Israel
Naher Osten

Das zynische Spiel mit der Feuerpause

Beide Seiten - Israel und die Hamas - haben im Verlauf des Tages einseitige Waffenruhen verkündet .
Beide Seiten - Israel und die Hamas - haben im Verlauf des Tages einseitige Waffenruhen verkündet .Bild: RONEN ZVULUN/REUTERS
Krieg in Gaza

Das zynische Spiel mit der Feuerpause

Zu Beginn des wichtigsten islamischen Festes sind im Gazastreifen 200'000 Menschen auf der Flucht. 1,2 Millionen haben keinen sicheren Zugang zu Trinkwasser. Trotzdem passt Israel und der Hamas eine Waffenpause nicht ins Kalkül.
27.07.2014, 21:4327.07.2014, 22:23
christoph sydow, tel aviv
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Ein Artikel von
Spiegel Online
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Dieser Sonntag hat der langen Geschichte des Nahost-Konflikts ein neues, irrwitziges kleines Kapitel hinzugefügt. Beide Seiten – Israel und die Hamas – haben im Verlauf des Tages einseitige Waffenruhen verkündet – mit dem Ergebnis, dass die Kämpfe am Nachmittag unvermindert weitergingen.

Zunächst hatte Israel kurz nach Mitternacht eine 24-stündige Feuerpause bis Sonntagabend verkündet. Davon wollte die Hamas aber nichts wissen und feuerte in den Morgenstunden mehrere Raketen auf Ortschaften im Süden Israels ab. Daraufhin nahm die israelische Armee ihre Militäroperation im Gazastreifen wieder auf.

«In Anbetracht der Lage unserer Bevölkerung sowie aus Anlass des Endes des Fastenmonats sind alle Fraktionen des Widerstands übereingekommen, eine 24-stündige Feuerpause zu unterstützen.»
Hamas-Sprecher Sami Abu Suhri

Am Mittag dann der plötzliche Sinneswandel der Hamas. Die palästinensischen Extremisten erklärten sich nun doch zu einer eintägigen Waffenruhe bereit. «In Anbetracht der Lage unserer Bevölkerung sowie aus Anlass des Endes des Fastenmonats sind alle Fraktionen des Widerstands übereingekommen, eine 24-stündige Feuerpause zu unterstützen», sagte Hamas-Sprecher Sami Abu Suhri.

Die Hamas kalkuliert mit zivilen Opfern im Gazastreifen

Doch darauf wollte Israel nun nicht mehr eingehen. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu lehnte nun eine Waffenruhe ab. Die Islamisten hätten bewiesen, dass ihren Zusagen nicht zu trauen sei. «Die Hamas hält sich noch nicht einmal an ihre eigene Feuerpause. Sie beschießen uns sogar, während wir hier miteinander sprechen», sagte der Premier am Nachmittag in einem CNN-Interview.

Premier Benjamin Netanjahu. 
Premier Benjamin Netanjahu. Bild: Dan Balilty/AP/KEYSTONE

So geht dieser Krieg in seine vierte Woche. Mehr als tausend Palästinenser sind den israelischen Angriffen im Gazastreifen zum Opfer gefallen, Israel beklagt insgesamt 46 Tote. Nach Angaben der Uno sind innerhalb des Gazastreifens 200'000 Menschen auf der Flucht, mindestens 25'000 Palästinenser haben ihr Zuhause ganz verloren, weil ihre Häuser im Krieg zerstört wurden. 1,2 Millionen Menschen haben gar keinen oder nur begrenzten Zugang zu Trinkwasser.

Den Hamas-Führern scheint das egal zu sein. Sie lassen weiter Raketen auf Israel abfeuern. Die zivilen Opfer unter der eigenen Bevölkerung, die jeder weitere Kriegstag fordert, kalkulieren sie bewusst mit ein. Die Extremisten wissen, dass mit der wachsenden Zahl Toter im Gazastreifen der diplomatische Druck auf Netanjahu steigt, einem Waffenstillstand zuzustimmen.

27. Juli, Gaza Stadt.Bild: AFP

Grosse Mehrheit der Israelis ist gegen einen Waffenstillstand

Doch Israel sieht seine wichtigsten Kriegsziele noch nicht erreicht. Nach Angaben der Armee existieren unter der Grenze zwischen palästinensischem Gebiet und Israel noch immer zahlreiche Tunnel, die zerstört werden müssten. Ausserdem hat Netanjahu wiederholt die Demilitarisierung des Gazastreifens zum Ziel der Militäroffensive "Fels in der Brandung" ernannt. Die Entwaffnung der Hamas und mit ihr verbündeter Truppen erscheint jedoch selbst bei einer Wiederbesetzung des Küstenstreifens als unlösbare Aufgabe - und Netanjahu hat eine dauerhafte Präsenz seiner Truppen in Gaza kategorisch ausgeschlossen.

Nach Angaben der israelischen Armee existieren unter der Grenze zwischen palästinensischem Gebiet und Israel noch immer zahlreiche Tunnel, die zerstört werden müssten. 
Nach Angaben der israelischen Armee existieren unter der Grenze zwischen palästinensischem Gebiet und Israel noch immer zahlreiche Tunnel, die zerstört werden müssten. Bild: Tsafrir Abayov/AP/KEYSTONE

Im Gegenzug für eine Demilitarisierung Gazas stellte der israelische Premier vage «soziale und wirtschaftliche Erleichterungen» für die 1,8 Millionen Palästinenser in Aussicht. Ob damit eine Aufhebung der seit 2007 geltenden Blockade des Gebiets gemeint ist, liess Netanjahu offen. Das Ende eben dieser Abriegelung durch Israel und Ägypten ist eine der Bedingungen der Hamas für einen dauerhaften Waffenstillstand.

Jetzt auf

Nur ist die Bereitschaft in der israelischen Öffentlichkeit für ein Entgegenkommen kaum vorhanden. In den Nachrichten laufen immer wieder die Bilder der von der Hamas errichteten Tunnel. Das Labyrinth der Gänge zieht sich über Kilometer, die Tunnel sind mit dicken Betonwänden verkleidet. «Sie hätten mit dem geschmuggelten Zement lieber Häuser und Schulen bauen sollen als Tunnel, um uns anzugreifen», kommentiert der Nachrichtensprecher. Deshalb ist die Unterstützung für den Kriegskurs der Regierung weiter gross. Laut einer am Sonntag veröffentlichten repräsentativen Umfrage lehnen 86,5 Prozent der Israelis ein Kriegsende zum jetzigen Zeitpunkt ab.

So geht das Leiden der Menschen im Gazastreifen weiter. Am Sonntagabend verkündeten islamische Geistliche, dass die Neumondsichel gesichtet worden sei. Das bedeutet, dass der Ramadan vorbei ist und am Montag Eid al-Fitr gefeiert wird - das Fest des Fastenbrechens. Eigentlich werden zu diesem Anlass Festessen bereitet und die Kinder beschenkt. Für die meisten Menschen in Gaza wird es einfach nur ein weiterer Tag ohne Hoffnung auf Besserung.

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