Unzählige Artikel sind geschrieben worden, wie eine Trump-Präsidentschaft aussehen könnte. Aufgrund zweier Unwägbarkeiten fielen sie stets sehr vage aus. Die eine wurde mit seinem Sieg bereinigt, die andere bleibt vorerst bestehen: Wofür steht der 70-Jährige wirklich? Glaubt er all das, was er in den vergangenen 16 Monaten von sich gegeben hat?
Für den Fall, dass Trump tatsächlich eine Mauer an der Grenze zu Mexiko bauen, ein Einreisemoratorium für Muslime verhängen, die Folter wieder einführen und Obamas Gesundheitsreform kassieren will, stellt sich eine dritte, zentrale Frage:
Ein US-Präsident gilt als mächtigster Mann der Welt, doch die Amerikaner halten – zumindest in der Theorie – viel auf ihre «Checks and Balances», welche seinen Handlungsspielraum eingrenzen. Seine Minister müssen vom Senat bestätigt werden. Der Kongress muss sein Budget billigen. Der Oberste Gerichtshof kann seine Gesetze für verfassungswidrig erklären.
Derzeit sieht es aber nicht danach aus, als ob Präsident Trump hier mit nennenswertem Widerstand rechnen muss. Sowohl Senat als auch Repräsentantenhaus werden weiterhin von den Republikanern kontrolliert. Und selbst jene Republikaner, die sich während des Wahlkampfs von ihm distanzierten, müssen seinen grandiosen Sieg zur Kenntnis nehmen und ihre Schlüsse daraus ziehen. Wie hatte der Senator von South Carolina, Lindsey Graham, gesagt? Wenn Trump gewinnt, dann definiert er, was republikanisch ist, und nicht Parteiveteranen wie er selbst.
Das letzte Korrektiv wäre die demokratische Minderheit im Senat, die mittels sogenanntem Filibuster (Endlosdebatte) Gesetzesvorhaben verhindern kann. Um diesen zu brechen, bräuchten die Republikaner in der kleinen Kammer eine Super-Mehrheit von 60 Sitzen. Die werden sie nicht haben. Wählen sie die «nukleare Option» und streichen den Filibuster per einfacher Mehrheit aus den Regeln des Senats, dann hätten sie auch hier völlig freie Hand.
Zum Beispiel bei der Vakanz des Obersten Gerichtshofs, wo seit dem Tod Antonin Scalias ein 4:4-Patt zwischen progressiven und konservativen Richtern herrscht. Bringt Trump hier einen Kandidaten seiner Wahl durch, dann wird auch das höchste Gericht des Landes wieder von den Republikanern kontrolliert. Bei der nächsten Vakanz – zwei Bundesrichter sind über 80 Jahre alt – kann er diese Vormacht zementieren. Ein Abtreibungsverbot – so etwas wie der heilige Gral der Konservativen – würde in greifbare Nähe rücken.
Wenn noch einige Zweifel darüber bestehen, was Trump machen wird, scheint einigermassen klar, was er nicht machen wird: Keine Verschärfung der Waffengesetze, keine Reform der Einwanderungsgesetze. Die beiden grössten innenpolitischen Baustellen der USA bleiben bestehen.
Vielleicht überrascht uns Trump ein letztes Mal und alles kommt ganz anders. Wahrscheinlich nicht.