Islamischer Staat (IS)
Syrien

Erfüllung und Liebe? Junge Mädchen sind fasziniert vom IS

Die Polizei ist inzwischen sicher, dass Shamima, Kadiza und Amira nach Syrien gereist sind.
Die Polizei ist inzwischen sicher, dass Shamima, Kadiza und Amira nach Syrien gereist sind.Bild: X80001
Extremismus

Erfüllung und Liebe? Junge Mädchen sind fasziniert vom IS

27.02.2015, 21:1328.02.2015, 13:38
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Der Grossteil der westlichen Kämpfer, die sich dem IS anschliessen, sind junge Männer. Doch auch junge Mädchen zieht es nach Syrien, manche erst 15 Jahre alt. Viele von ihnen hoffen, im Dschihad die grosse Liebe zu finden.

Shamima, Kadiza und Amira sind 15 und 16 Jahre alt und gingen gemeinsam auf eine Schule im Osten Londons. «Sie waren wirklich klug», sagt eine Schulkameradin, «sie wussten, was sie wollten». Sie spricht in der Vergangenheitsform. Ihre Freundinnen sind seit eineinhalb Wochen verschwunden. 

Die Polizei ist inzwischen sicher, dass das Trio nach Syrien gereist ist, um sich den Terroristen des Islamischen Staats (IS) anzuschliessen. Zurück bleiben in Grossbritannien verzweifelte Familien – und grosse Ratlosigkeit.

Einzelfälle sind die Mädchen nicht, die in ihren Ferien vom Flughafen Gatwick aus heimlich zunächst nach Istanbul geflogen sind. Etwa 60 britische Frauen und junge Mädchen sollen sich bis anhin dem IS angeschlossen haben. 

Erst im Dezember war eine 15-Jährige nach Syrien gegangen, die auf die selbe Schule wie das Trio ging und mit ihnen befreundet war. Auch sie galt als wissbegierig, fleissig und intelligent. 

Suche nach Schuldigen

Schnell begann die Suche nach Schuldigen. Die Fluggesellschaft habe sie nicht informiert, dass drei Jugendliche ohne Begleitung an Bord seien, beschwert sich die Polizei. Turkish Airlines hätte die Mädchen gar nicht an Bord lassen dürfen, schimpft eine Parlamentarierin. Der türkische Vize-Premierminister Bülent Arinc kontert, die britischen Behörden hätten sein Land erst nach drei Tagen informiert.

Wichtiger ist die Frage, warum die drei überhaupt fasziniert sind vom IS. Die Terroristen priesen die Rolle «Ehefrau eines Märtyrers» als zweitbesten Lebensweg nach dem Märtyrertum selbst an, erklärt im «Independent» Sara Kahn, Direktorin der Organisation «Inspire», die sich für Frauenrechte und gegen Radikalisierung einsetzt. Ein Zwillingsbruder der Radikalisierung sei die sexuelle Anmache.

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Kämpfer statt Popstars

Um das Vertrauen der Mädchen zu gewinnen, näherten sie sich ihnen in sozialen Netzwerken oder Chatrooms an, machten Komplimente und täuschten Liebe und Begehren vor. «Ihre Ziele glauben oft, ihr Dschihadist ‹liebe› sie, und nehmen an, dass die Beziehung echt ist», schreibt sie. «Sie sehen sich nicht als Opfer.» 

Statt für Popstars schwärmten sie für einen IS-Kämpfer. Für diese wiederum sei die Aussicht auf Mädchen ein weiterer Anreiz, sich dem IS anzuschliessen.

Auch Frauen spielten beim Anlocken von Mädchen eine Rolle, fährt die Expertin fort. Wie Aqsa Mahmood, die Ende 2013 aus dem schottischen Glasgow nach Syrien gereist war. Sie ist aktiv in sozialen Netzwerken und hatte nach Angaben der Polizei Tage vor dem Verschwinden des Londoner Trios über Twitter Kontakt mit Shamima. 

Blog-Einträgen zufolge ist sie inzwischen mit einem Dschihadisten verheiratet. «Diese Frauen geben Ratschläge zu allem, von Wegen, auf IS-Gebiet zu gelangen, bis hin zu dem, was man mitbringen soll, und arrangieren auch oft ‹Hochzeiten› für ihre neuen Rekruten», schreibt Kahn.

IS mit den eigenen Waffen schlagen

Bleibt die Frage: Was ist zu tun? Schulen müssten eine grössere Rolle spielen im Kampf gegen Radikalisierung, fordert Premierminister David Cameron. Ausserdem sieht er Fluggesellschaften und Internet-Firmen in der Pflicht – Cameron hat wiederholt gefordert, Geheimdienste etwa auf Facebook mehr mitlesen zu lassen.

Das Londoner Institute for Strategic Dialogue, das Online-Posts von westlichen Mädchen und Frauen in IS-Gebieten unter die Lupe genommen hat, schlägt andere Wege vor. Das Internet sei das entscheidende Schlachtfeld, schreiben die Forscher, dort müsse man den IS sozusagen mit den eigenen Waffen schlagen: «Gegenerzählungen müssen entwickelt werden und auf ein weibliches Publikum abzielen.»

Eine Schlüsselrolle sprechen die Experten den Familien zu. «Regierungen müssen in Programme investieren, die Familien wirksame praktische Hilfen vermitteln, wie sie ihre Töchter vom Auswandern abhalten», heisst es in der Studie. Ausserdem müssten Familien darin geschult werden, sich emotional und intellektuell mit IS-Argumenten auseinanderzusetzen.

Den Eltern von Shamima, Kadiza und Amira hilft das wenig. Mit öffentlichen Appellen versuchen sie, ihre Töchter zur Umkehr zu bewegen: «Während du weg bist, sind wir als Familie völlig verzweifelt», teilten etwa Kadizas Eltern mit, «und verstehen nicht, warum du dein Zuhause verlassen hast». (sda/dpa/gag)

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