Kulturelle Apartheid
Schweizer Politikerin Amolo: «Weisse, hört auf, unsere Kultur zu übernehmen und damit Geld zu machen»

Die schwarze Sängerin Kelela ist Teil einer wachsenden Bewegung gegen kulturelle Aneignung. Jetzt hat sie auch die Schweiz erreicht. Die Politikerin Yvonne Apiyo Brändle-Amolo findet es problematisch, wenn weisse Musiker Blues und Jazz spielen.

Stefan Künzli
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Yvonne Brändle-Amolo
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Brändle-Amolo ist eine Weininger Künstlerin. Im Bild während der 1.-August-Feier in Oberengstringen 2015. Bundesfeier 2015 in Oberengstringen, Festrednerin ist die Weininger Künstlerin Yvonne Apiyo Brändle-Amolo
Mit ihrem Kurzfilm (Not Swiss Made) gewann sie mehrere Preise.
Yvonne Apiyo Brändle-Amolo präsentiert ihre mit menschlichem Blut bemalten Skulpturen
Zudem ist Brändle-Amolo auch Mitglied der SP. Im Bild während der Lancierung der 99%-Initiative.
SP-Lokalpolitikerin Brändle-Amolo am Spatenstich der Limmattalbahn.
2015 suchte die SRF-Sendung «Club» den «guten Schweizer». Auch Brändle-Amolo diskutierte mit. Pünktlichkeit sei für sie etwas typisch Schweizerisches, sagte sie. In der Sendung Club des Srf machte sich unter anderem Yvonne Apiyo Brändle Amolo auf die Suche nach dem guten Schweizer.

Yvonne Brändle-Amolo

David Hunziker

«Ich glaube nicht, dass Weisse meine Kunst wirklich begreifen», sagte die amerikanische Sängerin Kelela im Magazin «Rolling Stone». Als Hörer ihrer Musik sind Weisse zwar geduldet, sollen sich aber demütig zeigen. «Sie müssen wissen, dass ich meine Musik nicht für sie gemacht habe», sagt sie und richtet ihre Musik explizit an schwarze Frauen. Die über die schwarze Gemeinschaft hinaus gefeierte Sängerin ist nur das jüngste Beispiel einer wachsenden Bewegung gegen «cultural appropriation» (kulturelle Aneignung und Ausbeutung), die sich gegen «white supremacy» (weisse Vorherrschaft) richtet.

Jetzt hat die Bewegung auch die Schweiz erreicht. «Weisse, hört auf, unsere Kultur zu übernehmen und damit Geld zu machen», sagte die Zürcherin Yvonne Apiyo Brändle-Amolo, die Präsidentin der SP-MigrantInnen, gegenüber «20 Minuten». Die Politikerin mit kenianischen Wurzeln fühlt sich «ihrer eigenen Kultur beraubt» und findet es auch «problematisch, wenn Weisse Blues und Jazz» spielen. Wie bitte?

Unbestritten ist, dass afrikanisch-stämmige Musiker nach ihrer Deportation in die Neue Welt die afroamerikanischen Stilarten begründet und entscheidend zu ihrer Entwicklung beigetragen haben. Unbestritten ist aber auch, dass alle diese Stile Bastarde sind. Wunderbare Bastarde, die aus dem Zusammentreffen verschiedener Kulturkreise entstanden sind.

Dabei mag es tatsächlich als störend empfunden werden, dass Elvis Presley im Sinne dieser kulturellen Aneignung schwarzer Musik zum «King of Rock ’n’ Roll» aufgestiegen ist. Man kann auch ungerecht finden, dass der weisse Benny Goodman «King of Swing» genannt wurde, die einflussreicheren schwarzen Musiker Ellington und Basie es aber nur zum Duke resp. Count schafften. Und wie war das mit den Rolling Stones? In ihren Anfängen haben sie nichts anderes gemacht als versucht, die Musik ihrer schwarzen Idole so gut wie möglich nachzuspielen. Aber auch Adele bezieht sich heute direkt auf den afro-amerikanischen Soul.

Die Geschichte der afro-amerikanischen Musik ist voll von diesen Beispielen der «cultural appropriation». Umgekehrt haben afro-amerikanische Musik und Musiker von dieser kulturellen Aneignung auch profitiert. Blues, aus den Erfahrungen (Diskriminierung, Unterdrückung und Rassismus) der amerikanischen Schwarzen in der amerikanischen Gesellschaft entstanden, war eine Musik von Schwarzen für Schwarze. Sie trug das Etikett «Race Music». Kulturelle Vermischung, der Prozess der Akkulturation, hat den weltweiten Siegeszug des Blues, Jazz, Soul, Salsa und Hip-Hop ermöglicht. Raus aus dem Getto!

Abstrus und weltfremd

Blues und Jazz haben sich längst geöffnet, sich zu einer weltumspannenden Musik entwickelt, ohne Tradition und Wurzeln zu verleugnen. Blue Notes und afro-amerikanische Rhythmen sind in Pop, Rock, Soul und Hip-Hop eingeflossen, sind unverzichtbare, zentrale Elemente. Die Minderheiten-Musik ist zur Musik der Mehrheit geworden. Zu einer Musik für alle. Zu einer Musik, in der die Hautfarbe keine Rolle spielt.

In der Kulturwissenschaft ist man sich heute weitgehend einig, dass individuelle Identitäten bei der Entstehung von Kultur wichtiger sind als nationale Identitäten oder traditionelle Gruppenidentitäten. Der Schreibende selbst ist in der Schweiz mit Blue Notes aufgewachsen. Sie sind mir vertrauter als alpenländische Naturtonreihen, Appenzeller Zäuerli oder das exotische Alpenhorn-Fa. Blues, Soul und Jazz sind Teil meiner Identität. Einer Identität notabene, die nicht von der Geografie und einer kollektiven Geschichte bestimmt ist.

Diese Erkenntnis ist nicht neu. «Jeder kann den Blues-Code knacken», wusste B. B. King schon vor Jahrzehnten. Die digitale Welt von heute, wo über Youtube und die Streamingdienste jede erdenkliche Musik nur einen Klick entfernt ist, verstärkt diese Tendenz und bestärkt die obige These. Umso mehr befremden Aussagen wie jene von Yvonne Apiyo Brändle-Amolo und Kelela. Sie sind nicht nur absurd und abstrus, sondern auch weltfremd. Soll man trennen, was schon lange zusammengewachsen ist? Denkt man die Forderung von Brändle-Amolo weiter, würde es die Rückkehr zu einem abgeschotteten, rassenreinen Kulturkreis bedeuten. Eine Art kulturelle Apartheid. Wie heisst es im Profil von Yvonne Apiyo Brändle-Amolo doch so schön: «Bauen wir doch Brücken zusammen!»

* Der Autor hat Musikethnologie mit Spezialfach Afro-Amerikanistik und Afrika studiert und spielt seit über 30 Jahren in den verschiedensten Bluesformationen.