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Naher Osten

Will Israel die Hamas vernichten? Fragen und Antworten zum Gaza-Konflikt

Palästinenser bergen den Leichnam einer Frau aus einem zerstörten Haus in Gaza.Bild: EPA
Blutvergiessen ohne Ende

Will Israel die Hamas vernichten? Fragen und Antworten zum Gaza-Konflikt

21.07.2014, 17:0922.07.2014, 15:29
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Im Nahost-Konflikt sprechen wieder einmal die Waffen. Ein Frieden zwischen Israel und den Palästinensern, geschweige denn eine Zweistaaten-Lösung, scheinen ferner denn je. Wie kam es zur Eskalation. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Was war der Auslöser der aktuellen Krise?

Am 12. Juni wurden drei israelische Teenager entführt, die in einer Siedlung im Westjordanland lebten. Die israelische Regierung machte die radikal-Islamische Palästinenserorganisation Hamas für die Tat verantwortlich. Hamas wies die Anschuldigungen zurück und begann, aus dem Gazastreifen Raketen auf Israel abzufeuern. Einige Geschosse erreichten Tel Aviv und Jerusalem, die meisten wurden durch das Abwehrsystem Iron Dome zerstört. Israel antwortete mit Luftangriffen auf Ziele im Gazastreifen.

Israelische Flagge mit einem Bild der drei getöteten Teenager.
Israelische Flagge mit einem Bild der drei getöteten Teenager.Bild: ABIR SULTAN/EPA/KEYSTONE

Am 30. Juni wurden die Leichen der drei Männer gefunden, unweit der Stelle, an der sie zuletzt gesehen wurden. Zwei Tage später töteten drei jüdische Extremisten einen 16-jährigen Palästinenser, vermutlich aus Rache für den Tod der Teenager. Am 8. Juli startete Israel die Operation «Schutzrand» mit dem Ziel, den Raketenbeschuss dauerhaft zu stoppen. 40'000 Reservisten wurden mobilisiert. Nach einem vereitelten Angriff von militanten Palästinensern, die durch einen Tunnel nach Israel eingedrungen waren, begann am 18. Juli die Bodenoffensive der israelischen Armee im Gazastreifen.

Welches Ziel verfolgt Israel?

«Anhaltende Ruhe». So umschrieb es Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in einem Interview mit der CNN am Sonntag. Sein Ziel ist nicht nur die Zerstörung des Raketenarsenals von Hamas, sondern auch des weit verzweigten Bunker- und Tunnelsystems, das die Organisation im Gazastreifen angelegt hat. Dort soll sich die Hamas-Führung versteckt halten, von dort sollen auch Raketen abgeschossen worden sein. Mehrere Tunnels führen auf israelisches Gebiet. Am Samstag und Montag versuchten erneut Kämpfer auf diesem Weg nach Israel zu gelangen.

Israelische Panzer auf dem Weg Richtung Gaza.Bild: EPA

Ein Sturz der Hamas-Regierung ist hingegen nach Ansicht von Experten nicht das Ziel der israelischen Offensive. Die Hamas solle spürbar geschwächt, aber nicht vernichtet werden. Israel fürchtet, dass noch radikalere Elemente die Macht übernehmen könnten, etwa Ableger der Terrororganisation IS (Ex-Isis). Auch eine Wiederbesetzung des 2005 geräumten Gazastreifens, die von den rechten Hardlinern im Kabinett gefordert wird, dürfte kein Thema sein. Allerdings drückte sich Netanjahu im CNN-Interview um eine klare Antwort auf diese Frage herum.

Was beabsichtigt die Hamas?

Die radikal-islamische Organisation ist in letzter Zeit in die Defensive geraten. Ihre Exil-Führung wurde aus Syrien vertrieben und hat sich in Katar niedergelassen. Auch mit ihrem wichtigsten Financier Iran hat sie es sich verscherzt. Ein schwerer Schlag waren auch der Sturz des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi und das Verbot der Muslimbrüder. Der neue Staatschef Abdul Fattah al-Sisi fährt eine harte Linie gegenüber Hamas. Er liess den Grenzübergang Rafah schliessen und die meisten Schmuggel-Tunnels in den Gazastreifen zerstören.

Ägyptische Soldaten bewachen den Grenzübergang Rafah.
Ägyptische Soldaten bewachen den Grenzübergang Rafah.Bild: IBRAHEEM ABU MUSTAFA/REUTERS

Die Hamas geriet dadurch finanziell in die Klemme, sie kann die Löhne ihrer Beamten nicht mehr bezahlen. Die Unruhe in der Bevölkerung wuchs. Mit der Eskalation im Konflikt mit Israel hofft Hamas, von der Misere ablenken und die Reihen wieder hinter sich schliessen zu können. Ausserdem will sie Ägypten unter Druck setzen. Als Gegenleistung für einen von Kairo ausgehandelten Waffenstillstand soll zumindest der Grenzübergang Rafah wieder geöffnet werden.

