Sag das doch deinen Freunden!
Sie haben die Stadt satt, das Internet und die Einsamkeit der Einzelnen. Jedenfalls ab und zu. Sie wollen dann Natur, aber keine besonders grosse, sondern eine fast mikroskopisch kleine. Sie nennen sich «Mossgirls», Moosmädchen, ihr Hobby ist Moos beobachten, mit Lupen, mit Kameras, in speziell angelegten Moosparks oder Naturschutzreservaten.
Die Beschäftigung mit kleinen Pflanzen, über die man sich meditativ beugen kann, hat in Japan, dem Land der Bonsais, Tradition. Moose ebenfalls. In der japanischen Nationalhymne stehen bemooste Felsen für Dauerhaftigkeit. Die japanischen Zen-Gärten arbeiten mit Moos.
Die Sucht nach dem Moos gibt's aber erst seit wenigen Jahren, genauer seit 2011, als die Autorin Hisako Fujii den empfindsamen Bestseller «Moose, meine lieben Freunde» schrieb.
Heute ist der japanische Moos-Tourismus derart populär, dass moostechnisch gut gelegene Hotels mehrere Zimmer für die Moosmädchen reservieren, Führungen anbieten und Menüs, die aussehen, als wären sie mit Moos zubereitet.
Aber wieso verfallen Frauen dem Zauber weicher grüner Teppiche? Was flüstert ihnen das Moos zu? Eine 27-jährige Angestellte sagte der «Japan Times»: «Was ich an Moosen liebe, ist die Hartnäckigkeit, mit der sie überleben. Und wenn ich sehe, wie kleine Nester von verschiedenen Moosen zusammen leben, vergesse ich unsere Leistungs-Gesellschaft.»
Die Moos-Touren-Veranstalter sind überzeugt, dass Frauen dank ihrer «reichen Emotionalität» fürs «moss-viewing» geradezu vorbestimmt seien. Zudem hätten Frauen grössere Freude am Wandel der kleinen Dinge, etwa, wenn sich eine bräunliche Moosknospe in einem grünen Stern entfalte. Ihre Betrachtungsweise sei «unschuldiger» als die von Männern. Nun denn.
Die Frauen nehmen die neuen Öko-Tourismus-Angebote jedenfalls begeistert an, und so herrscht eine heitere Verklärtheit von Moosen und Frauen, und man muss sich um beide keine Sorgen machen.
Um die Moose nicht, denn in Japan gibt es davon 1600 nicht vom Aussterben bedrohte Sorten. Und um die Frauen auch nicht – ihre Rückzugsfantasien erinnern auf liebenswürdige Art an die televisionären Malstunden mit Bob Ross. Eine langsame, kleinteilige, beruhigende und enorm rührende Beschäftigung mit den Wundern der Natur. Moos kennt keinen Stress. Und Moos nimmt allem die Schärfe.
(sme)