Da war es wieder, dieses Wort, das im Zusammenhang mit Bernie Sanders immer wieder zu hören ist: Radikal. Als sich die sieben führenden Präsidentschaftskandidaten der Demokraten am Dienstag in South Carolina in einer Fernsehdebatte gegenüberstanden, wurde der 78-jährige Senator aus Vermont mehrfach auf sein «radikales» Programm angesprochen.
Sanders gab zurück: Er verstehe die Kritik an seinen Vorschlägen zur Reform des Gesundheitswesens oder an seiner Klimapolitik nicht. Seine Ideen seien im Ausland alle bereits umgesetzt worden.
Für Sanders ist diese Kritik nicht neu. Seit er im Herbst 1971 eine Versammlung der Liberty Union Party in seiner Heimatstadt Burlington im Bundesstaat Vermont besucht hatte und sich spontan dazu bereit erklärte, für die linke Splitterpartei um Stimmen zu kämpfen, wird er für seine Ideen von Demokraten und Republikanern gleichermassen angefeindet.
Das ist einer der Gründe, warum Sanders bis heute darauf verzichtet hat, sich formal der Demokratischen Partei anzuschliessen. Rechte beschimpfen ihn als Kommunisten, der Diktatoren wie Fidel Castro nacheifere. Linke nennen ihn einen Revolutionär, dem das Verständnis für den Politbetrieb in Washington fehle.
Beide Seiten ignorieren dabei, dass Sanders ein gewiefter Machtpolitiker ist. Das stellte er von 1981 bis 1989 unter Beweis, als er als Stadtpräsident von Burlington amtierte. Sanders spricht nicht allzu häufig über diese Episode in seiner Biografie.
Und dennoch ist sie bezeichnend. Denn Sanders stellte als Stadtpräsident der bevölkerungsreichsten Gemeinde Vermonts (42'000 Einwohner) unter Beweis, dass er bei der Umsetzung seiner Ziele alles andere als radikal sein kann.
Die Wahl Sanders’ zum Bürgermeister im Frühjahr 1981 sorgte im ganzen Land für Schlagzeilen – auch weil der Vorsprung des selbsternannten Sozialisten auf den demokratischen Amtsinhaber gerade mal 10 Stimmen betrug. Er habe seinen Sieg einer Koalition aus Arbeitern, Senioren und armen Menschen zu verdanken, die sich Sorgen um ihre Zukunft machten, sagte der neugewählte Stadtpräsident.
Er werde sich dafür einsetzen, dass diese Menschen in der Stadtpolitik endlich eine Stimme hätten. In der Praxis bedeutete dies: Als Burlington im Winter 1981 von einem Wintersturm heimgesucht wurde, begleitete Sanders Schneeräumer während ihres Einsatzes. Als sich ein städtischer Angestellter gegen 17 Uhr in den Feierabend aufmachen wollte, schickte der Stadtpräsident ihn wieder auf die Piste.
Er wies den Schneepflüger darauf hin, dass die Strassen am nördlichen Ende der Stadt – einem ärmlichen Viertel, in dem der neugewählte Stadtpräsident viele Stimmen gewonnen hatte – noch nicht schneefrei seien. «Niemand schert sich einen Teufel um Ideologie», lautet ein Bonmot des Sanders-Beraters Richard Sugarman, «solange die Strassen vom Schnee geräumt sind.»
Auch im Umgang mit der politischen Elite der Stadt zeigte sich Sanders begabt. Es gelang ihm schnell, im Stadtparlament neue Verbündete zu finden: selbst unter den Republikanern. Im Gespräch mit einem konservativen Abgeordneten sagte Sanders: «Warum sind wir nicht praktisch und pragmatisch?»
Er hielt sein Wort und überzeugte Kritiker mit einer straffen Finanzpolitik und innovativen wirtschaftspolitischen Ideen. Gleichzeitig hielt er seine linken Freunde auf Distanz. Als Aktivisten 1983 eine Fabrik des Industriekonzerns General Electric blockierten, weil dort Kriegsgerät produziert wurde, schritt er ein und liess die Demonstranten verhaften. Er habe nicht riskieren wollen, dass Aberhunderte von Arbeitsplätzen verloren gingen, sagte Sanders.
1983 wurde Sanders mit einer Mehrheit der Stimmen wiedergewählt. Und im Jahr darauf gewannen progressive Kräfte die Mehrheit im Stadtparlament, auch dank einer höheren Wahlbeteiligung. Noch heute bezeichnet Sanders seine Amtszeit in Burlington deshalb als Blaupause für eine friedliche Machtübernahme in Washington – auch wenn er nicht allzu häufig darüber spricht.