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Wie lange wird die Offensive andauern?

Benjamin Netanjahu hat die Israelis auf eine längere Operation eingeschworen. Es könnten noch «schwere Tage» bevorstehen, sagte er am Sonntag. Bislang kamen 18 israelische Soldaten und zwei Zivilisten ums Leben. Auf palästinensischer Seite starben mehr als 500 Personen, vorwiegend Zivilisten. Mit der wachsenden Opferzahl wird der internationale Druck auf Israel zunehmen. Verteidigungsminister Mosche Jaalon deutete am Montag an, die Operation in Gaza könne in zwei bis drei Tagen beendet sein.

Warum kommt es nicht zu einem Waffenstillstand?

Israel hat letzte Woche einen Vorschlag Ägyptens für eine Waffenruhe akzeptiert, doch Hamas lehnte ihn ab. Die Situation der radikal-islamischen Organisation ist so schlecht, dass sie kaum noch etwas zu verlieren hat. Sie will Israel und Ägypten mit Gewalt dazu zwingen, die Blockade des Küstenstreifens aufzuheben.

UNO-Generalsekretär Bank Ki Moon trifft Palästinenserpräsident Mahmud Abbas.
UNO-Generalsekretär Bank Ki Moon trifft Palästinenserpräsident Mahmud Abbas.Bild: Getty Images Europe

In den letzten Tagen wurden die Vermittlungsbemühungen intensiviert. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas bemüht sich um eine Waffenruhe, ebenso UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon. US-Aussenminister John Kerry reist ebenfalls in die Region. Am Ende dürfte die Hamas einwilligen, bevor es wirklich eng wird. Auch das gehört zur abstrusen «Logik» dieses Konflikts: Die Waffen werden nur bis zur nächsten Eskalation schweigen.

Wieso leidet die Zivilbevölkerung?

Der Gazastreifen gehört zu den am dichtesten besiedelten Gebieten der Welt. Israel beschuldigt die Hamas, die Bewohner als Schutzschilde einzusetzen und ihre Raketen in der Nähe von Spitälern und Kindergärten zu verstecken. Das Gaza-Stadtviertel Sadschaija, in dem am Wochenende die heftigsten Gefechte stattfanden, sei eine «Hochburg der Hamas». Im Gegensatz zu dieser warne man die Zivilbevölkerung, wenn ein Angriff bevorstehe, betonte die Armee. Sie errichtete am Sonntag ein Feldlazarett für Palästinenser beim Grenzübergang Eretz.

Ein verwundetes Kind wird im Schifa-Spital in Gaza-Stadt eingeliefert.Bild: AFP

«Hamas nimmt gezielt Zivilisten ins Visier und versteckt sich gezielt hinter Zivilisten», sagte Ministerpräsident Netanjahu im Interview mit CNN. Dennoch nimmt die Kritik an Israel zu, je mehr Frauen und Kinder getötet werden. US-Präsident Barack Obama äusserte sich am Sonntag beunruhigt über die hohe Zahl der Opfer, billigte Israel jedoch das Recht auf Selbstverteidigung zu. Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan dagegen verglich die Hardliner in Israel sogar mit Adolf Hitler.

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Wie weiter nach einer Waffenruhe?

Der «Status Quo» im Konflikt zwischen Israel und Hamas hat in der Vergangenheit stets dazu geführt, dass es nach einer Zeit relativer Ruhe erneut zu einer Eskalation kam. Derzeit deutet alles auf eine ähnliche Entwicklung hin, ausser die Hamas wird durch gemässigtere Kräfte ersetzt, oder sie anerkennt das Existenzrecht Israels und verhandelt mit der Regierung. Beides ist wenig wahrscheinlich.

Einen interessanten Ansatz skizziert Michael Oren, der ehemalige israelische Botschafter in Washington. Er schlägt eine Lösung vor, die jener für die syrischen Chemiewaffen entspricht. Die Raketen der Hamas würden unter internationaler Aufsicht abtransportiert und zerstört. Im Gegenzug könne Israel die Gaza-Blockade lockern, was der Wirtschaft zu einem Aufschwung verhelfen und «den Friedensprozess wieder ankurbeln könnte». Allerdings: In diesem Konflikt hat es an Ideen nie gemangelt. Das Problem ist der fehlende Wille zur Umsetzung.

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