Das wirklich Böse ist das, was sprachloses Entsetzen verursacht. So hat es Hannah Arendt gesagt. In der vergangenen Nacht nun war es am US-Präsidenten, mit Blick auf die im Irak und in Syrien mordenden Terrorbanden des Islamischen Staats (IS) nicht nur Worte zu finden, sondern eine Strategie zu präsentieren.
Den IS «schwächen und letztlich zerstören», das sei das Ziel, erklärte Obama in einer Rede an die Nation, der zehnten seiner Amtszeit. Heisst: Amerika zieht in einen neuen Anti-Terror-Kampf. Dies verkündete der Präsident just einen Tag vor dem 13. Jahrestag der 9/11-Anschläge. Im Einzelnen sieht Obamas Plan so aus:
Obama hat lange gezögert, bevor er diese Rede an die Nation gehalten hat. Mehr noch: Er wollte über Monate wohl nicht wahrhaben, dass sich die USA aus der nahöstlichen Krisenregion kaum heraushalten können –nach einem Jahrzehnt der zermürbenden Kriege im Irak (unsinnig, völkerrechtswidrig) und in Afghanistan (mehr oder weniger verloren).
In einem Interview mit dem «New Yorker» redete er noch im Januar die vom IS und anderen Gruppen ausgehende Gefahr klein: «Es gibt einen Unterschied zwischen den Fähigkeiten und der Reichweite eines Osama bin Laden gegen unser Land – und Dschihadisten, die in diversen lokalen Kämpfen um Macht ringen.» Die Enthauptung zweier US-Journalisten durch IS-Milizen im August sowie die mögliche terroristische Bedrohung Amerikas hat die Kalkulation Obamas geändert. Die Zustimmung der Amerikaner jedenfalls hat er: Knapp drei Viertel unterstützen die Luftschläge im Irak, zwei Drittel die möglichen in Syrien. Das ist mehr als doppelt so viel als vor einem Jahr, als bekannt wurde, dass in Syrien Giftgas eingesetzt wurde.
Damals hielt Obama seine letzte Rede an die Nation. Es war die Rede, in der er Luftschläge gegen das Assad-Regime ankündigte, diese dann aber nicht ausführte. Obama sagte damals: «Ich habe die letzten viereinhalb Jahre darauf verwendet, Kriege zu beenden – und nicht neue Kriege zu beginnen.» Das gilt noch immer. Auch nach seiner Rede in der letzten Nacht. Obama will der Präsident des Rückzugs sein, des Restraint. «Wir können nicht alles Böse in der Welt auslöschen», sagte er. Amerika sieht er offenbar eher als Feuerwehr denn als Weltpolizist. Von Krieg soll keinesfalls die Rede sein. Obama müht sich, die bisher mehr als 150 Luftschläge im Irak, die künftigen in Syrien sowie die angestrebte Allianz der IS-Gegner in seinen bisherigen Anti-Terror-Kampf einzuordnen: So habe man ja schon all die Jahre erfolgreich agiert, etwa im Jemen oder in Somalia.
Obama ist der Mann des Schattenkriegs. Luftschläge, Drohnen, Spezialeinheiten. Gerade in der letzten Woche meldeten die Amerikaner das Ableben von Ahmed Abdi Godane, des Anführers der islamistischen Schabab-Miliz, getötet bei einem US-Luftangriff in Somalia. Obama erwähnt das bezeichnenderweise in den ersten Minuten seiner Rede. Keinesfalls will sich der US-Präsident in ein Wir-gegen-die-Schema pressen lassen: die USA gegen das Böse der Welt. Einen globalen, unilateralen Krieg gegen den Terror à la George W. Bush will Obama nicht führen. Bezeichnend, dass Obama am Ende seiner Rede auf Optimismus macht, tatsächlich von starker US-Wirtschaftskraft und Arbeitsplätzen spricht.
Es geht ihm eben mehr um Nation-Building daheim als um kriegerische Verwicklung an fernen Orten.