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Letzten Samstag wurde Kinderarzt Markus Wopmann zum Aargauer des Jahres gewählt. Seit 30 Jahren engagiert er sich für den Schutz misshandelter Kinder. Im Gespräch bei Talk Täglich lässt er die Momente nach seiner Wahl Revue passieren und spricht über die schlimmsten Misshandlungsfälle, die er je erlebte.
Kinderarzt Markus Wopmann (62) gewann mit mehr als 50 Prozent aller Stimmen und einem enormen Vorsprung gegenüber den anderen beiden Kandidaten. Jetzt darf er seit rund einer Woche den Titel Aargauer des Jahres tragen, was immer noch sehr ungewohnt für ihn sei: "Manchmal zucke ich noch zusammen, wenn das jemand sagt. Aber es ist natürlich ein schönes Gefühl", sagt Wopmann im Talk Täglich von Tele M1.
Als er am Samstag auf der Bühne stand, nur noch wenige Sekunden vor der Entscheidung, sei sein Selbstvertrauen im Keller gewesen. Er habe sich Gedanken gemacht, wie er reagieren solle, wenn sein Name nicht fallen würde. Dann, als der Moment kam und Wopmann als Aargauer des Jahres gekürt wurde, sei er erlöst worden.
Minutenlange stehende Ovationen begleiteten Wopmanns Wahl – zuerst habe er das gar nicht bemerkt: "Das war ein sehr schöner Moment." In der ersten Nacht als Aargauer des Jahres habe Wopmann schlecht geschlafen. "Wir sind erst um zwei Uhr morgens ins Bett, ich hatte so viele Gedanken im Kopf – schöne Gedanken."
Warum er so deutlich gewonnen habe, könne er sich nicht erklären. "Es ist sicher die Arbeit mit Kindern, die einen Bonus einbringt. Vor allem weil die Kinder Negatives erleben und es die Menschen in der Region betrifft", mutmasst Wopmann. Ein weiterer Punkt sei, dass er sich seit rund 30 Jahren für den Kinderschutz engagiert und dadurch auch einen gewissen Bekanntheitsgrad im Aargau erreicht habe.
Nach seiner Wahl habe er viele positive Rückmeldungen bekommen. "Viele gratulieren mir per SMS und per Mail, aber ich habe auch einige Briefe bekommen." Besonders gefreut habe er sich darüber, dass auch der Schweizer des Jahres ihm gratulierte. "Er ist ein Berufskollege von mir, auch ein Kinderarzt. Das hat mich natürlich sehr geehrt."
Den NAB-Award stellt Wopmann wahrscheinlich im Kantonsspital Baden (KSB) auf. "Der Preis gehört nicht nur mir, sondern auch meinen Mitarbeitenden. Sie tragen genauso zum Erfolg bei, ich allein könnte das alles nicht machen." In seinem Alltag als Kinderarzt und Leiter der Kinderschutzgruppe im KSB kümmert er sich beispielsweise um die medizinische Betreuung von Frühgeborenen. Rund ein Drittel seiner Arbeit drehe sich aber um Kinder, die Gewalt erlebt haben.
1991 gründete der Arzt die Badener Kinderschutzgruppe. Der Auslöser für sein Engagement war ein Erlebnis, das sich auf einer Intensivstation in Zürich abspielte. Dort wurde ein Kind aus dem Aargau eingeliefert. Wopmann war damals Assistenzarzt, hatte «keine Ahnung vom Thema Kindesmisshandlung».
Doch dieses Kind hatte so starke Verletzungen, die nur von einer Gewalteinwirkung herrühren konnten. Am nächsten Tag sei es gestorben. Auch ein zweites Erlebnis hat sich in Wopmanns Gedächtnis eingebrannt: "Ein Kind lebte bei Pflegeeltern, die es misshandelten – obwohl sie sich eigentlich kümmern sollten." Diese Erfahrungen machte Wopmann im Kantonsspital in Zürich, das schon damals eine Kinderschutzgruppe hatte. Als der Arzt nach Baden wechselte, dachte er, dass das Thema Kinderschutz nicht an den Kantonsgrenzen hängenbleiben dürfe.
Auf Missbrauchsfälle aufmerksam wird Wopmann durch mehrere Szenarien: "Wenn ein Kind wegen irgendeines Unfalls eingeliefert wird, muss man hinterfragen, ob es sich die Verletzungen wirklich so zugezogen hat, wie es die Eltern schildern. Das betrifft vor allem den Bereich der körperlichen Misshandlung." Die Kinderschutzgruppe wird auch von Schulen genutzt – fast jeden Tag gehen neue Meldungen ein.
"Dann beraten wir die Betreuer oder sagen gleich, sie sollen das Kind vorbeibringen – ohne das Wissen der Eltern." Das sei hart, denn grundsätzlich solle man als Arzt vertrauen, so Wopmann. "Doch auch wenn mir die Mutter oder der Vater sympathisch ist, muss ich objektiv bleiben. Eltern, die ihre Kinder misshandeln, sind nicht offensichtlich böse Menschen."
Bei der Diagnose Kindesmisshandlung überlege sich das Team zuerst, die Situation mit der Familie zu klären. "Oder wir melden den Fall der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde." Auch Strafanzeigen werden erhoben, ohne die Eltern im Vorfeld darüber zu informieren. "Sie könnten sich absprechen oder Beweismittel verschwinden lassen." Pro Jahr komme es zu fünf bis zehn Strafanzeigen.
Wopmann hat in seinem Alltag aber nicht nur mit physischer Gewalt zu tun, sondern auch mit psychischer. "Wenn die Polizei einen Einsatz wegen häuslicher Gewalt führt, bekommen wir automatisch eine Meldung, wenn sich Kinder in der betroffenen Familie befinden." Das komme fünf- bis achtmal pro Woche vor.
"Häufig sind die Kinder nicht direkt betroffen, sondern erleben die Gewalt mit. Vielleicht sind es die Kinder, die die Polizei anrufen, intervenieren oder aufgewühlt sind, weil sie denken, dass ihre Mutter umgebracht werde." Dann müsse die Kinderschutzgruppe beurteilen, ob das Kind psychologische Betreuung benötige. "Leider können wir nicht allen helfen, soziale Missstände, finanzielle Nöte nicht verbessern oder Suchtprobleme lösen."
Was Wopmann täglich bei seiner Arbeit erlebt, beschäftigt ihn auch in seiner Freizeit. "Mit der Hilfe meiner Frau und meiner beiden Söhne kann ich abschalten. Sie stabilisieren mich und geben mir Kraft, weiter zu arbeiten." Sein erster Fall war sein schlimmster. Aber vor nicht allzu langer Zeit sei auch ein Kind im KSB an den Folgen von Gewalteinwirkung gestorben. "Da macht man sich natürlich Gedanken, ob man im Vorfeld irgendein Zeichen übersehen hat." Auch bei Kindern, die stark unter der Trennung der Eltern leiden, finde man oft keine gute Lösung. "Es ist der Situation hilflos ausgeliefert."
Ab und an habe Wopmann noch Kontakt mit Kindern, die er einmal behandelt oder betreut hat. "Einige haben unterdessen schon selber Nachwuchs und sind sehr glücklich, dass man ihnen hat helfen können."