Ich hasse die zwei Stunden vor einem Date. Und ich liebe die zwei Stunden vor einem Date. Hassen tue ich sie wegen der Nervosität, die mich plagt und lähmt. In diesen 120 Minuten wünsche ich mir nichts sehnlicher als das Treffen abzusagen, meine Jogginghose zu montieren, um mich entspannt dem hinzugeben, das ich am besten kann: Bingewatching.
Ich kann von Glück reden, dass Liebe und Hass aber so nah beieinander sind. Mir ist die Schizophrenie meiner Gefühlslage bewusst, aber ich kann nicht abstreiten, dass sie zwei Scheissstunden eben auch etwas Magisches haben. Das flaue Gefühl in der Magengegend, das nicht wissen, was heute noch passiert und die Prozedur des sich parat Machens zur aufgedrehten Musik.
Letzten Freitag bereitete ich mich ab 17.30 Uhr für das Treffen um 19.30 Uhr mit Sandro vor. Sandro ist der Suff-SMS-Mann, mit dem ich schon länger immer wieder Suff-Sex zelebriere. Sandro ist in meinem Leben das Gesicht der Booty Calls. Und Sandro wollte letzte Woche plötzlich ein Date. Bei Tageslicht. Meine Neugier und ich schlugen ein.
Sandro und ich kommen einige Minuten zu spät. Mag ich. Auch dass wir nicht wissen, wie wir uns begrüssen sollen, finde ich amüsant. Sind drei Küssli nicht komplett doof, wenn man schon so viel Sex hatte, dass man sich aus jedem Blickwinkel nackt kennt?
Wir entscheiden uns für eine herzliche Umarmung. Dann stehen wir da und lachen uns einfach an.
Ich finde dieses Date jetzt schon super.
So super, dass ich total okay damit bin, dass wir uns in eine hundskommune Bar begeben, wo wir hundskommune Drinks bestellen und uns über hundskommune Dinge unterhalten.
Sandro findet Netflix scheisse. Sandro hat zwei jüngere Schwestern. Sandro hasst Käse. Den exzessiven Charakter hatte er schon immer. Sandro ist FCZ-Fan. Als Schüler war Sandro nicht einfach. Gute Noten schrieb er trotzdem. Er hat eine Matur. Und zwei abgebrochene Studiengänge.
Sandro redet viel. Und Sandro bombardiert mich mit Fragen. Wie lange meine letzte Beziehung her ist. Woran sie scheiterte. Welches Konzert ich zuletzt besuchte. Warum mein Job? Ich komme kaum zum Antworten, schon ballert er mit der nächsten Frage los.
Ich bin gleichermassen irritiert und amüsiert.
Er merkt es und erklärt, dass ihm seine Schwestern Gegenfragen ans Herz gelegt haben. Interesse zeigen. Im Zeitalter von Tinder & Co., sagen die Schwestern, käme echtes Interesse zu kurz.
Ich lächle. Sandro redet sich um Kopf und Kragen. Ich unterbreche ihn, in dem ich ihn küsse. Hier in der Bar. Innigst und hemmungslos. Sag Hallo zu meiner inneren Exhibitionistin. Dann höre ich abrupt auf.
Ich lenke das Thema, wir sind doch immerhin beim dritten Whiskey angekommen, auf Sex. Wir reden darüber, was wir gut finden, was weniger, was wir bereits erlebt haben, was wir aneinander heiss finden, wovon wir träumen. Die Phantasien schmücken wir bis ins letzte Detail aus.
Unter dem Tisch spüre ich Sandros Hand, die ich wegschiebe. Nicht, weil ich nicht scharf bin, sondern weil es mich kickt, den Sex hier nur im Kopf stattfinden zu lassen. Sandro wird hibbelig, er will zahlen und gehen – in mein Bett. Ich derweil bestelle noch eine Runde.
Sandro hasst mich. Ein Fakt, der mich hier und jetzt nicht mehr kicken könnte.
Ich ziehe das Ganze noch eine Stunde durch. Dann zahlen wir. Und gehen. Sandro spaziert in aller Selbstverständlichkeit mit mir mit. Kurz vor meinem Haus halte ich an und verabschiede mich.
«Das chasch nöd mache», sagt Sandro. «Doch», sage ich, küsse ihn noch einmal lang und verschwinde dann.
Sogleich schicke ich ihm eine SMS: «Das war der beste Nicht-Sex-Sex meines Lebens. Und das Date war auch toll. Danke.»
Postwendend kommt «Das Date war perfekt. Fahr dennoch zur Hölle, Emma.»
Heute, hier und jetzt ziehe ich es in Betracht, dass in Sandro sowas wie Superman himself steckt. <3
Adieu,
Dann schick sie per Mail an Emma: emma.amour@watson.ch