Auschwitz-Vergleich
Jonas Fricker von Emotionen getrieben: «Ich möchte den Holocaust nicht relativieren»

Er hat Schweine- mit Judentransporten verglichen. Im Interview beteuert der Aargauer Grünen-Nationalrat Jonas Fricker, dass er die antisemitische Interpretation seiner Aussage nicht auf dem Radar gehabt habe und gibt zu, manchmal zu wenig nachzudenken.

Dennis Bühler
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Jonas Fricker

Jonas Fricker

Chris Iseli

Herr Fricker, Sind Sie Antisemit?

Jonas Fricker: Nein. Ich habe alle Menschen gerne.

Sie verglichen gestern im Parlament die Deportation von Juden mit dem Transport von Schweinen. Wie kamen Sie auf diesen Vergleich?

Am Mittwochabend sah ich eine TV-Dokumentation über den Massentransport von Schweinen. Dies weckte bei mir Assoziationen zum Film «Schindlers Liste», der die Massendeportationen nach Auschwitz thematisiert.

Wortwörtlich sagten Sie: «Die Menschen, die dort deportiert wurden, hatten eine kleine Chance zu überleben. Die Schweine fahren in den sicheren Tod.» Ist Ihnen klar, dass dies als Relativierung des Holocausts verstanden werden kann?

Ja, das ist mir im Nachhinein klar geworden. Ich bedauere diesen Vergleich zutiefst. Mir ging es um die schreckliche Art der Tier-Transporte. Diese haben mich emotional berührt.

Sie lasen Ihr Votum im Parlament von einem Blatt ab. Hatten Sie den Vergleich vorbereitet?

Wie gesagt, hatte ich die Assoziation am Mittwochabend, als ich den Dokumentarfilm schaute. Im meine Notizen, die mir als Stütze für meine Rede dienten, stand an jener Stelle der Vermerk: «Vergleich mit Film».

Mit anderen Worten: Der Vergleich war kein spontaner Einfall.

Nicht spontan am Rednerpult, aber spontan beim Filmschauen. Und er blieb zu meinem Bedauern unreflektiert. Ich war von Emotionen getrieben und sah nur die auswegslose Situation der Schweine. Meine Aussage war in keinster Weise als Verharmlosung des Holocaust gemeint. Unmittelbar nach meinem Fauxpas habe ich mich entschuldigt bei Josef Bollag, dem Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Baden, und Jonathan Kreutner, dem Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes.

Sie entschuldigten sich einige Minuten nach Ihrer Rede auch am Nationalratspult. Weil die Parteispitze Sie dazu gedrängt hat?

Nein, mich hat niemand gedrängt. Fraktionschef Balthasar Glättli machte mich auf meinen Fauxpas aufmerksam. Erst da fiel bei mir der Groschen, dass man das antisemitisch verstehen könnte. Es ist mir wichtig, klar festzuhalten: Ich möchte den Holocaust nicht relativieren – im Gegenteil.

Glättli und Grünen-Präsidentin Regula Rytz haben sich klar von Ihnen distanziert. «Dieser Vergleich widerspricht den Grundwerten unserer Partei fundamental», sagen sie. Haben Sie den Rückhalt in Ihrer Partei verloren?

Nein, das glaube ich nicht. Aber ich kann ihre Reaktion nachvollziehen – ich distanziere mich ja selber ebenfalls von meiner Aussage. Wenn ich sie nun reflektiere, muss ich sagen: Die antisemitische Interpretation hatte ich nicht auf dem Radar. Diese widerspricht den Werten diametral, die ich vertrete.

Sind Sie einfach grenzenlos naiv?

Naiv bin ich zuweilen tatsächlich. Ich bin ein emotionaler Mensch, der manchmal spricht, ohne genügend darüber nachzudenken, wie etwas auch noch verstanden werden könnte.

Mit Ihrer Rede wollten Sie eine Lanze für das Tierwohl brechen. Sind Sie ein Tierrechts-Fundamentalist?

Nein, aber Säugetiere als empfindungsfähige und soziale Wesen sind für mich schutzwürdig und ich fühle stark mit ihnen mit. Es stört mich, wie unwürdig wir Menschen mit Tieren umgehen.

Sind Sie religiös?

Als religiös würde mich nicht bezeichnen, ich bin jedoch spirituell. Gegenüber Religionen bin ich unvoreingenommen: Ich schätze sie als haltgebende Elemente und bin der Ansicht, sie erfüllten in unserer Gesellschaft eine wichtige Funktion.

Sie sind im Patronatskomitee des Projektes «Doppeltür», welches an die 250 Jahre dauernde christlich-jüdische Symbiose in den aargauischen Dörfern Endingen und Lengnau erinnern möchte. Sind Sie in dieser Funktion noch tragbar?

Noch einmal: Ich hatte keine Absicht, jemanden zu verletzen, bereue die Aussage und entschuldige mich in aller Form dafür. An meiner Unterstützung für die jüdische Erinnerungskultur ändert sich dadurch nichts.