Auf der Suche nach einem Ausweg aus der Brexit-Sackgasse haben die britische Premierministerin Theresa May und Oppositionschef Jeremy Corbyn am Mittwoch nach Regierungsangaben «konstruktive» Gespräche geführt.
«Beide Seiten haben Flexibilität und Engagement gezeigt, die gegenwärtige Brexit-Unsicherheit zu einem Ende zu bringen», teilte ein Regierungssprecher am Mittwoch in London mit.
Zugleich wächst in der regierenden Konservativen Partei aber auch der Ärger über diesen gemeinsamen Vorstoss. Corbyn nannte das Treffen «nützlich», es habe aber noch kein Ergebnis gegeben.
Für die weiteren Gespräche sollten zwei Verhandlungsteams gebildet werden. Auf Regierungsseite gehören Vizepremier David Lidington und Brexit-Minister Steve Barclay dazu. Noch am Abend wollten beide Seiten angesichts des Zeitdrucks gemeinsam ein Arbeitsprogramm erstellen. Am Donnerstag soll den ganzen Tag verhandelt werden.
Das Parlament begann am Mittwoch mit der Debatte über ein Gesetz, das die Regierung zum Antrag auf eine weitere Verschiebung des Brexits zwingen könnte. Eine überparteiliche Gruppe von Abgeordneten wollte so verhindern, dass es zu einem Ausscheiden aus der EU ohne Vertrag kommt.
Am Mittwoch erklärten gleich zwei Staatssekretäre aus Protest ihren Rücktritt: der für den Brexit zuständige Chris Heaton-Harris und Nigel Adams, der Staatssekretär für den Landesteil Wales ist. Sie fürchten, der Bruch mit Brüssel könne nun nicht deutlich genug ausfallen. Damit sind in den vergangen zwölf Monaten bereits 36 Regierungsmitglieder zurückgetreten - fast alle im Streit um den Brexit. Weitere konservative Parlamentarier kündigten Widerstand an.
May unterstrich das gemeinsame Ziel, einen ungeordneten EU-Austritt ohne Abkommen zu vermeiden. Sollte das britische Parlament den Austrittsvertrag kurzfristig doch noch annehmen, plädiert EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker für einen weiteren Aufschub des Brexits um knapp sechs Wochen bis zum 22. Mai.
Juncker machte dies aber davon abhängig, dass noch vor dem 12. April eine stabile Mehrheit in London für den EU-Austrittsvertrag zustande komme. Das ist der Tag, für den nach derzeitigem Stand der Brexit vorgesehen ist. Zwei Tage vorher - also am Mittwoch nächster Woche - soll ein EU-Sondergipfel entscheiden, wie es beim Brexit weitergeht.
Das britische Unterhaus hat den von May mit der EU vereinbarten Austrittsvertrag bereits drei Mal abgelehnt - sich aber bislang auch nicht auf eine andere Brexit-Variante einigen können.
Die Fristverlängerung soll aber nicht über den 22. Mai hinausgehen - den Tag vor dem Beginn der Europawahl. May will unbedingt vermeiden, dass die Briten noch einmal mitwählen müssen. Der 12. April ist der Tag, bis zu dem Grossbritannien nach britischem Recht über eine Teilnahme an der Wahl entscheiden muss.
Die Hoffnung ist also, am 22. Mai doch noch mit Vertrag aus der EU auszutreten. Dann könnte eine Übergangsfrist bis Ende 2020 in Kraft treten, die Chaos vermeiden soll. Die Regierung bestätigte jedoch, dass sie die Wahlkommission vorsorglich mit den Vorbereitungen für eine Teilnahme an der Europawahl beauftragt hat.
Mays Ankündigung ist eine dramatische Kehrtwende. Bisher hatte sie Zugeständnisse an die Opposition abgelehnt. Denn diese will eine weichere Form des Brexits. Corbyns Labour-Partei fordert unter anderem, Grossbritannien solle in einer Zollunion mit der EU bleiben und eine enge Anbindung an den Binnenmarkt suchen.
May betonte vor dem Treffen mit Corbyn aber die Gemeinsamkeiten. «Wir beide wollen einen Austritt mit Abkommen sicherstellen, wir wollen beide Arbeitsplätze schützen, wir wollen beide die Personenfreizügigkeit beenden, wir beide erkennen die Bedeutung des Austrittsabkommens an», sagte die Regierungschefin im Parlament.
Sollte bis zum 12. April weder der Austrittsvertrag noch eine Alternative beschlossen sein, droht ein ungeordneter Austritt aus der EU mit drastischen Folgen für viele Lebensbereiche. Juncker warnte trotz Mays Kurswechsel: «Ich glaube, dass ein ‹No Deal› am 12. April um Mitternacht jetzt ein sehr wahrscheinliches Szenario ist.»
Auf der EU-Seite ist noch unklar, ob alle 27 EU-Staats- und Regierungschefs einen Aufschub einstimmig billigen würden.
Ursprünglich wollte sich Grossbritannien schon am 29. März von der Staatengemeinschaft trennen. Doch wegen des Brexit-Streits im Parlament war der Termin nicht zu halten. (sda/dpa)