«Hi», schreiben sie. Oder «Sali Ema» mit einem M. Vielleicht mal «Hey du». Wenn sie überhaupt mal schreiben. Machen nämlich die wenigsten. Dabei grenzt es schon an ein kleines Wunder, wenn beide nach rechts swipen. Von 20 Kandidaten wische ich 16 bis 18 nach links ins Nirwana. Adieu, Aufnimmerwiedersehen.
Diese Rechnung aber mache ich ohne Tinder. Es gibt Männer auf dieser App, die ich sicher schon 50 mal nach links gewischt habe und die mir trotzdem pausenlos vorgeschlagen werden. Wem gehört Tinder eigentlich? Mark Zuckerberg? Falls ja: Bitte regle den algorithmischen Bug, Mark. Falls nein: Bitte kauf die App, Mark, und mach sie great again. Danke.
Zurück zu den Männern, die sich die Mühe machen, zu schreiben. Was ich löblich finde. Ausser eben es handelt sich um «Hi», «Hoi», «Sali». Da sind die Faulen. Die schicken jeder eine Begrüssungsfloskel. Ich ghoste diese Herren. Primär, weil mich ein «Hoi» noch mehr langweilt als das Kaminfeuer, das irgend ein Sender nachts sendet.
Und dann auch, weil ich nicht weiss, was ich auf «Hi» antworten soll. Auch Hi? Oder Hey? Wie soll daraus eine Konversation entstehen, bei der man sich spätestens nach der fünften Nachricht noch was zu sagen hat?
Man könnte meinen, ich hasse Tinder. Nicht unwahr. Zumindest zeitweise treiben mich die «Hi»-Typen, all die Gym- und andere Sport-Selfies, Autobilder, Surfbilder, Bilder mit Hunden/Katzen/Hamstern und Fotos, auf denen sie ihre Ex-Freundinnen unglaublich schlecht abgeschnitten haben, in den Wahnsinn.
Dann die Beschreibungen. Die einen wollen Fetisch-Lack-Leder-Sklaven-Dominas-Strap-ons. Die meisten aber betonen explizit, dass sie keine One Night Stands wollen. Sie sind eben nicht so. Sind sich zu schade dafür. Arme potentielle Abenteuer: Im Keim erstickt.
Tinder ist aber nicht nur ein Auffangbecken für Loser. Ich habe schon einige sehr grandiose Helden auf Tinder kennengelernt. Bei manchen habe ich die Initiative ergriffen – wer schimpft, soll schliesslich selber aktiv werden – andere haben mich ab Nachricht 1 um den Finger gewickelt.
Was natürlich noch lange nicht heisst, das sie auch face to face überzeugen. Ich erinnere mich an Mario. Virtuell top, face to face ein Psycho. Die erste Story, die er mir erzählte, war die von zwei Prostituierten, die er 34 Stunden lang auf MDMA gevögelt hat. «Du bisch so geil offe. Dir chamer alles verzelle!» Kann man. Ich verschwinde danach einfach für immer und ewig in der Versenkung.
Aktuell beschäftigen mich drei Kandidaten: Da ist Alex. Alex und ich chatten schon länger. Die Konversation ist jetzt nicht der mega Burner. Aber Alex hat was. Vielleicht ist es der Fakt, dass er ums Verrecken um kein Date bittet, der meinen Jagdinstinkt kitzelt.
Da ist auch noch Thierry. Thierry war am Anfang schlagfertig und ironisch. Bis er über Nacht romantisch wurde und mir mitteilte, dass er mich beim ersten Date küssen will. Und ich die sei, die ihn bändigen kann. Woher weiss Thierry das? Ist sich Thierry bewusst, dass wir uns in der realen Welt vielleicht nicht riechen können? Nicht anziehend finden? Keine gemeinsame Sprache sprechen?
Mein Lieblingsmatch heisst Silvan. Wir chatten seit über einem Jahr. Alle paar Monate schicken wir uns eine Nachricht. Virtuell sind wir auf Weltreise. Getrennt voneinander. Schicken uns aber aus Hawaii, Florida, Bali und bis jetzt aus Japan fiktive Postkarten, aus denen man, ich lass mal Bescheidenheit auf der Seite, einen Bestseller drucken könnte.
Silvan und ich planen, uns irgendwann irgendwo in einer Stadt ausserhalb von Zürich zu treffen. Bis ich nicht weiss, wann und wo wir in Zeitlupe aufeinander zuhüpfen, bleibe ich (vielleicht) Tinder treu. Inklusive aller Höhen und Tiefen, die jede Beziehung mit sich bringt und sage: Fuck you, Tinder. I love you, Tinder.
Adieu,
Dann schick sie per Mail an Emma: emma.amour@watson.ch