Kommentar
Charlie Hebdo

«Mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit» 

Norwegens Ministerpräsident Stoltenberg, ein Jahr nach dem Massaker: «Wir bleiben angreifbar, aber frei.»
Norwegens Ministerpräsident Stoltenberg, ein Jahr nach dem Massaker: «Wir bleiben angreifbar, aber frei.»ild: AP NTB scanpix
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«Mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit» 

Wie man mit Terror gegen unsere freiheitliche Welt umgeht, lernt man besser von Norwegen, nicht von den USA. 
11.01.2015, 17:1009.11.2015, 14:17
Hansi  Voigt
Hansi Voigt
Hansi  Voigt
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Nach dem Überfall auf Charlie Hebdo und auf die Meinungsfreiheit bleiben zwei Gewissheiten: 

1. Der Terror ist mitten in Europa angekommen. 

2. Es wird weitere Attentate auf Menschen geben, die die Werte der aufgeklärten Welt verkörpern. 

Die Frage ist: Wie gehen wir damit um? 

Die grösste Gefahr besteht darin, dass viele Politiker und Meinungsführer, die jetzt mit «Wir-sind-Charlie»-Postern und Facebook-Profilen ihre Solidarität mit den Opfern und ihr Bekenntnis zur Meinungsfreiheit kundtun, als nächsten Akt Verschärfungen der Sicherheitsmassnahmen fordern werden. 

Das ist falsch. Es kann und wird keine absolute Sicherheit geben. Wir wissen das und unsere Politiker wissen das auch. Solange wir am Flughafen übergrosse Fläschchen in Container werfen müssen, geht das ja noch. Aber irgendwann werfen wir das weg, was unsere freiheitliche Gesellschaft in Europa ausmacht. 

Seit den Anschlägen von 9/11 ist in den USA unter dem Patriot Act von der totalen Überwachung bis zur Wiederaufnahme der Folter ein zivilisatorischer Rückschritt nach dem nächsten begangen worden. In der Tendenz gilt das auch in Europa. Das Resultat ist ernüchternd. Beim Versuch, unsere Werte mit militärischen Mitteln zu verteidigen, erreicht am Schluss der Staat zunehmend das, was die Terroristen nicht hingekriegt haben: Das Ende der offenen Gesellschaft. 

Wenn jetzt die Politiker an Trauermärschen teilnehmen und Beileidsbekundungen aussprechen, ist zu hoffen, dass sich der eine oder andere Staatschef an Norwegen erinnert. Dort jagte der norwegische Christ und Rassist Anders Breivik im Regierungsviertel eine Autobombe in die Luft und massakrierte eine völlig wehrlose Ferienkolonie von sozialdemokratischen Schülern und Studenten. 

Der norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg sagte als erste Reaktion nichts von Rache oder Sicherheit, wie sein französischer Kollege jetzt, sondern auf Anhieb das Wesentliche: «Ihr werdet unsere Demokratie und unser Engagement für eine bessere Welt nicht zerstören. Niemand kann Norwegen zum Schweigen schiessen». Zwei Tage später erklärte Stoltenberg in seiner Trauerrede das Rezept gegen diese Art von Barbarei: «Mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit.»

Die Reaktion Norwegens auf die Tat eines wahnsinnigen Nationalisten, muss auch die Reaktion Frankreichs und Europas auf fanatisierte Islamisten und auf alle Eiferer jedwelcher Religion oder Couleur sein. 

Die Politiker brauchen dabei unsere Unterstützung. Der norwegische Kurs der Vernunft lässt sich in Wahlkämpfen wesentlich schlechter verkaufen, als markige «Law-and-Order»-Parolen. 

Und die Wähler sind wir. Der Ball liegt bei uns allen. 

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