An den Award-Shows dieses Winters fehlt sein Name. Dabei ist sein Film ganz vorne mit dabei. Wie jeder andere seiner Filme. Über 3 Milliarden Dollar sind für Bryan Singers Filme an den Kinokassen schon ausgegeben worden. Für «The Usual Suspects», die «X-Men»-Filme, «Superman Returns». Und «Bohemian Rhapsody» hat bis jetzt auch schon weit über 400 Millionen Dollar weltweit eingespielt. Doch der Regisseur wird – gut hörbar beziehungsweise eben nicht – totgeschwiegen. Zum Beispiel bei den Golden Globes. Aber wieso?
Drei Wochen vor Drehende von «Bohemian Rhapsody», im Dezember 2017, wurde Bryan Singer (heute 53) gefeuert. Weil er sich mit der Crew überwarf. Weil er zu viele Medikamente konsumierte. Weil er immer wieder tage- oder wochenlang vom Set verschwand.
Wenige Tage später klagte der 33-jährige Cesar Sanchez-Guzman Singer der Vergewaltigung an. Cesar war 17 Jahre alt gewesen und Freunde hatten ihn zur Party eines lokalen Tech-Millionärs mitgenommen, wo sich reiche erwachsene Männer mit minderjährigen Jungs verlustierten. Cesar wurde auf die Millionärsyacht eingeladen. Dort soll ihn Singer oral und anal vergewaltigt haben.
Es war nicht der erste Missbrauchsvorwurf gegen den Regisseur, aber ein weiterer aus dem Jahr 2014 war derart konfus und widersprüchlich gewesen, dass der Kläger schliesslich öffentlich als Lügner gebrandmarkt worden war. Allerdings hatten bereits 1997 nach den Dreharbeiten zu «Apt Pupil» mindestens fünf Statisten zwischen 14 und 17 Jahren Vorwürfe gegen Singer und seine Crew erhoben – vor dem Dreh einer Duschszene seien sie gezwungen worden, sich nackt zu zeigen. Die Produktionsfirma bezahlte, die Statisten schwiegen.
Zwei Journalisten haben jetzt recherchiert. Zunächst für das Magazin «Esquire», wie Singer im Oktober 2018 wütend auf Instagram kundtat. 12 Monate lang interviewten Alex French und Maximillian Potter insgesamt 50 Quellen, darunter vier Männer, die bis dahin noch nicht gegen Singer ausgesagt hatten. Aber auch Zeugen, Mitarbeiter von Singer und Anwälte.
Doch nachdem ihre Geschichte auf Fakten geprüft und vom Verlags-Anwalt abgesegnet worden war, untersagte ihnen die oberste Verlagsetage die Publikation. Nun ist die Recherche der beiden bei «The Atlantic» erschienen.
Einer der Betroffenen war während des Drehs zu «Apt Pupil» von Singer auf einem Urinal «entdeckt» worden. Singer bestellte ihn daraufhin zum Dreh, wo er nur mit einem Handtuch bekleidet einen Tag lang in einem leeren Raum warten sollte. Immer wieder kam Singer, masturbierte vor ihm und versuchte, ihm einen runterzuholen. Der Junge war 13 Jahre alt. Später schlug er seine Freundin, wurde drogensüchtig, kam ins Gefängnis.
Ende der 90er-Jahre beteiligte sich Singer am Start-up-Unternehmen Digital Entertainment Network (DEN) von Marc Collins-Rector, das Kino- und TV-Formate für 14- bis 24-Jährige produzieren wollte. Zu den Investoren gehörten auch Microsoft, Dell und NBC. DEN stellte auffällig viele sehr junge Männer, oft auch Minderjährige, in wichtigen Positionen ein.
Ein anderer, er nennt sich im Bericht von French und Potter «Andy», wurde von Collins-Rector als 14-Jähriger in einem Online-Chat rekrutiert. Mit 15 wurde er Singers Geliebter. Danach ging er auf den Strich, wurde drogensüchtig, kam ins Gefängnis und wurde Pornodarsteller. Auch Brad Renfro, 15 und Teenstar aus «Apt Pupil», war bei diesen Orgien dabei. Mit 25 starb er an einer Überdosis.
Informant «Eric», der mit 17 zu DEN gelangte, beschreibt, wie sehr Jungs wie er damals Dutzendware für Singer waren. «Der Regisseur», schreiben French und Potter, «hatte Leute, die ihm Jungs exakt wie Eric brachten: ‹Wenn du nicht jung und süss genug für sie warst, konntest du dich immer noch beliebt machen, indem du sie selbst mit Jungs versorgtest›, sagt er.»
Im August 2000 wurde in neun Fällen von Missbrauch Minderjähriger gegen Collins-Rector ermittelt. Schliesslich wurde er in Spanien verhaftet – in seinem Besitz fanden sich Waffen und 8000 Bilder mit Kinderpornographie.
Der Film über Jugendliche mit besonderen Fähigkeiten, die von älteren Herren unterrichtet werden. Keine verdächtigen Spuren führten damals von Collins-Rector zu Singer. Dabei war er ganz einfach Teil eines monströsen Pädophilenrings.
Man kann sich fragen, ob der Mann, der «E.T.» zu seinem Leitfilm erklärte, weil dort Jugendliche, die sich wie Aliens fühlen, mit einem richtigen Alien in Kontakt kommen, anders gehandelt hätte, wenn Hollywood nicht so viele Jahre lang für so viele Homosexuelle eine Alptraumfabrik gewesen wäre. Ob der krasse Missbrauch weniger befördert und im Versteckten geschützt worden wäre, wenn Männer wie Singer und sein «Usual Suspects»-Held Kevin Spacey ihre Homosexualität in aller Offenheit gelebt hätten. Wahrscheinlich nicht. Weinstein und Co. mussten ihre Heterosexualität schliesslich auch nicht unterdrücken.
P.S. Im Herbst wurde Singer für die Regie der Comicverfilmung «Red Sonja» verpflichtet. Die Heldin, so French und Potter, ist Überlebende eines sexuellen Übergriffs.