Bild: Matt Sayles/Invision/AP/Invision
Elisabeth Kochan / watson.de
Wer schon als Kind zum weltberühmten Star wird, hat es mit Fluch und Segen gleichzeitig zu tun. Schon bevor man ein Alter erreicht, in dem man sich allmählich um die berufliche Zukunft und die Finanzen sorgen muss, ist beides weitestgehend abgesichert. Doch der Erfolg hat seinen Preis: Die Privatsphäre geht flöten – und das schon in einer Lebensphase, in der man meist noch nicht einmal weiss, wer man eigentlich ist oder sein will.
Wenn Daniel Radcliffe auf den Strassen dieser Welt unterwegs ist, vergeht für ihn vermutlich kein Tag ohne «Hey, das ist doch Harry Potter!» Der Engländer mimte über genau zehn Jahre hinweg den berühmtesten Zauberlehrling der Welt – und das schon ab seinem elften Lebensjahr. Als «Harry Potter und die Heiligtümer des Todes – Teil 2» 2011 in die Kinos kam, hatte Daniel Radcliffe bereits fast die Hälfte seines Lebens als Harry Potter verbracht. In einem Interview für den YouTube-Channel «The Off Camera Show» erzählte er jetzt, fast ein Jahrzehnt nach «Potter», wie ihn dieser frühe Ruhm in die Alkoholsucht trieb, wie er sich daraus rettete und welcher Druck auf Kinderstars wie ihm lastet.
Daniel Radcliffe im Interview. bild: youtube Daniel Radcliffe hatte schon während «Harry Potter» ein Alkoholproblem – weil er sich beobachtet fühlte.
Radcliffe durchlebte seine Pubertät quasi im Blitzlichtgewitter. Paparazzi folgten ihm, wohin er auch ging. Aber nicht nur die waren ein Problem: Weil jeder sein Gesicht kannte, war er nirgendwo anonym. Das war vor allem dann schwierig, wenn er eigentlich bloss seine Freizeit geniessen wollte.
«Da ist dieses Bewusstsein, mit dem ich vor allem in meinen späten Teenager-Jahren zu kämpfen hatte, als ich zum ersten Mal ausging. [...] Ich fühlte mich beobachtet, wenn ich in eine Bar oder einen Pub ging. In meinem Fall war es am einfachsten, die Beobachter zu vergessen, indem ich mich betrank, und dann, als ich sehr betrunken wurde, wurde mir bewusst: ‹Oh, die Leute gucken jetzt sogar noch mehr, weil ich sehr betrunken bin›, also trank ich noch mehr, um das noch mehr zu ignorieren.»
Dieses zwanghafte Trinken wurde immer schlimmer, bis er schliesslich nach feucht-fröhlichen Abenden regelmässig Blackouts hatte (ShortList). Das ging über Jahre hinweg so – schon während der Harry-Potter-Filme, und obwohl er während der Arbeit niemals trank, gab es Tage, an denen er noch betrunken zum Set kam. «Ich kann mehrere Szenen benennen, in denen ich einfach weg bin. Tot hinter den Augen», gestand er schon 2012 in einem Interview (Telegraph). Ein Teil davon wurde von dem geistigen Bild beeinflusst, das er von erfolgreichen Schauspielern hatte:
«Ein Teil von mir glaubte, Schauspieler müssten verrückte, coole Trinker sein und ich sollte diesem seltsamen Bild davon, wie ich mir einen berühmten Schauspieler vorstellte, nacheifern.»
2010 schaffte er schliesslich den Absprung – und ist seitdem trocken.
Bis Radcliffe diesen Punkt erreichte, waren einige Jahre vergangen. An Helfern mangelte es ihm nicht, und einige von ihnen drangen wirklich zu ihm durch – einer von ihnen: Gary Oldman, der in den Filmen in die Rolle des Sirius Black schlüpfte, und der ebenfalls ein Alkoholproblem hatte. Einmal sprach er mit Radcliffe über dessen Sucht, die er sich noch nicht eingestehen wollte, und sagte ihm: «Du kannst damit nicht weitermachen. Du hast zu viel zu verlieren», wozu Radcliffe später selbst sagte: «Das traf mich hart» (ShortList).
Denn viel zu verlieren hatte er: Den Job, den er liebte.
«Selbst an meinem Tiefpunkt liebte ich meinen Job immer noch so sehr und liebte es, ans Set zu gehen. Es gab nie einen Tag, an dem ich meinen Scheiss hätte beeinflussen lassen, wie ich mich bei der Arbeit verhielt, und ich hatte nie den Gedanken: ‹Oh, ich wünschte mir, das wäre mir alles nicht passiert, ich wünschte, ich wäre nicht Harry Potter.›»
Radcliffe in «Harry Potter and the Deathly Hallows» im Jahr 2010.Bild: Warner Bros. Pictures
Und schliesslich schaffte er den Entzug.
«Es hat ein paar Jahre und ein paar Anläufe gedauert, aber ich hatte einfach unglaubliches Glück mit den Menschen, denen ich zum richtigen Zeitpunkt in meinem Leben begegnet bin. [...] Letztlich war es aber meine eigene Entscheidung. Eines Morgens bin ich nach einer langen Nacht aufgewacht und dachte mir: ‹Das ist vermutlich nicht gut.› Es fehlt mir heute gar nicht. [...] Ich bin heute wirklich viel glücklicher.»
Und wie Daniel Radcliffe erging es auch anderen Kinderstars.
Macaulay Culkin, Lindsay Lohan, Amanda Bynes: Die Liste an «gefallenen» Kinderstars, die irgendwann hauptsächlich nur noch mit ihren Eskapaden in den Schlagzeilen landeten, ist lang. Ihnen allen wurde ihr Ruhm irgendwann zum Verhängnis – wegen des öffentlichen Drucks, den Daniel Radcliffe im Interview beschreibt:
«Die Erwartung ist, dass du einfach die ganze Zeit glücklich sein solltest. Du hast einen tollen Job, du bist wohlhabend, du hast also kein Recht dazu, je traurig zu sein oder dich nicht dauernd über all das zu freuen. Das übt auch Druck aus, denn wenn ich mich plötzlich doch traurig fühle, heisst das dann, dass ich das alles falsch mache? Heisst das, dass ich nicht gut darin bin, berühmt zu sein oder mein Leben zu leben?»
Diese Fragen kann er inzwischen ganz klar mit einem dicken «Nein» beantworten: Er hat sein Leben gut auf die Reihe bekommen und ist immer noch regelmässig im Kino zu sehen.
Das ganze Interview gibt es hier:
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Und hier: Die Oscar-Nominierungen 2019
Video: srf/SDA SRF
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In der Kommentarspalte wurde mehr Ehrlichkeit gewünscht. Euer Wunsch sei mir Befehl.
Ich habe es euch schon einmal gestehen müssen. Ich tu es wieder. Ich lese eure Kommentare. Nicht immer alle. Nicht immer sofort. Aber ich lese sie. Und ich nehme sie ernst. Wirklich. Sehr, sehr ernst. Ausser diejenigen, die ständig meine Absetzung verlangen. Leute, Leute, meint ihr, wenn diese Texte nicht gelesen würden, wäre das nicht schon längst passiert? Eben. Da müsst ihr durch. Da muss ich durch. Wir schaffen das. Gemeinsam!