Das Prinzip von Streumunition ist simpel: Man stelle sich einen Behälter vor, in dem viele kleine Bomben stecken. Der Behälter öffnet sich in der Luft und streut so die Submunition, sogenannte «Bomblets», über das Ziel. Das Ergebnis: ein breit gefächertes Bombardement.
Diese «Behälter» kommen in diversen Arten vor: als Bomben (Streubomben), als Artilleriegranaten von Haubitzen verschossen (Kanistermunition) oder als Sprengköpfe von ballistischen Marschflugraketen. Im internationalen Fachjargon wird Streumunition auch «Clustermunition» genannt, die Bomblets «CBUs» (Cluster Bomb Units).
Die Bomblets gibt es ebenfalls in verschiedenen Ausführungen – manche haben Brandwirkung, andere sind panzerbrechend und wieder andere bleiben als Landminen im Boden stecken.
Die Idee der Streumunition ist nicht neu. Bereits im 1682 erschienenen Feuerwerksbuch des preussischen Artilleriehauptmanns Ernst Braun findet sich eine sogenannte «Regenkugel». Diese Holzkartuschen beinhalteten Handgranaten, die durch einen vor Abschuss angezündeten Verzögerungssatz über dem Schlachtfeld ausgestossen und gleichzeitig angezündet wurden.
Im Zweiten Weltkrieg verwendeten alle grossen Kriegsparteien Streumunition in diversen Ausführungen. Im Winterkrieg (1939/1940) wurden frühe sowjetische Streubomben in Finnland als «Molotovs Brotkorb» bekannt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg befassten sich vor allem die USA und die Sowjetunion mit der Weiterentwicklung der Streumunition. So wurde diese auch (wieder) als Artilleriemunition entwickelt. Mit dem 15,5-mm-KaG 88 übernahm auch die Schweizer Artillerie eine Variante der sogenannten Kanistermunition.
Auch herkömmliche Streubomben, die von Flugzeugen abgeworfen werden, kaufte die Schweiz: 1980 stimmte das Parlament dem Kauf von 2000 britischen BL755-Streubomben zu. Die Kosten lagen bei rund 90 Millionen Franken.
Heutzutage ist Streumunition eine der am meisten eingesetzten Luftabwurfwaffen. Sie wird häufig in einer Kombination aus Explosiv-, Splitter- und panzerbrechenden Bomblets eingesetzt.
Streumunition ist praktisch, solange sie funktioniert. Ein Bericht aus dem Jahr 2006 erwähnt, dass laut Minenräumpersonal 10 bis 30 Prozent der Bomblets nach ihrem Aufschlag nicht detonieren und am Boden liegen bleiben.
Es gibt einige Faktoren, die bestimmen, ob ein Bomblet explodiert oder nicht. Ist der Boden zu weich, zum Beispiel nach starkem Regenfall, löst der Zünder nicht aus. Büsche und Bäume können die Geschwindigkeit der Bomblets so weit verlangsamen, dass keine Detonation erfolgt. Oder es kann einfach vorkommen, dass sie verkehrt herum landen, sodass der Zünder keinen Aufprall registriert.
Das Problem dabei ist, dass die Submunition weiterhin scharf bleibt. Falsche Handhabung dieser Blindgänger kann fatal enden, erklärt Waffenexperte Brian Castner von Amnesty International gegenüber der «New York Times»: «Wenn du dieses Ding falsch anfasst, ist das so, als würdest du ein Zündhölzli anzünden.»
Ein Bericht des Internationalen Roten Kreuzes fasst die Auswirkungen des Einsatzes von Streumunition im Kosovo-Krieg zusammen. Demnach waren solche Cluster-Bomblets im ersten Jahr nach dem Krieg für 102 Todesfälle oder Verletzungen verantwortlich. Im Gegensatz zu Opfern von normalen Anti-Personen-Minen waren die Opfer von Bomblets im Schnitt deutlich jünger.
Der Grund dafür liegt in der Form der Submunition: Je nach Ausführung erinnern die faustgrossen, runden Bomblets an Ostereier oder Ähnliches. Neugierige Kinder lesen so etwas gerne auf – und lösen im schlimmsten Fall den Zünder aus.
«Es gibt einfach keinen verantwortungsvollen Weg, wie man Cluster-Munition einsetzen kann», meint Amnesty-Experte Castner. Zu diesem Schluss kamen 2008 auch 107 Staaten, als sie in Dublin an einer Konferenz der Konvention zur Abschaffung der Streumunition zustimmten.
Erstunterzeichner dieses Vertrags war übrigens NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, damals noch Ministerpräsident von Norwegen. Die Schweiz, vertreten von EDA-Chefin Micheline Calmy-Rey, unterschrieb am 3. Dezember. Offiziere der Armee protestierten damals. Mittlerweile hat die Schweizer Armee sämtliche Kanistermunition und Streubomben in ihrem Besitz vernichtet.
