandes Einverständnis, so Erdogan am Montag. Die USA und Russland hatten Ankara zuvor deutlich von einer erneuten Offensive in Syrien abgeraten. Dass die nun ganz ohne deren Wissen stattgefunden hat, scheint einigen Experten jedoch unwahrscheinlich. Beide kontrollieren Teile des syrischen Luftraums.

Russland unterstützt im syrischen Bürgerkrieg Regierungstruppen, die USA sehen in der YPG einen Partner im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Adar sieht in dem türkischen Vorgehen die Fortsetzung «der Kriegspolitik und Kriegsökonomie», die der türkischen Führung ihr politisches Überleben seit 2015 gesichert habe.

Im Jahr 2015 hatte eine Reihe von Anschlägen mit vielen Toten das Land erschüttert. Mit Blick auf die Umfragen konnte die regierende AKP unter Erdogan als Ministerpräsident die Situation damals für sich nutzen. Eine kurz zuvor verlorene Mehrheit konnte sie damals wiedererringen. (sda/dpa)

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12 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Forest
21.11.2022 21:14registriert April 2018
Wo bleiben die Sanktionen gegen Türkei?
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Dä isches gsi
21.11.2022 21:22registriert März 2017
Es ist unfassbar schrecklich. Wieso darf man mit Kurden machen was man will? Wann hört das endlich auf?
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Hösch
21.11.2022 20:08registriert März 2022
Und die Mullahs vom Iran bombardieren derweil 'kurdische Stellungen' im Nordirak.
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