Bildung
Lehrermangel: Primarschulen suchen dringend Männer

Schulen haben auf tieferen Stufen Mühe, passende Lehrer zu finden. Jetzt sollen Männer in die Bresche springen.

Yannick Nock
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Ein seltener Anblick: Männer, die Mädchen und Buben im Kindergarten betreuen. Künftig sollen es mehr sein.

Ein seltener Anblick: Männer, die Mädchen und Buben im Kindergarten betreuen. Künftig sollen es mehr sein.

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Während die meisten Kinder die Sommerferien geniessen, beschäftigen sich die Schulleiter seit Wochen mit der Zeit danach – nicht ohne Schwierigkeiten. Noch immer beklagen die Verantwortlichen einen akuten Lehrermangel. Je nach Schulstufe und Fachrichtung war es alles andere als einfach, passendes Personal zu finden. Das zeigt eine Umfrage der «Nordwestschweiz» unter den kantonalen Schulleiterverbänden.

Besonders die tieferen Stufen sind betroffen. Gemäss Philipp Grolimund, Co-Präsident des Aargauer Schulleiterverbands, hat die Hälfte der Schulen Schwierigkeiten, eine Stelle im Kindergarten zu besetzten. Ähnlich klingt es in Zürich, St. Gallen, Luzern oder Graubünden. Es mangelt trotz neu ausgebildeten Pädagogen und Quereinsteigern an Personal. Das liegt auch daran, dass in den vergangenen Jahren viele Lehrer das Pensionsalter erreicht haben und die Schülerzahlen wieder steigen.

Wie eine interne, bisher unveröffentlichte Umfrage des nationalen Schulleiterverbands zeigt, betrifft das Problem alle Kantone. Hunderte Kindergärten und Schulen wurden bei der Erhebung berücksichtigt. «Dauerbrenner beim Mangel sind spezifische Fachkräfte wie schulische Heilpädagoginnen und -pädagogen sowie Kindergartenlehrpersonen», schreibt der Verband auf seiner Homepage (mehr dazu hier). Für knapp einen Drittel der Befragten sei die Situation «kritisch», für manche gar «schwierig bis hoffnungslos», in diesen Stufen eine freie Stelle zu besetzen.

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Keine einzige Bewerbung

Festgefahrene Geschlechterrollen befeuern das Problem in den unteren Stufen. Kurz: Es fehlen Männer. Die Kleinsten werden fast ausschliesslich von Frauen betreut. «In meinen knapp zehn Jahren als Schulleiterin habe ich keine einzige Bewerbung eines Mannes für eine Kindergarten-Stelle erhalten», sagt Ursina Patt, Präsidentin des Verbands Schulleiterinnen und Schulleiter Graubünden. In der Unterstufe sei der Mangel weniger akut, aber dennoch ein Thema. Das überwiegend weibliche Schulteam wendet sich oft mit der Bitte an Patt, sie möge eine freie Stelle doch mit einem Mann besetzen. Rainer Elster, Vizepräsident des St. Galler Schulleiterverbandes, doppelt nach: «Es gibt Kinder, die vom Kindergarten bis zur Oberstufe fast nur von Frauen unterrichtet wurden», sagt er. Reine Frauensache also. Aber nicht mehr lange.

Der Verein «Männer an die Primarschule» will die Quote in den unteren Stufen erhöhen, vom Kindergarten bis in die 6. Klasse. Zurzeit laufen vier Projekte, die bis 2018 abgeschlossen werden. Es geht darum, Männer von den Chancen und Vorteilen der tieferen Stufen zu überzeugen. So bieten die Pädagogischen Hochschulen Zürich und Zug spezielle Schnuppertage für interessierte Männer an. Dabei können sie sich am Unterricht beteiligen oder die Lehrer über den Beruf ausfragen. Das soll vor allem Quereinsteiger ansprechen.

«Wir müssen die Vorurteile gegen Männer überwinden», sagt Lisa Lehner, Schulleiterin und Vorstand im Verein «Männer an die Primarschule».

«Wir müssen die Vorurteile gegen Männer überwinden», sagt Lisa Lehner, Schulleiterin und Vorstand im Verein «Männer an die Primarschule».

Emanuel Freudiger

Auch der Bund unterstützt die verschiedenen Projekte. Das Büro für Gleichstellung zahlt eine halbe Million Franken. Denn letztlich kämen mehr Männer auch den Kindern zugute. «Buben und Mädchen profitieren von Bezugspersonen beider Geschlechter», sagt Lisa Lehner vom Verein «Männer an die Primarschule» und Vizepräsidentin des Schweizer Schulleiterverbands.
Den Männern wurde es in den tieferen Stufen bisher nicht leicht gemacht. Sie begegnen Vorurteilen – und Eltern befürchten Übergriffe. «Männer müssen sich die Frage stellen, inwieweit kann ich ein Kind überhaupt in den Arm nehmen, um es zu trösten», sagt Lehner.

Die Angst, eines Übergriffes beschuldigt zu werden, halte viele davon ab, eine solche Stelle anzunehmen. «Diese Vorurteile müssen wir überwinden», sagt sie. Seit 1995 ist der Männeranteil der Lehrer auf der Primarstufe von 30 auf 18 Prozent gesunken. An den Kindergärten war der Anteil schon immer marginal.

Master für den Kindergarten

Wer in Zukunft die Ausbildung zum Primarlehrer oder zur Kindergärtnerin machen will, dürfte dafür mehr Zeit benötigen als bisher. Die Rektoren der pädagogischen Hochschulen erarbeiten derzeit ein neues Strategiepapier. Darin geht es um einen Ausbau des dreijährigen Bachelor-Studiengangs zu einem Masterstudium von viereinhalb bis fünf Jahren. «Die Anforderungen an die Schule nehmen zu, dem müssen wir Rechnung tragen», sagt kürzlich Hans-Rudolf Schärer, Präsident der pädagogischen Kammer beim Hochschulrektorenverband. Man wolle eine Diskussion anstossen. Die Verlängerung des Studiums würde auch den Kindergarten betreffen.
Wie sich die Neuerung auswirkt, darüber streiten sich die Experten. Höhere Hürden dürfte einige Interessenten abschrecken. Allerdings wertet ein Master das Studium auch auf, was zu mehr Lohn und mehr Anerkennung führt. Im Herbst soll das Strategiepapier vorgestellt werden. (yno)

Mehr Lohn für Primarlehrer

Dafür hat neben den Geschlechterrollen auch der Lohn gesorgt. Viele Kantone bezahlen Lehrern in der Unterstufe weniger als ihren Kollegen in den höheren Klassen, obwohl sich die Ausbildungsanforderungen angeglichen haben. Und auch zwischen den Kantonen existiert eine Lohnschere. Wer mehr bezahlt, hat weniger Mühe, freie Stellen zu besetzen. Einige Kantone, darunter der Aargau oder St. Gallen, haben deshalb angekündigt, die Löhne zu erhöhen.

Die Debatte ist nicht neu. So verlässlich wie die Schulferien im Sommer sind die Forderungen des Schweizerischen Lehrerverbandes nach mehr Gehalt. Kürzlich startete der Verband einen neuen Appell und lieferte gleich ein Lohn-Ranking der Kantone ab: Ein «Genügend» haben beide Appenzell erhalten sowie Schwyz, Uri und Wallis. Als «schlecht» beurteilt wird die Situation in den Kantonen Bern, Aargau und Schaffhausen. Die übrigen Kantone, darunter Zürich, beide Basel, St. Gallen und Luzern, haben ein «Ungenügend» erhalten. Gut abgeschnitten hat lediglich der Kanton Zug.