Den Friedensnobelpreis hatte Donald Trump nach Ansicht vieler konservativer Kommentatoren praktisch schon in der Tasche. Ein Geflecht von Fehlern und Fallen auf beiden Seiten führte nun zur Absage des Gipfels mit Kim Jong Un. Die Welt ist zurück in einer Zeit, in der Sprüche vom Atomkrieg die Runde machen.
Die Gedenkmünzen waren schon geprägt, die Hotelzimmer gebucht und der Flugplan für die Air Force One nach Singapur schon ausgearbeitet. Da liess Donald Trump am Donnerstag die politische Bombe platzen: Nach zunehmend aggressiver Rhetorik aus Pjöngjang sagte er das für 12. Juni in dem asiatischen Stadtstaat geplante Gipfeltreffen mit Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un ab.
Die Kürzestzusammenfassung von Trumps Absage:
A letter from the President to Chairman Kim Jong Un: "It is inappropriate, at this time, to have this long-planned meeting." pic.twitter.com/3dDIp55xu1
— The White House (@WhiteHouse) 24. Mai 2018
Nun ist die Welt zurück an dem Punkt, an dem sich zwei als unberechenbar eingestufte Politiker gegenseitig mit Atomwaffen bedrohen. Die Chance auf den seit dem Korea-Krieg 1953 noch immer ersehnten Frieden auf der koreanischen Halbinsel scheint erst einmal vertan.
Die Entscheidung Trumps hatte sich abgezeichnet. Nach aussen hin prophezeite Donald Trump Nordkorea Tag für Tag eine prosperierende Zukunft, Reichtum und Wohlstand, sollte sich Kim auf einen Deal mit den Amerikanern und die US-Forderungen nach einer atomaren Abrüstung einlassen.
Je mehr Kim von seinen ursprünglich gemachten Zusagen abrückte, desto freundlicher wurde Trump. Als wollte er den Despoten quasi an den Verhandlungstisch loben.
Kritiker in den USA warfen Trump bereits eine gewisse Siegestrunkenheit vor, getragen von rechtskonservativer Medienberichterstattung. Diese stellte nicht mehr die Frage, ob Trump den Nobelpreis verdiene, sondern die Frage, was mit dem Preis passiere, wenn Trump ihn nicht bekomme.
Trump verbuchte einen medienwirksam inszenierten Pyrrhussieg, als er drei US-Gefangene aus Nordkorea heimholen liess. Doch die Vorbereitung des Gipfeltreffens Mitte Juni war mangelhaft, überhastet.
War das Ziel einer atomwaffenfreien koreanischen Halbinsel noch recht klar formuliert, so blieben die Zusagen an Nordkorea vage: «Reich und glücklich», werde Kim Jong Un, versprach Trump. Der Kater nach dem voreilig genossenen Siegesrausch kam langsam.
Hinter den Kulissen war schon vor Tagen die Unsicherheit gewachsen. Was Trump öffentlich nur andeutete, schien sich zum grossen Problem auszuwachsen: China vertrat seine geopolitischen und wirtschaftspolitischen Interessen in der Asia-Pazifik-Region auch über die Nordkorea-Politik. Kim sei nach seinem zweiten Besuch in Peking verändert zurückgekommen, analysierte Trump mal eben unter den laufenden Rotorblättern seines Regierungshubschraubers.
Dass die Absage des Gipfels keine 24 Stunden nach einem eilig anberaumten Treffen zwischen US-Aussenminister Mike Pompeo und seinem chinesischen Amtskollegen Wang Yi kommt, dürfte kein Zufall sein.
China und die USA fechten eine Vielzahl von Sträussen aus, vom Handel bis zur Vormachtstellung im südchinesischen Meer. Nordkorea ist da nur eines von vielen Problemen. Südkorea bekam vor dem Absenden des Briefes Berichten zufolge nicht einmal Bescheid.
«Es zeigt, dass sie vermutlich nicht da sind, wo sie sein wollen», deutete ein europäischer Diplomat in Washington das Treffen Wang-Pompeo. Wang sei schon sauer gewesen, dass er keine Pressekonferenz mit Pompeo bekommen habe, die seine Worte auch in den Pazifikraum getragen hätte, wurde gemunkelt.
Dass Nordkorea am Donnerstag wie versprochen vor den Augen internationaler Journalisten sein Atomtestgelände sprengte, konnte da auch nicht mehr helfen, die vorhandenen Gräben zu überbrücken.
Ein Teil des Problems könnte ein politisches Spiel mit vielen Fallen gewesen sein, von denen einige für Donald Trump nicht gut genug sichtbar aufgestellt waren. Südkoreas Präsident Moon Jae-In habe gegenüber dem US-Präsidenten die Verhandlungsbereitschaft Nordkoreas womöglich übertrieben dargestellt, um Trump von seinen Kriegsdrohungen abzubringen - eine grosse Sorge der südkoreanischen Bevölkerung.
«Es ist ein offenes Geheimnis in Südkorea, dass man Trump schmeichelte, um ihn von einem Krieg abzuhalten», sagt etwa der US-Politikprofessor Robert Kelly von der Universität Pusan in Südkorea.
Das löste aber kein Problem. Und das heisst weiterhin «Denuklearisierung»: Unter dem schwammigen Begriff verstehen die Amerikaner und die Nordkoreaner zwei unterschiedliche Dinge.
Die USA wollen das Sanktionsregime, das sie als «maximum pressure campaign», als Massnahme maximalen Drucks beschreiben, nicht lösen, bevor Kim nicht alle seine Atomwaffen verschrottet hat. Und mit ihnen alle Trägersysteme und sonstigen technischen Vorrichtungen, die den Abschuss von Nuklearwaffen ermöglichen. Die Nordkoreaner wollen das, was auch die Amerikaner machen: Atomwaffen behalten und sich de facto verpflichten, sie nicht anzuwenden.
Die gegenseitige Rhetorik half sicher auch nicht viel weiter: Dass der aussenpolitische Hardliner John Bolton und auch der erzkonservative Vizepräsident Mike Pence Libyen öffentlich als Modell für Nordkorea ins Spiel brachten, dürfte Kim Jong Un schwer geärgert haben.
Im Gegenzug drohte er mit dem Szenario eines nuklearen Showdown, falls die Sprüche nicht aufhören. Das wiederum brachte Trump auf die Palme. In seinem Brief, adressiert an «seine Exzellenz» Kim Jong Jun persönlich, sprach Trump von «enormem Ärger und offener Feindseligkeit» aufseiten Nordkoreas. Und liess sein Gegenüber wissen, dass die USA Atomwaffen hätten, die so gross und so mächtig seien, dass er selbst zu Gott bete, sie nie anwenden zu müssen. (dwi/sda/dpa)