Sag das doch deinen Freunden!
Wo Geier kreisen, muss Aas liegen: Die weltweite Anteilnahme und das Mitgefühl waren aussergewöhnlich. Bowies Tod löste regelrechte Schockwellen aus. Er hat uns auf dem linken Fuss erwischt. Zwar wusste man, dass Bowie gesundheitliche Probleme hatte, aber die hat Ozzy Osbourne schliesslich auch.
Der publizistischen Askese folgte der mediale Tsunami. Und wäre er nicht schon gestorben, hätte man ihn bestimmt tot geschrieben. Mit seinem facettenreichen Künstlerdasein war Bowie stets das ideale Objekt für mediale Ausbeutung. Jetzt, wo er nicht mehr existiert, sowieso.
Seit seinem Ableben sezieren Hinz und Kunz Bowies Leben und Werk. Wie die Motten vom Licht der Öffentlichkeit angezogen melden sich Musikkritiker, Künstlerkollegen, Modedesigner, Stil-Experten, Bekannte, Freunde, Ex-Freundinnen und Ex-Frauen zu Wort. Sie alle tun kund, was Bowie für ein Mensch war: David Bowie die Pop-Ikone, der Pop-Künstler, der Pop-Avantgardist. David Bowie der unnahbare Exzentriker, das Chamäleon, das schillernde Idol, der englische Gentleman und Parodist seiner Zeit. David Bowie der Weltraumreisende, der als androgynes Wesen von einem anderen Stern auf die Erde fiel und imstande war, frei zwischen den Geschlechtern zu reisen. David Bowie der gewiefte Finanz-Jongleur, der 1997 mit seinen Bowie Bonds die künftigen Anteile an seinen Songs verbriefte und damit über Nacht schwer reich wurde.
Wir texten ihm an, was wir aus ihm machen wollen, weil wir an uns selber solche Eigenschaften vermissen und suchen. Aber wir scheitern und können seiner nicht habhaft werden. Bowie passt nicht in unser kleingeistiges Vorstellungsmuster. Wir gewöhnlichen Menschen leiden nämlich unter der eitlen Sucht das Unaussprechliche, das Transzendente in Begriffe zu zwängen, wahre Grösse zu verkleinern, damit sie auch aus unserer Froschperspektive erkennbar bleibt und sie in unser begrenztes Blickfeld von Stereotypen passt.
Für uns wahre Fans waren die Tage seit seinem Tod zäh wie Kaugummi. Tage, die gefühlt ewig andauerten. Wir hofften insgeheim, er sei flink genug, dem Tod einen letzten Haken zu schlagen und der sozialen Projektion zu entkommen. Aber die Wucht, mit der man in der Realität aufprallt, ist viel härter ohne die Illusion als Puffer – die Wahrheit fühlt sich dann noch brutaler an.
David Bowie war unser Antiheld, der wie sein grosses musikalisches Vorbild, Scott Walker, stets ein Anderer, ein Suchender war, ein Rastloser auf der Flucht vor dem Stillstand und Einordnung ins Kollektiv. Doch nun liegt auch er fein säuberlich etikettiert und schubladisiert in der medialen Aufbahrungshalle neben Lemmy & Co., für die Ewigkeit konserviert. Bowies Tod mag eine Zäsur für die Rock- und Popmusik markieren, vielleicht so wie der kürzliche Tod von Helmut Schmidt eine Zäsur für Deutschland und Europa markierte. Für uns bedeutet der Tod von David Bowie aber viel mehr, nämlich den unwiderruflichen Verlust unserer Kindheit. Eine Grenzerfahrung, die durch Mark und Bein geht, weil wir jetzt wissen, dass das Leben endgültig ist und keine Repeat-Taste hat.