Südafrikas Paralympics-Star Oscar Pistorius erfährt morgen Dienstag 20 Monate nach der Erschiessung seiner Freundin das Strafmass. Das Urteil lautete auf fahrlässige Tötung. Darauf stehen nach südafrikanischem Recht maximal 15 Jahre Haft. Da keine Mindeststrafe vorgeschrieben ist, könnte Richterin Masipa den 27-Jährigen auch nur zu Hausarrest und gemeinnütziger Arbeit verurteilen – so die Forderung der Verteidigung.
Pistorius hatte die 29-jährige Reeva Steenkamp in der Nacht auf den Valentinstag 2013 durch eine geschlossene Toilettentür seiner Villa bei Pretoria erschossen. Die Richterin folgte seiner unter Tränen vorgebrachten Beteuerung, er habe hinter der Tür einen Einbrecher vermutet. Sie wies die Mordanklage zurück und sprach den beinamputierten Paralympics-Sieger am 12. September lediglich der fahrlässigen Tötung schuldig.
Pistorius' Anwalt Barry Roux hatte in seinem Schlussplädoyer erklärt, sein Mandant bedauere sein fahrlässiges Verhalten zutiefst. Er sei keineswegs «der kaltblütige Mörder», als den ihn die Staatsanwaltschaft dargestellt habe.
Der Sportler könne nicht verwinden, dass er aufgrund eines «tragischen Irrtums» den Tod seiner Geliebten verursacht habe. Seine Bestrafung habe daher gleich nach den Schüssen auf die Toilettentür begonnen. «Sollte er ins Gefängnis kommen, würde ihn dies brechen.»
Staatsanwalt Gerrie Nel erwartet hingegen, dass die Richterin Pistorius so bestrafe, wie dies die Mehrheit der Südafrikaner wolle. «Zehn Jahre sind das Minimum», sagte der Chefankläger in seinem Schlussplädoyer. Falls Pistorius mit Hausarrest in der Luxusvilla seines Onkels davonkomme, wäre dies angesichts des Leids der Opfer-Familie «schockierend».
Südafrikanische Juristen äusserten unterschiedliche Vermutungen zu Art und Umfang der Strafe. Einige erwarten ein hartes Urteil, nachdem die Richterin massiv dafür kritisiert worden war, dass sie Pistorius nicht des Mordes schuldig gesprochen hatte.
Andere Experten verwiesen darauf, dass Richter in Südafrika angesichts der weit verbreiteten Gewaltkriminalität oft milde Strafen gegen Hausbesitzer verhängen, die auf echte oder vermeintliche Eindringlinge schiessen.
Der Strafrechtsexperte Professor André Thomashausen von der Johannesburger Kanzlei Werth Schröder Inc. schliesst nicht völlig aus, dass die Richterin Pistorius mit Sozialdienst – zum Beispiel auf der Farm seines Onkels in Mosambik – davonkommen und sich danach in den Ruhestand versetzen lasse.
Andererseits könne sie «ihm acht Jahre aufbrummen, um zu beweisen, dass sie eben doch unabhängig ist», sagte er der Nachrichtenagentur DPA. Am wahrscheinlichsten ist für Thomashausen, dass das Strafmass zwischen fünf und sechs Jahren liegen wird. Dann könne er nach spätestens drei Jahren zur Bewährung nach Hause.
Dass der Pistorius-Fall, der weltweit Aufsehen erregt hat, mit der Verkündung des Strafmasses zu den Akten gelegt wird, ist allerdings nicht sicher. Sollte es zu weit von den jeweiligen Forderungen der Anklage und der Verteidigung abweichen, könnten beide Seiten Berufung einlegen. Dies wäre unmittelbar nach der Bekanntgabe möglich oder noch bis zu zwei Wochen danach.
Daher wird damit gerechnet, dass Pistorius – wenn überhaupt – frühestens nach Ablauf dieser Frist ins Gefängnis müsste. Sollte Berufung eingelegt werden, würde dies die Vollstreckung der Strafe aussetzen. Bis zur Verhandlung vor dem Obersten Gericht Südafrikas könnten zwei Jahre vergehen, schätzen Experten. In dieser Zeit würde Pistorius weiter auf Kaution in Freiheit bleiben können. (whr/sda/dpa)