Doch dieser Vertrag bedeutet keineswegs ein Ende für die effiziente, aber gefährliche Munition. Denn bei Weitem haben nicht alle Länder die Konvention unterzeichnet. Ein Blick auf die Karte der Unterzeichner zeigt, dass gewisse geopolitisch relevante Staaten nicht an einem Streumunitions-Verbot interessiert sind:
Nicht zu den Teilnehmern gehören unter anderem Russland, die USA und die Ukraine.
Die Voraussetzungen, dass die Ukraine nun amerikanische Streumunition verwenden kann, sind also gegeben. Aber bringen die vielen kleinen CBUs der Ukraine nun wirklich einen Vorteil bei ihrer Offensive?
Ja. Sagen zumindest die Ukrainer. Russland hatte im Winter Zeit, seine Verteidigungen über Kilometer gestaffelt auszubauen. Schützengräben, Panzersperren und Minen machen den ukrainischen Truppen das Leben schwer und verlangsamen die Offensive.
Der Einsatz von Cluster-Munition ist äusserst effektiv – denn sie kann gegen all die genannten Verteidigungsmittel Russlands wirken. Im Gegensatz zu herkömmlichen Stahlgranaten mit Splitterwirkung können Bomblets einfach in Schützengräben gelangen und dort den Verteidigern das Leben zur Hölle machen. Durch grossflächiges Streu-Bombardement können potenziell Minenfelder geräumt werden. Und die Bomblets gelangen leicht hinter Deckungen, womit diese für den Moment nutzlos gemacht werden.
Auch Russland hat diesen Vorteil früh erkannt und setzt seit Beginn des Krieges intensiv Streumunition ein.
Laut einem Bericht der Human Rights Watch hat die Ukraine ebenfalls Streumunition eingesetzt. Diese streitet die Vorwürfe ab – verlangt aber trotzdem von ihren westlichen Verbündeten nach genau dieser Munition. So sagte Oleksandr Kubrakow, der ukrainische Minister für Wiederaufbau, im Februar:
Die Regierung von Joe Biden hat nun also tatsächlich der Lieferung von Streumunition an die Ukraine zugestimmt. Dabei soll es sich primär um Artilleriegranaten von Typ M864 handeln, schreibt die «Washington Post».
Die 155-mm-Granaten haben eine Reichweite von 29 Kilometern und können 72 CBUs mit sich führen. Davon sind 48 Stück Bomblets vom Typ M42 und 24 vom Typ M46.
Die M42-CBUs haben eine Splitterwirkung und werden so gegen Personen und ungepanzerte Fahrzeuge verwendet. Die M46-Bomblets führen eine Hohlladung mit sich und wirken so bei einem Treffer gegen gepanzerte Ziele – wie Panzer. Diese sind nach oben ohnehin schlecht(er) gepanzert, deshalb stellt Streumunition ein zusätzliches Risiko für sie dar.
Laut neusten Berichten des Pentagons haben die (bald) gelieferten CBUs eine Blindgängerquote von 2,35 Prozent. Experten gehen davon aus, dass sich diese Quote auf alte Munition mit neuen Zündern bezieht. Bei dieser wurde ein Selbstzerstörungs-Mechanismus eingebaut, damit die Bomblets nicht auf ewig im Felde liegen bleiben.
Man suche mit «grösster Sorgfalt» diejenige Munition aus, welche die tiefste Blindgängerquote habe, sagte Pentagon-Sprecher Brigadier Patrick Ryder.
Die Ukraine sieht derweil kein Problem, Streumunition auf eigenem Boden zu verwenden. Verteidigungsminister Oleksii Resnikow sagte im Bezug auf den grossen Wirkungsgrad der umstrittenen Munition:
Man werde die Granaten aber nur in den Feldern verwenden und nicht beim Angriff auf eine besetzte Stadt. Dass der ukrainische Vorstoss durch den eigenen Blindgänger behindert werden könnte, tut Minister Kubrakow ab: «Das ist unser Boden. Wir entscheiden.»
Das UN-Menschenrechtsbüro in Genf hat derweil gegen die Lieferung protestiert: «Solche Munition tötet und verstümmelt Menschen lange nach dem Ende eines Konflikts», sagte eine Sprecherin am Freitag. «Deshalb sollte der Einsatz umgehend gestoppt werden.» Der Appell kommt gut und gern ein Jahr und vier Monate zu spät.
Auf effektive Waffen zu Verzichten kann sich eine verteidigende Armee nicht leisten.
Doch wenn ein Krieg ausbricht wird plötzlich alles völlig anders. Dann heißt es Du oder Ich.
Es darf einfach nicht sein, das ein sich total völkerrechtswidrig verhaltender Aggressor schlussendlich gewinnt, nur weil der Verteidiger sich an Regeln halten soll, deren er wohlweislich nie zugestürmt hat. Schliesslich kennen die halt den bösen völlig unberechenbaren Nachbarn seit langem. Wir hätten an Stelle der Ukraine einem Streubombenverbot bestimmt auch niemals zugestimmt.
Etwas anderes ist was die Russen machen, die setzen auch Streumunition, thermobarische Waffen, weisser Phosphor und Cruise Missiles gegen ZIVILE Ziele ein.
Wer rumheulen will, soll sich bitte zuerst mal darüber aufregen.