Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman befindet sich derzeit auf einer Tour durch die USA. Obwohl er erst 32 Jahre alt ist, gilt MBS, wie er genannt wird, als eigentlicher Machthaber im Königreich. Entsprechend wird er von Politikern und Wirtschaftsführern hofiert. Er unterzeichnete Verträge über neue Waffenlieferungen und den Bau einer gewaltigen Solaranlage.
Es ist das Ziel von MBS, das ultrakonservative Saudi-Arabien zu modernisieren. Zuletzt hielt er sich in New York auf, und dort wurde er von einem Ereignis eingeholt, das die USA traumatisiert hat: Die Terroranschläge vom 11. September 2001. Ein Bezirksrichter in Manhattan liess am Mittwoch eine Schadenersatzklage gegen Saudi-Arabien zu.
An 9/11 waren mehr als 3000 Menschen ums Leben gekommen. Angehörige der Todesopfer, rund 25'000 damals Verletzte sowie zahlreiche Unternehmen und Versicherer hatten Saudi-Arabien auf Schadenersatz verklagt. Denn 15 der 19 Attentäter stammten aus dem Königreich. Die Saudis hatten sich stets gegen den Verdacht gewehrt, sie hätten die Attentäter unterstützt.
Allerdings gab es Ungereimtheiten. Wenige Tage nach 9/11 verliessen Privatjets mit saudischen Staatsbürgern die USA, obwohl für solche Maschinen ein Flugverbot bestand. An Bord befanden sich Mitglieder der weit verzweigten Familie von Osama bin Laden, dem damaligen Chef des Terrornetzwerks al-Qaida und mutmasslichen Drahtzieher der Anschläge.
Lange war Saudi-Arabien vor Klagen in den USA geschützt. Das änderte sich im Herbst 2016 mit dem Justice Against Sponsors of Terrorism Act (JASTA). Der US-Kongress hatte dieses Gesetz fast einstimmig beschlossen und dabei das Veto des damaligen Präsidenten Barack Obama überstimmt, der es aus Rücksicht auf den wichtigen Verbündeten Saudi-Arabien verhindern wollte.
Bei einer Anhörung im Januar hatten die Saudis versucht, die Klage abzuwenden. Sie basiere auf Spekulationen und Hörensagen. Richter George Daniels entschied nun jedoch, dass genügend Verdachtsmomente bestehen. Konkret geht es um die angeblichen Aktivitäten eines Imams einer Moschee im Bundesstaat Kalifornien und eines mutmasslichen Geheimdienst-Offiziers. Ihnen wird vorgeworfen, zwei der Attentäter bei der Akklimatisierung in den USA unterstützt zu haben.
Vor seiner Abreise in die USA gab Mohammed bin Salman dem Fernsehsender CBS ein Interview. Darin behauptete er, Osama bin Laden habe die 15 saudischen Attentäter rekrutiert, um einen Keil zwischen die USA und Saudi-Arabien zu treiben. Ausserdem beschuldigte der Kronprinz den Erzfeind Iran, viele Al-Qaida-Anführer zu unterstützen, darunter den Sohn von Osama bin Laden.
Konkrete Beweises für eine Verwicklung des Königshauses in die Anschläge vom 11. September gibt es nicht. Allerdings gilt es als gesichert, dass al-Qaida von saudischen «Wohltätigkeits-Organisationen» finanziell unterstützt wurde. Als Hauptproblem gilt der Wahhabismus, die radikale und extrem intolerante Ausprägung des Islam, die in Saudi-Arabien faktisch Staatsreligion ist.
Der Wahhabismus gilt als ideologisches Fundament von al-Qaida wie auch des «Islamischen Staats». Mohammed bin Salman hat das Problem zumindest erkannt und Reformen eingeleitet. Im CBS-Interview kündigte er an, dass Frauen nicht mehr gezwungen sein sollen, den Gesichtsschleier zu tragen. Ob er sich gegen den ultrakonservativen Klerus durchsetzen kann, ist offen.
Im Wahlkampf hatte sich Donald Trump noch für das JASTA-Gesetz stark gemacht und das Veto von Barack Obama als «schändlich» und «einen der Tiefpunkte seiner Präsidentschaft» bezeichnet. Auf Fox News beschuldigte der republikanische Kandidat im Februar 2016 Saudi-Arabien sogar ziemlich unverblümt, das World Trade Center «in die Luft gejagt» zu haben.
Als Präsident verhält sich Trump wesentlich zurückhaltender. Beim Treffen mit Mohammed bin Salman zeigte er Fotos von US-Waffensystemen, die die Saudis von amerikanischen Herstellern gekauft hatten. Das Verhältnis beider Länder sei noch nie so gut gewesen wie seit seinem Amtsantritt, sagte Trump zu seinem Gast: «Wir sind sehr gute Freunde geworden.»
Anwalt James Kreindler, der zahlreiche Geschädigte vertritt, begrüsste die Entscheidung von Richter Daniels und erklärte, nun werde die Rolle des Golfstaats bei den Anschlägen vom 11. September 2001 ans Licht kommen. Man darf bezweifeln, dass es so weit kommt. Vermutlich werden die Saudis eher einen Vergleich suchen, statt einen für sie peinlichen Prozess zu riskieren.
Im Juni 2008 begann vor einem Militärgericht im US-Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba der Prozess gegen fünf 9/11-Verschwörer, darunter den mutmasslichen Chefplaner Chalid Scheich Mohammed. Zehn Jahre später ist das Verfahren kaum in Gang gekommen. Die Regierung Obama wollte den Prozess nach New York verlegen, stiess aber auf erbitterten Widerstand.
Viele wichtige Fragen sind weiterhin ungeklärt, etwa die Zulassung von Beweisen, die durch Folter erlangt wurden, oder der Status des umstrittenen Sondergerichts. Der Ankläger des Pentagon beantragte laut der Zeitung «Miami Herald», mit dem Hauptverfahren im Januar 2019 zu beginnen, doch ob dies klappen wird, ist alles andere als sicher. Ein Entscheid steht noch aus.
Bis der 11. September 2001 zu den Akten gelegt werden kann, wird noch sehr viel Wasser den Hudson River herunterfliessen. 9/11 bleibt für Amerika eine offene Wunde.