Interview
Guhl verteidigt Türkei-Tweet: "Wer ein solches System unterstützt, soll auch darunter leben"

BDP-Nationalrat Bernhard Guhl hat nach der Abstimmung in der Türkei mit einem Aufruf an die Schweizer Türken, die für Erdogans Reform gestimmt haben, Aufsehen erregt. Gegenüber der az nimmt er Stellung zu seiner brisanten Forderung.

Patrik Müller
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Bernhard Guhl verteidigt seinen scharfen Tweet zum Referendum in der Türkei. (Archiv)

Bernhard Guhl verteidigt seinen scharfen Tweet zum Referendum in der Türkei. (Archiv)

Sandra Ardizzone

Herr Guhl, Sie rufen die Türken, die für Erdogan gestimmt haben, auf, in ihre Heimat zurückzukehren. Warum dieser drastische Appell?

Bernhard Guhl: Wer in der Schweiz lebt, konnte sich wesentlich neutraler über die Abstimmungsvorlage und deren Auswirkungen informieren. Wenn man dann dennoch ein solches Präsidialsystem unterstützt, in dem ein Präsident derart viel Macht erhält, dann soll man so konsequent sein und auch unter diesem System im eigenen Land leben. Ich erachte es als unfair gegenüber der Bevölkerung in der Türkei, über seine Stimme dazu beizutragen, dass sie unter einer solchen Machtkonzentration zu leben hat, selbst aber die Demokratie und Medienfreiheit der Schweiz zu geniessen.

Wo bleibt Ihre Toleranz? Die Meinungsfreiheit gilt in der Schweiz für alle, auch für die 38 Prozent Türken, die "Ja" gestimmt haben.

Hier muss ich vorwegschicken, dass ich davon ausgehe, dass dieses Resultat nicht rechtmässig ist. Die Meinungsfreiheit, wie wir sie in der Schweiz kennen, war nicht gegeben. Unliebsame Medienschaffende und Oppositionspolitiker wurden mundtot gemacht, des Landes verwiesen oder eingesperrt. Wahlbeobachter wurden an ihrer Arbeit behindert, Stimmzettel ohne Stempel zugelassen. Ich verstehe die Wut unter all jenen, welche sich echte Demokratie und Gewaltenteilung wünschen. In meinem Aufruf-Tweet habe ich denn auch explizit geschrieben, dass diese Leute doch freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren sollen. Das ist keine absolute Forderung.

SP-Nationalrat Cédric Wermuth reagierte empört auf Ihren Aufruf und twitterte: "Aber sonst gehts dir noch gut?"

Meine Antwort auf Twitter dazu war: "Ich sag freiwillig. Wenn sie so stimmen, sollen sie so leben. Und nicht hier in Sicherheit und Medienfreiheit. Meine Meinung. Punkt." Die Antwort gilt immer noch.

In der Deutschschweiz stimmte nur eine Minderheit der Türken für die Verfassungsänderung. In der Westschweiz war es eine Mehrheit. Woher dieser Unterschied?

Generell kann gesagt werden, dass in Ländern, wo die Ausländer gut integriert werden, der Nein-Anteil wesentlich grösser war. In Ländern, wo sie in Quartieren unter sich leben, also weniger integriert sind und Parallelgesellschaften bilden, war der Ja-Anteil höher. Vermutlich hatte der grössere Ja-Anteil in Frankreich einen Einfluss.

Welche Folgen erwarten Sie vom türkischen Referendum für die Schweiz?

Sofortige Folgen für die Schweiz sehe ich keine. Ich gehe aber davon aus, dass weniger Touristen in die Türkei reisen werden. Dies wird eine natürliche Reaktion sein, welche die türkische Tourismusbranche deutlich spüren wird. Es gilt abzuwarten, was weiter geschieht. Wird die Abstimmung angefochten? Wie gehen die Behörden damit um? Sollte die Zustimmung offiziell sein, gibt es weitere Fragen: Wie geht Erdogan mit dem Sieg um? Ist sein Machthunger gestillt oder wird er weiter gehen? Werden verhaftete Journalisten freigelassen? Wie werden Minderheiten und Oppositionspolitiker behandelt?

Wenn die Türkei die Todesstrafe wieder einführt, wie von Erdogan angekündigt: Sollte die offizielle Schweiz darauf reagieren?

Die Schweiz müsste die Einführung der Todesstrafe scharf verurteilen. Ein solcher Rückschritt würde das Verhältnis zur Schweiz, aber auch zu Europa schwieriger machen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt würde ich auch damit rechnen, dass europäische Unternehmen mit Niederlassungen in der Türkei ihre Standortwahl überdenken könnten.

Abstimmung in der Türkei
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Erdogan-Anhänger feiern in den Strassen von Istanbul
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Staatschef Erdogan in der Wahlkabine
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Erdogan beim Bad in der Menge.
Millionen Türken sind zur Stimmabgabe aufgerufen.
Premierminister Binali Yldirim bei der Stimmabgabe.
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Abstimmung in der Türkei

TUMAY BERKIN

Das Interview wurde schriftlich geführt.