Jetzt hat Wladimir Putin es also schriftlich. Die Nato und die USA haben auf die russischen Forderungen nach verbindlichen Sicherheitsgarantien geantwortet, schwarz auf weiss wie verlangt. Nur wird der Inhalt der beiden am Mittwoch überreichten Dokumente sicher nicht den russischen Vorstellungen entsprechen.
Russland wurde gebeten, die Unterlagen vertraulich zu behandeln. US-Diplomaten rechnen jedoch durchaus damit, dass sie in Moskau publik gemacht werden könnten. Möglich ist sicher auch, dass eine falsche öffentliche Darstellung des Inhalts in Russland die Verfasser selbst noch dazu zwingt. Bislang ist über den genauen Inhalt der beiden Texte nichts bekannt.
Was darin keinesfalls stehen würde, war allerdings längst klar. Kein grundsätzlicher Verzicht auf eine weitere Nato-Osterweiterung etwa, auch keine Aussage über die Aussichten eines Beitritts der Ukraine, kein Rückzug von Nato-Kräften aus Osteuropa, kurz: keine Zugeständnisse an Russland bei allem, was für den Westen unverhandelbar ist.
Die Antwort sei mit der Ukraine und den europäischen Verbündeten abgestimmt, sagte US-Aussenminister Antony Blinken in Washington. Man habe deutlich gemacht, «dass es Kernprinzipien gibt, zu deren Wahrung und Verteidigung wir uns verpflichtet haben» – insbesondere die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine sowie das Recht von Staaten, ihre eigenen Bündnisse zu wählen.
«Die Tür der Nato ist offen und bleibt offen», betonte Blinken einmal mehr. In all diesen Fragen hatten die USA und ihre Verbündeten immer wieder deutlich gemacht, dass sie keinen Spielraum für Verhandlungen sehen. Putin wird in dieser Hinsicht nicht viel Neues erfahren.
Dafür bekommt der russische Präsident wohl einiges zu lesen, nach dem er gar nicht gefragt hat. Man werde nicht nur auf das reagieren, was Russland vorgebracht habe, hatte Blinken bereits in der vergangenen Woche angekündigt. Auch die eigenen Bedenken werde man formulieren, «und das sind viele» angesichts der «russischen Aktivitäten, die wir als Bedrohung der Sicherheit in Europa und in der Tat darüber hinaus sehen».
Angebote zur Zusammenarbeit gibt es nach Angaben der US-Regierung gleichwohl dort, wo mehr Transparenz für alle das Risiko verringert, also etwa in der Rüstungskontrolle und konkret bei der Stationierung von Raketensystemen.
Vorraussetzung: Russland ist zu einer Deeskalation bereit. Im Detail würden die nun übermittelten Vorschläge «etwas tiefer» gehen als das, was man bereits öffentlich gesagt habe, hiess es aus Washington. Entscheiden, wie es weitergeht, muss nun Russland.
Denn angesichts des russischen Truppenaufmarsches mit mehr als 100'000 Soldaten an der ukrainischen Grenze will sich der Westen nicht erpressen lassen. «Während wir hier sprechen, verschärft Russland seine Bedrohung der Ukraine», sagte US-Vizeaussenministerin Wendy Sherman bei einer Online-Veranstaltung des Dialogforums Yalta European Strategy in Kiew.
Man wisse nicht, ob Putin eine endgültige Entscheidung über eine Invasion getroffen habe, «aber alles deutet darauf hin, dass er militärische Gewalt anwenden wird», jederzeit zwischen jetzt und Mitte Februar. Es gelte, sich «auf das Schlimmste» vorzubereiten.
Der russische Aussenminister Sergej Lawrow hatte noch kurz vor Eingang der Dokumente gedroht, man werde Vergeltungsmassnahmen ergreifen, falls die USA und ihre Verbündeten die Forderungen nach Sicherheitsgarantien ablehnten und ihre «aggressive Politik» fortsetzten.
Er und andere hochrangige Regierungsvertreter würden die Antworten prüfen und Putin über die nächsten Schritte beraten, sagte er vor russischen Abgeordneten: «Wir werden nicht dulden, dass unsere Vorschläge in endlosen Diskussionen ertränkt werden.»
Endlos sicher nicht, aber Blinken sagte, die Antwort zeichne «einen ernsthaften diplomatischen Pfad» vor, sollte Putin sich dafür entscheiden. Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach in Brüssel davon, man sei bereit, «sich hinzusetzen und sich die russischen Bedenken anzuhören». Es könne eine echte Diskussion darüber sein, wie die fundamentalen Prinzipien der europäischen Sicherheit zu bewahren und zu stärken seien – abzüglich der genannten unverhandelbaren Grundlagen, versteht sich. Man reiche Russland «erneut die Hand» und hoffe auf eine politische Lösung.
Um wieder besser ins Gespräch zu kommen, plädierte Stoltenberg auch dafür, die im Streit abgezogene russische Vertretung bei der Nato in Brüssel wiederzueröffnen, ebenso das Nato-Büro in Moskau. Überhaupt sollten regelmässige Gespräche stattfinden, vor allem auch alle militärischen Kommunikationskanäle genutzt werden, bis hin zu einer Notfall-Hotline.
Durch Transparenz liessen sich Risiken verringern, etwa indem man sich gegenseitig über Manöver und in der Nuklearpolitik unterrichte. Gleichzeitig forderte Stoltenberg einen Abzug russischer Truppen aus Georgien, der Republik Moldau und aus der Ukraine, wo die Milizen der vorgeblichen Separatisten im Donbass seit Langem aus Moskau unterstützt werden. Der Krieg, den viele fürchten, findet ja bereits statt.
Ob Russland sich auf dieser Basis für weitere Gespräche öffnet oder doch erneut die Eskalation wagt, darüber lässt sich nur spekulieren. Allzu schnell ist mit einer substanziellen Reaktion offenbar nicht zu rechnen. «Wir lesen. Studieren», kündigte Vizeaussenminister Alexander Gruschko an. Mit Blick auf die eigene Wartezeit, wie der Westen die russischen Forderungen beantworten würde, sagte er: «Die Partner unseres Projekts studierten unser Projekt fast eineinhalb Monate lang.»
Die USA und ihre Verbündeten halten derweil die Abschreckungskulisse aufrecht, bereiten Sanktionen vor, stärken die eigene Verteidigung in der Nato und unterstützen nach Kräften die Ukraine – um so der Diplomatie überhaupt eine Chance zu eröffnen.
Lawrow und Blinken wollen in den kommenden Tagen miteinander reden, auf allen Ebenen und in diversen Runden bleiben die Kontakte vielfältig. Die Beratungen im Normandie-Format zwischen Russland, der Ukraine, Deutschland und Frankreich beispielsweise zogen sich am Mittwoch über Stunden: Bekundet wurde danach immerhin der «bedingungslose Respekt» einer Waffenruhe in der Ostukraine, in zwei Wochen soll es in Berlin weitergehen, viele Fragen seien noch offen, hiess es von russischer Seite.
Angebote für einen Ausweg aus der Konfrontation liegen in diesen Tagen aber wirklich genug auf dem Tisch. Putin muss sich nur entscheiden.
Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.